„A. hat seit drei Tagen Fieber und was weiß ich nicht noch alles,“ simste mir neulich eine Freundin, die mit kotzendem Kind versuchte, den Alltag zu wuppen. Wir tippten also ein bisschen hin und her, bis es schließlich aus ihr heraus brach: „Ich frage mich wie zum Henker ihr das mit DREI Kindern macht. Bei euch ist doch sicher immer mindestens einer krank …! Ich meine, verlässt du überhaupt noch die Wohnung?“ Da war ich plötzlich ganz still, ich musste nämlich wirklich überlegen, wie wir das alles eigentlich schaffen. Dass beide Elternteile nicht wenig arbeiten zum Beispiel, dass wir weder Großeltern in der Nähe, noch einen Babysitter haben, und dann ist da noch diese Masse an täglichen Aufgaben, die immer wieder aufs Neue verteilt werden müssen. Wer holt die Kinder, wer füllt den Kühlschrank und so weiter und so fort. Im Grunde ist nichts davon nicht schaffbar, wir schlagen uns sogar ganz gut – aber eben nur so lange nichts Unerwartetes passiert. Und genau hier wären wir dann auch schon wieder beim kotzenden Kind angelangt, dem womöglich unvorhersehbarsten und ärgsten Feind längst geschmiedeter Pläne. Mein Leben besteht jetzt also daraus, selbige in in großer Regelmäßigkeit über den Haufen zu werfen.
Tränen gehören manchmal auch dazu, vor Wut oder Verzweiflung, weil hin und wieder nur das Chaos siegt. Zwischen den wilden Dreien Streit schlichten, kleine Kerle trösten, den Vorpubertisten mit all seinen verrückten Launen auffangen, mit dem frustrierten fast Zweijährigen Türme wieder aufbauen, die der Mittlere im Vorbeilaufen immer wieder umschubst, die komplette Horde von A nach B bringen und wieder abholen, dazwischen Dinge, die nicht aufgeschoben werden können, Wäsche waschen zum Beispiel. Ab und zu hilft nur noch Luft holen, Tee trinken, inne halten und die Bande vom Sofa aus beobachten. Dann krabbelt auch wieder das Glück in den Bauch.
In 4,5 Jahren haben wir 3 Kinder bekommen – völliger Wahnsinn einerseits, unendlicher Stolz und noch mehr ganz echte wahre Freude andererseits. Es wird sie trotzdem immer geben, diese Momente, in denen wir uns stillschweigend ansehen und unsere Blicke nur eins sagen: „Komm, wir hauen ab und lassen die Kerle hier, der Kühlschrank ist ja immerhin voll.“ Weil der Alltag zum Spießrutenlauf wird und die Erschöpfung jede Gehirnzelle frisst. Weil wir müde sind vom Funktionieren, vom Genöle und Gebrüll, von den vielen Sorgen um das frisch gebackene Schulkind, den Wäschebergen, dem abendlichen zu Bett geh Marathon und der Arbeit, die auch spät nachts noch auf uns wartet. Fast sieben Jahre lang hat uns jetzt keine Nacht allein gehört. Irgendwas ist ja immer. Da kommt es vor, dass man ein paar raue Tage lang mehr nebeneinander als miteinander lebt, man wuselt sich einfach so durch, um sich abends dann am großen Tisch zu treffen, Pfannkuchen zu mümmeln und den anderen von seinen Erlebnissen zu erzählen. Oder auch nicht. Manchmal ist es auch einfach einen kurzen Augenblick lang still.
Und das ist dann der Moment, in dem ich vor Glück und Stolz platze und denke: Verrückt, Jule. Das sind wirklich deine Drei. Plötzlich schaue ich voller Achtung auf das, was mein Partner und ich hier meistern, ich begreife, was für ein scheiß Segen es ist, dass wir ein Team sind. Hand in Hand, meist ohne viel Tamtam darum zu machen. Als Paar verlieren wir uns trotzdem immer wieder, bloß finden wir uns auch jedes Mal zueinander zurück. Ab und zu muss man sich laut daran erinnern, dass man als Eltern nicht von ganz allein auch ein Liebespaar ist.
