Kein Wunder, dass ich euch bei heiteren 8 Grad auf ganz, ganz dünnes Eis ziehe. In eine dunkle Ecke des Treuelandes hinter den Monogamie-Bergen auf die Selbstbestimmtheits-Avenue, auf der ich mich vor kurzem wiederfand und mir dabei ordentlich das Herz prellte.
Das Thema taute und tauchte auf als eine Beichte vor Freunden bei Wein, dass da seit vielen Jahren – selbst während Beziehungen – stets noch ein geheimer anderer Jemand im Spiel ist. Jemand, für den es nie eine sozial abnickbare, offizielle Schublade gab. Er ist weder Kumpel, noch fester oder bester Freund und wir sind mehr als Affäre. Mal sehen wir uns ständig und dann wieder wochenlang überhaupt nicht. Er ist Teil meines Lebens und ich seines, aber eben nur für uns alleine und still und ja – auch heimlich.
Aktuelle Romanzen, Beziehungen und Affären wussten nie von diesem #JemandohneSchublade, aber ich habe mich trotzdem niemals, nicht mal eine Sekunde, als Betrügerin gefühlt. Er war ja schließlich zuerst da. Auch wenn somit mindestens eine Seite dazu verdammt war komplett im Dunklen zu tappen und von nichts eine Ahnung zu haben, hatte ich anderen Jungs gegenüber nie ein schlechtes Gewissen. Nur ein einziges Mal, eine Beziehung lang, bat ich den Geheimjungen darum, den Kontakt zwischen uns zu unterbrechen. Warum kann ich nicht genau sagen. Drei waren einer zu viel.
Die ganze Geschichte hat mich auf folgende Fragen gebracht:
„Wann wird Selbstbestimmtheit zu Egoismus und wann in Arschlochismus“?
und viele andere:
Kann ich nicht treu sein?
Können wir alle nicht treu sein?
Sollten wir alle nicht treu sein?
Ist Treue Utopie?
Wie viel Lüge ist Treue?
Wie wichtig sind Tabus und Grenzen und für wen?
Ist Monogamie immer beidseitig?
Wann beginnt es unfair zu werden?
Warum reicht mir nicht ein Mensch?
Reicht mir ein Mensch, wenn ich wirklich, wirklich liebe?
Solange es dir gut damit geht und du keinem damit schadest, sagt man, ist es richtig. Richtig?
Sind Bigamie oder Poligamie die moderne Antwort auf die Ehe?
Warum bin ich trotzdem eifersüchtig?
Wie würde die Welt ohne das traditionelle Modell der Ehe aussehen?
Wo hört eine offene Beziehung auf und beginnt Untreue?
Gibt es da nicht immer den Einen, der Bestimmt und der Andere der sich fügt?
Ist alles eine Frage unserer soziokulturellen Prägung?
Ist ein Liebespaar ein Wunschkorsett und gehört zusammen mit der einen wahren Liebe ins Museum?
Und allen voran die einfache Frage:
Was ist Treue und wer bestimmt ihre Definition?
Und wieso gerate ich in Stotterstimme und Erklärungsnot, wenn so wie dort am Tisch unter Freunden davon erzählen will?
Und so sehen die das:
Lotte ist seit mehreren Jahren in einer Beziehung, beide wohnen zusammen, lieben sich, aber lassen regelmäßig die Fetzen fliegen, so richtig – ab und zu schläft sie bei mir auf der Klappcouch. Sie ist der festen Überzeugung, dass der Mensch sehr wohl für „nur“ einen Menschen geschaffen sein und das auch beidseitig ausfallen kann. Wir sind ja schließlich keine Wildtiere und diese ganze Evolutionserklärungskacke hinke und stinke gewaltig und sei eine billige Ausrede von Menschlein, die gerne ungesühnt in der Gegend rumvögeln wollten.
Karl hingegen ist frisch getrennt von seinem Freund, im Guten – und beruft sich auf ein Interview mit Laurie Penny aus dem er sinngemäß erklärt, dass es für den Menschen scheiße nochmal nicht einfach ist, monogam zu leben – noch vor 50 Jahren war die Ehe nämlich kein Liebeskonstrukt sondern eher eine praktische Lebensgemeinschaft. Zu der Zeit hat zumindest der Mann rumgehuselt – ganz zu schweigen von noch früher, den Mätressen. Inzwischen habe sich aber unser Verständnis von Liebe komplett geändert – nur dummerweise die Normen dazu nicht, das Eheleben unterliegt immer noch den gleichen Regeln wie vor Ewigkeiten. Das mache es heute schwer für andere Beziehungsansätze und Umsetzungen von einem Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Tjaha, super – und nun? Unter mir knackt der Boden – vielleicht kracht bald alles ein. Die Frage ist nur, ist die Kuh (ich) dann schon vom Eis? Was meint ihr?