Kolumne // Scalamaris Welt – Drei Freunde bei Wein am Tisch (und die Liebe)

03.02.2016 Leben

scalamari jane kolumne

Kein Wunder, dass ich euch bei heiteren 8 Grad auf ganz, ganz dünnes Eis ziehe. In eine dunkle Ecke des Treuelandes hinter den Monogamie-Bergen auf die Selbstbestimmtheits-Avenue, auf der ich mich vor kurzem wiederfand und mir dabei ordentlich das Herz prellte.

Das Thema taute und tauchte auf als eine Beichte vor Freunden bei Wein, dass da seit vielen Jahren – selbst während Beziehungen – stets noch ein geheimer anderer Jemand im Spiel ist. Jemand, für den es nie eine sozial abnickbare, offizielle Schublade gab. Er ist weder Kumpel, noch fester oder bester Freund und wir sind mehr als Affäre. Mal sehen wir uns ständig und dann wieder wochenlang überhaupt nicht. Er ist Teil meines Lebens und ich seines, aber eben nur für uns alleine und still und ja – auch heimlich.

Aktuelle Romanzen, Beziehungen und Affären wussten nie von diesem #JemandohneSchublade, aber ich habe mich trotzdem niemals, nicht mal eine Sekunde, als Betrügerin gefühlt. Er war ja schließlich zuerst da. Auch wenn somit mindestens eine Seite dazu verdammt war komplett im Dunklen zu tappen und von nichts eine Ahnung zu haben, hatte ich anderen Jungs gegenüber nie ein schlechtes Gewissen. Nur ein einziges Mal, eine Beziehung lang, bat ich den Geheimjungen darum, den Kontakt zwischen uns zu unterbrechen. Warum kann ich nicht genau sagen. Drei waren einer zu viel.

Die ganze Geschichte hat mich auf folgende Fragen gebracht:

„Wann wird Selbstbestimmtheit zu Egoismus und wann in Arschlochismus“?

und viele andere:

Kann ich nicht treu sein?

Können wir alle nicht treu sein?

Sollten wir alle nicht treu sein?

Ist Treue Utopie?

Wie viel Lüge ist Treue?

Wie wichtig sind Tabus und Grenzen und für wen?

Ist Monogamie immer beidseitig?

Wann beginnt es unfair zu werden?

Warum reicht mir nicht ein Mensch?

Reicht mir ein Mensch, wenn ich wirklich, wirklich liebe?

Solange es dir gut damit geht und du keinem damit schadest, sagt man, ist es richtig. Richtig?

Sind Bigamie oder Poligamie die moderne Antwort auf die Ehe?

Warum bin ich trotzdem eifersüchtig?

Wie würde die Welt ohne das traditionelle Modell der Ehe aussehen?

Wo hört eine offene Beziehung auf und beginnt Untreue?

Gibt es da nicht immer den Einen, der Bestimmt und der Andere der sich fügt?

Ist alles eine Frage unserer soziokulturellen Prägung?

Ist ein Liebespaar ein Wunschkorsett und gehört zusammen mit der einen wahren Liebe ins Museum?

Und allen voran die einfache Frage:

Was ist Treue und wer bestimmt ihre Definition?

Und wieso gerate ich in Stotterstimme und Erklärungsnot, wenn so wie dort am Tisch unter Freunden davon erzählen will?

Und so sehen die das:

Lotte ist seit mehreren Jahren in einer Beziehung, beide wohnen zusammen, lieben sich, aber lassen regelmäßig die Fetzen fliegen, so richtig – ab und zu schläft sie bei mir auf der Klappcouch. Sie ist der festen Überzeugung, dass der Mensch sehr wohl für „nur“ einen Menschen geschaffen sein und das auch beidseitig ausfallen kann. Wir sind ja schließlich keine Wildtiere und diese ganze Evolutionserklärungskacke hinke und stinke gewaltig und sei eine billige Ausrede von Menschlein, die gerne ungesühnt in der Gegend rumvögeln wollten.