In unserem Freundeskreis gibt es unheimlich viele, die sich nach dem zweiten Kind fragen, ob sie noch ein weiteres bekommen wollen. Die uns das fragen. Unsere Antwort fällt für Gewöhnlich zögerlich, überlegt und je nach Müdigkeitsgrad auch mal sehr direkt aus. „Viel ist es, gefühlt immer einer zu viel,“ sagen wir dann. Es ist wild und laut und wunderbar. Aber Nachmittage mit nur 2 Kindern kommen uns manchmal vor wie Ferien.
Als wir mit Kind Nummer Drei schwanger waren, da dachten wir: Pff, ein Kind mehr, das schaffen wir jetzt auch noch. Uns stand der Sonnenurlaub noch auf die Stirn geschrieben, die beiden Kleinen waren entspannt, das Dritte im Bauch auch. Bloß die Sache mit dem Reisen ließ uns Erwachsenen manchmal denken, dass man vielleicht auch einfach aufhören könnte, wenn es doch gerade so schön ist. Und überhaupt, wie passen so viele Leute überhaupt ins Auto oder auf den Schoß? Das war es aber auch schon mit den Zweifeln, ich fand und finde bis heute, dass Geschwister zum Leben dazu gehören, jedenfalls zu meinem eigenen. Die Bullerbü-Brille ist womöglich Schuld daran, bewahrt einen aber nicht vor bescheuerten Durststrecken.
Im 2.Lebensjahr von Kind Drei war ich oft unglücklich, meist ausgelaugt und stand ständig unter Strom. „Warte“,“Ja,ich komm ja schon, Mooooooment“,“Jetzt nicht, jahaaa, gleich“,“Nun warte doch mal kurz“, „Noch eine Sekunde“, „Nein, nein, lass das“, „Maaaan“, „Lass mich jetzt kurz auf Toilette gehen, bitte“, „Essen ist fertig“, „Wo sind die Schuhe?“ – meine Top Ten der meistgesagten Sätze 2015.
Die Worte meiner SMS-Freundin klingen nach. Wie schaffe ich das?
Jetzt, wo es plötzlich leichter wird, weiß ich endlich, was mich so verzwiefeln lies: Ich bin einafach ein verdammt schlechter Jongleur, von Dingen und kleine Personen, das liegt vor allem an meinem Glucken-Mutter-Herz. Das hat es nur schwer verkraftet, ständig einen der kleinen Kerle auf die Wartebank setzen zu müssen. Dinge überhaupt nicht mehr im Griff und gefühlt zu wenig Zeit für Zweisamkeit mit jeden von den Dreien zu haben – das ist es, was mich am Ende zerrissen hat. Genau wie das seltene Durchatmen, das nicht mehr Über-den-Dingen-Stehen. Vor allem dann, als der Humor aus Versehen im Umzugskarton vergessen wurde, weil der Höllennachbar uns aus der Traumwohnung, aus unserem Zuhause, geekelt hatte. Aber so geht das nicht. Man muss an sich glauben, Vergleiche erst gar nicht aufstellen, mehr lachen als weinen.
Seit ich das und noch mehr vertstanden habe, läuft es besser. Viel besser. Eine dreifache Ladung Arbeit bedeutet in diesem Fall nämlich vor allem eine dreifache Portion Glück. Ich weiß jetzt, dass ich mir den Kopf ab und an am Meer frei pusten lassen und mir an stürmischen Tagen selbst den Wind aus den Segeln nehmen muss, dass es gut ist, einfach mal nichts zu sagen, statt ständig zu stöhnen. Dass es ok ist, mitten am Tag Gummibärchenplätzchen zu backen oder andere unnormale Dinge zu tun. Dass vieles nicht mehr wie geschmiert läuft, aber auf seine ganz eigene, neue wunderbar verrückte Art und Weise.
Dieses „Drei“ hat uns gelehrt, in vielem entspannter zu sein, weniger zu planen, nämlich immer nur von morgens bis mittags und dann erst geht es in kleinen Schritten vom Mittag in den Abend hinein. Dieses „Drei“ bedeutet für alle auch viel Warten. Aber auf Momente, die kostbarer sind sind als jedes stressfreie Leben der Welt.
„Ach weißt du,“ schreibe ich meiner Freundin noch mal selben Abend zurück, „ein bischen Brüllen hier, etwas Mut zur Lücke und der schlechtsitzenden Frisur Kreuzbergs da – so klappt es mitlerweile ganz gut.“
„Three is a magic number“ flötet es in meinem Ohr. „Yes it is, its a magic number“, denke ich.