Karl hingegen ist frisch getrennt von seinem Freund, im Guten – und beruft sich auf ein Interview mit Laurie Penny aus dem er sinngemäß erklärt, dass es für den Menschen scheiße nochmal nicht einfach ist, monogam zu leben – noch vor 50 Jahren war die Ehe nämlich kein Liebeskonstrukt sondern eher eine praktische Lebensgemeinschaft. Zu der Zeit hat zumindest der Mann rumgehuselt – ganz zu schweigen von noch früher, den Mätressen. Inzwischen habe sich aber unser Verständnis von Liebe komplett geändert – nur dummerweise die Normen dazu nicht, das Eheleben unterliegt immer noch den gleichen Regeln wie vor Ewigkeiten. Das mache es heute schwer für andere Beziehungsansätze und Umsetzungen von einem Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Tjaha, super – und nun? Unter mir knackt der Boden – vielleicht kracht bald alles ein. Die Frage ist nur, ist die Kuh (ich) dann schon vom Eis? Was meint ihr?

22 Kommentare

  1. AlmA

    Liebe Scalamari Jane,
    ich glaube, jeder von uns hat eine ganz besondere Art zu lieben. Ob dabei nun ein, zwei oder drei (oder vielleicht noch mehr) Partner oder Menschen herauskommen, sich ein Beziehungsgeflecht entwickelt oder man ganz konventionell zu zweit, Händchen haltend, auf dem Sofa sitzt. Ich glaube aber auch, dass es nicht nur die gesellschaftlichen Normen sind, die solche Konstellationen, abseits der Konvention, nicht zulassen, sondern der Mensch ganz einfach zur Eifersucht neigt. Das mag wiederum auch mit der Gesellschaft zu tun haben, weil wir eben mit diesen alten Normen aufgewachsen sind, aber auch damit, dass der Mensch nicht unbedingt ein Teilungstier ist. Der Kommunismus hat schließlich auch nicht funktioniert, und dass vielleicht auch deswegen, weil jeder gerne selbst entscheiden möchte, wie viel er theoretisch sein Eigen nennen darf. Vielleicht muss man sich auch gar nicht darauf festlegen, ob man nun der Zweier-, Dreier- oder Gruppenbeziehungstyp ist, sondern lässt es auf sich zukommen. Nur Menschen zu finden, die genau so denken, oder besser: leben, das ist wohl die eigentliche Schwierigkeit.

    Das ist nur meine Meinung und natürlich nicht in Stein gemeißelt.
    Aber möglicherweise hilft es ja weiter …

    Herzlich grüßend!
    Alma

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      1. Ann

        oder besagter mehr oder weniger geheimjunge..glaub ein bisschen kennen das ganz schön viele, nur die wenigsten sprechen darüber.. & meist besteht in diesen beziehungen, die „mehr sind als ne affaire“ irgendwie doch häufig von nem ungleichen machtverhältnis geprägt, weil einer immer mehr reininterpretiert als der andere.. die wirklich interessanten fragen wären eigentlich: fühlt der andere denn genauso (also nich nur ab und an friends with benefits/extended one night stand/affaire? was wäre, wenn der eine sagen würde, hey, du bist eben doch the one & only..? oder aber, wenn dann der andere jemanden kennenlernt, der auch noch das kleinste bisschen platz für geheimjungen oder -mädchen nimmt..wird dann gelitten oder doch ganz easy weggesteckt? leider sind das grad bei solchen beziehungen die schmerzhaftesten fragen…

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  2. Mari

    Klingt eigentlich nach einer ziemlich schöne Beziehung mit dem ‚Geheimjungen‘. Und funktioniert vermutlich so lange gut, bis das Geheime anstrengend wird weil jemand Anderes zu nah dran ist.

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  3. lilli

    So einen jemand habe ich auch. Manchmal frage ich mich, ob nicht er the one and only wäre… aber irgendwie, nein… schwierig!

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  4. Ich

    Ich glaube, jeder sollte das tun, was ihn glücklich macht. Um fair und vor allem sich selbst treu zu bleiben, stellt man sich am besten jene Frage: Könnte ich mit allen Kosequenzen damit leben, wenn mein Liebster/Ehemann/Monatsbekanntschaft nebenher ein Geheimmädchen hat? Wenn ja, dann nix wie los bzw. weitermachen. Wenn nicht, Schlußstrich unter die Geheimbekanntschaft!

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  5. Shadi

    Hm, die Fragen haben wohl in jeder Beziehung ihre Berechtigung. Auch wenn meine Meinung angesichts neuer Beziehungsformen und Freiheiten als überholt gelten sollte: Ich find die Vorgehehensweise, dem Partner die Wahrheit (und damit mein ich keine harmlosen Flirts) vorzuenthalten, mehr als unfair. Wenn der andere so eine Sonderstellung im Leben einnimmt, wie soll man sich da voll und ganz auf einen anderen einlassen können? Oder ist das für dich auch nur Utopie?
    Ich hab erst kürzlich gemerkt, dass sich der Blick oder die Gedanken auch einem anderen zuwenden können, ich mich dadurch aber zu sehr von meinem Kerl entferne. Das tat weder der Beziehung noch mir gut, auch wenn das Kribbeln schön war.

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  6. marie

    Super interessantes Thema, die Liebe, und wie viele schlaue Köpfe haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen.
    Wie du ja ganz richtig schreibst: vor 50 Jahren gab es noch ganz andere Gründe fürs Heiraten und das große „bis dass der Tod uns scheidet“. Heute dagegen gibt es diese überromantische Vorstellung von perfekter Zweisamkeit, den Seelenverwandten, dem EINEN_der EINEN, wie in all den Filmen/Büchern/Liedern, die sich besonders gut verkaufen. Da geht es dann im Sinne Platons darum, seine „bessere Hälfte“ zu finden, um in diesem Leben glücklich zu werden. Karriere, Kinder, perfekte_r Ehepartner_in – yeah. (Aber ich bin keine Hälfte, ich bin ein Ganzes!)
    Aber wie verrückt ist das denn, dass sich in den letzten 50 Jahren so viel verändert hat in der Liebe. Und was ist nun normal? Und sind Menschen denn nun Herdentiere, oder „Teilungstiere“ (AlmA) oder oder oder? (sind wir überhaupt Tiere?) Oder sind wir da nicht vielleicht auch ganz schön verhunzt worden von dieser Gesellschaft?
    Und so wie es jetzt mit der Ehe läuft, irgendwie ja schon dem Non plus ultra der Liebe, kann unsere Together-Forever zu zweit doch auch nicht korrekt sein, schaut man sich nur mal die viel zitierten Scheidungsraten an. Und erst Recht die schlimmen Jungesell_innenabschiede – noch einmal richtig die Sau rauslassen, eventuell auch nochmal mit jemand anderem schlafen, vor dem Ende der Freiheit (Heirat=Ende der Freiheit: nicht meine Ansicht, nur lassen eben Jungesell_innenabschiede das ganze so wirken).
    So wurde doch eh schon seit längerer Zeit unsere Vorstellung einer lebenslangen Beziehung mit einem_einer Partner_in durch serielle Monogamie ersetzt.
    Die Eifersucht ist auch so eine Sache. Eva Illouz geht ganz interessant an dieses Gefühl und andere heran, indem sie das ganze Gefühlschaos nicht psychologisch angeht, sondern soziologisch begründet. Während Emotionen immer mehr in die Arbeitswelt von Managern & Co Einzug halten – Gewinnmaximierung und so – versteht man Beziehungen gerne als etwas, woran man arbeiten muss, damit sie funktionieren. Kontakt halten ist super, gemeinsam Bob’s Burgers gucken noch besser, aber sobald das Aufrechterhalten einer (Liebes)beziehung eher an reine Erwerbsarbeit erinnert, läuft etwas schief. Und ist in diesem Sinne Eifersucht nicht auch einfach ein kapitalistisches Gefühl?! Mein Fahrrad, meine Eigentumswohnung, mein Mac, meine Frau*/mein Mann*?
    Man hat doch eh einige sehr enge Beziehungen, warum nicht – nach Einverständnis aller – auch mit Sex? So what?

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  7. Fabienne

    Lieber entscheiden, es selbst in die Hand nehmen.
    Sonst entscheidet sich eines Tages jemand anderes und das tut weh!
    Das Gute ist, du musst die Entscheidung nicht „für immer“ treffen und kannst bemerken, dass die Entscheidung falsch war.
    Don’t be a maybe!

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  8. Esra

    Hm, warum entweder – oder?
    Sollen alle monogam oder alle polygam sein?
    Warum nicht jeder, wie er mag?
    Alle Menschen sind unterschiedlich – so sollten es auch die Beziehungsmodelle sein.
    Ich war mal mit einem Polygamen Mann zusammen, er wohnte mit seiner Freundin. Nur eines dazu: sie haben sehr viel und offen miteinander geredet 🙂
    lg
    Esra

    http://nachgesternistvormorgen.de/

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  9. Lena

    Direkt Mitreden kann ich zwar nicht, aber ich muss mal sagen, dass ich den Text einfach super finde. Der erste Abschnitt bringt sicher jeden zum lächeln.

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  10. Ina Nuvo

    Hui, das ist richtig schwierig! Treue und Ehrlichkeit ist mir das A und O in einer Beziehung, aber andererseits muss es ja auch einen Grund geben, warum es den Geheim-Typen immer noch gibt oder? Aber so prinzipiell, wenn du damit leben kannst, und niemanden dabei verletzt, ist das ja in Ordnung… mir wäre glaub ich die Geheimnistuerei irgendwann zu doof…

    Halt die Ohren steif! Das Eis hält viel aus, und so tief ist das Wasser dann ja auch nicht, dass man nicht drin stehen kann 🙂

    Viele liebe Grüße
    Ina • http://www.ina-nuvo.com

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  11. Lena

    Jeder, wie er mag, am besten vieles ausprobieren, solange man noch keine Kinder hat, die dann eventuell unter den Beziehungskomplikationen leiden bzw. einen auch so in Anspruch, dass man auf solche keine Lust mehr hat. Trotzdem bin ich in jeder Lebenslage für Ehrlichkeit – die Entdeckung, dass der Partner ein Geheimmädchen hat, gehört zu dem Abtörnendsten, was ich mir vorstellen kann…..

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  12. Katja

    Naja, spätestens nach diesem Artikel dürfte der Geheimjunge in künftigen Beziehungen ja nicht mehr so geheim sein. Und alle Deine bisherigen Beziehungen fühlen sich spätestens jetzt verarscht, oder? Wenn geheim, dann doch bitte wirklich richtig und für immer geheim. So eine öffentliche Beichte finde ich absurd, sofern Du hier tatsächlich von Dir sprichst und das hier nicht nur fiktiv ist, um mit einer interessanten Kolumne zu provozieren.

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  13. Pingback: Cherry Picks #4 - amazed

  14. LenaFreya

    sorry aber das klingt wie ein getarnter Seitenhieb auf den Ex, der dich neulich verließ… du hast drüber berichtet…

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  15. Lu

    Hi, nette story, über die man sich viele Gedanken machen kann -i like. Die Frage ist doch, wieso willst du dein Gewissen bereinigen, indem du das jemanden erzählst? Ansonsten finde ich, ist es schwierig zu beurteilen. Der geheime war zuerst da, ab wann wird die neue Beziehung so eng, dass man es erzählen sollte? Man weiß doch gar nicht mehr, ob die nächste Bekanntschaft es über eine Affäre hinaus schafft und dann von Anfang an missstimmung machen, wenn sich das
    Ende auch gar nicht entwickelt hat? Wieso soll man ehrlich sein? Das ist für das eigene gewissen, um dann sauber da zu stehen. Wieso macht man die geheime Beziehung, wünscht man sich nicht insgeheim daraus entsteht mehr? Wenn nicht mehr draus entsteht hat man wenigstens noch die Affäre. Wenn es so ist, sollte man eine potenzielle Bekanntschaft nicht aufs Spiel setzen für die geheime Affäre, aus der sowieso nicht mehr wird… Mh.. Das alles wirst du dir nur selber beantworten können. Aber so lange: genieß das Leben in vollen Zügen ist meine Devise.

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