Man wirft Bloggern und Bloggerinnen ja gerne vor, im Wolkeknkuckucksheim zu leben, Social Media verspricht das perfekte Leben, allerhand Avocadobrot und Free Drinks bis zur Alkoholvergiftung. Dass wir die meiste Zeit unseres Alltags tippend und mit Agenturen telefonierend vor dem Bildschirm verbringen, ist bei allem Überfluss kaum vorstellbar, aber ich verspreche euch: Wir sind ganz normale Menschen und ich bin einer mit zu viel Gefühl, Schweißfüßen und einem riesen großen Karma-Problem; so kommt es mir dieser Tage jedenfalls vor, bloß weiß ich selbst noch nicht genau, was ich verbrochen haben könnte. Vielleicht habe ich ich ein, zwei Mal zu heftig über Kinderwagen-Rammböcke und bummelnde Fußgänger geschimpft, während ich in meinem überdimensionierten Ego-Luftverschmutzer-Jeep in die Natur heraus fuhr, um keine Bilder von meinem ungewaschenen Haar zu machen.
Ich weiß nicht, ob ihr euch an den Text aus Sokos Lied „Shitty Day“ erinnert, aber erst neulich sprach er mir so dermaßen aus der Seele, dass ich gewillt war, ihn mir mit einer alten Kugelschreibermiene quer über beide Oberarme zu ritzen. Bratpfannen-Tage wie diese enden für Gewöhnlich mit 300 Gramm feinstem Gruyère für mich allein, ich mag nämlich kein Bier, Käse dafür umso mehr. Diesmal legte ich mich aber nur im Seestern-Modus auf den Boden, alle Viere von mir gestreckt, und hoffte auf bessere Zeiten. Und auf ein komplettes Filmteam, dass die letzten Stunden mit einem lauten Klatschen als Versteckte-Kamera-Episode enttarnen würde. Natürlich passierte nichts dergleichen. Stattdessen nahm das Elend des Alltags seinen Lauf.
Maybe I should put some makeup,
And find some crazy outfits.
But I am very tired today
And I don’t care if I’m not pretty.
Should be like these girls,
Skinny and great all the time.
I’m still wearing my slippers
And eat all the candies at home.
I should sleep more,
And stop going out everyday.
I should focus more,
And stop complaining today.
Nachdem ich mitbekommen hatte, dass die allermeisten Eltern schon seit Monaten an den Karnevalskostümen ihrer Brut schneiderten, legte ich eine ambitionierte Nachtschicht ein, um in letzter Sekunde einen Jogginganzug in Miniaturgröße mithilfe vom neonfarbener Textilfarbe in einen Konfetti-Traum zu verwandeln. Als ich am nächsten Morgen schließlich beseelt und stolz wie Oscar an der Tür der Tagesmutter klingelte, verlor mein Körper jegliche Spannung und mein Gesicht die Fassung, ich muss ausgesehen haben wie Emily Rose. Mein Sohn war das einzige Kind in Kostüm. Mit dieser Erkenntnis wurden aus den bunten Punkten in Lios Gesicht plötzlich Masern, was auch der besorgte Nachbar bemerkte. Ich hatte es schon wieder geschafft, unfreiwillig durch das Supermutti-Raster zu fallen, versuchte das Desaster aber nach purer Absicht aussehen zu lassen, mit eindringlichem Verweis auf meine rheinländischen Wurzeln. Ein aussichtsloses Unterfangen.
Auf dem Weg zum Büro gab ich mein letztes Kleingeld für einen XL-Becher Kakao aus, von dem kein Tropfen in meinem Bauch landete. Nachdem ich beim SMS-Tippen bereits eine komplette Haarsträhne ins heiße Braun getunkt hatte, musste ich einer Taube ausweichen, die keine Anstalten machte, mir aus dem Weg zu fliegen. Dabei verhakte sich der Absatz meiner gesternten Cowboyboots im Straßengully, mein Knöchel klappte sich im 90 Grad Winkel über den Asphalt und das Steißbein küsste die Bordsteinkante, während der Inhalt besagten Bechers sich wie ein Schwall aus Durchfall über meinen royalblauen Mantel aus feinster Schurwolle ergoss. Ich bleib einfach sitzen und redete mir ein, dass es jetzt das Beste sei, den Schmerz als Ausdruck von wahrhaftiger Lebendigkeit anzunehmen. Hätte funktionieren können, wären da nicht die Siebtklässler gewesen, die sich vor Lachen wie zwei Brezeln bogen.
Mein Walk of Shame quer durch Kreuzberg endete nicht mit einer warmen Dusche aus dem wohligen Duschkopf meiner Badewanne, sondern mit schwarzem Blumenkastenwasser, das jemand aus unerfindlichen Gründen von seinem Balkon schüppte, kein Scherz. Ich verfiel in hysterisches, fassungsloses Lachen und nahm noch bevor ich durch die Haustür gehen konnte ein Telefonat aus der Hölle an. Deadline, mehr verstand ich nicht. Scheiße-brüllend stampfte ich die Treppenstufen hinauf, um an meiner verspäteten Abgabe zu arbeiten. Mit einem letzten Aufflackern des Bildschirms gab mein Laptop jedoch noch vor mir selbst auf. Mausetot. Der Reparaturservice prophezeite mir eine siebentägige Bearbeitungszeit, auf ein Leihgerät solle ich auch nicht hoffen, in Berlin sei gerade wirklich der Teufel los. Bei mir auch. Ich schleppte mich trotzdem voller Verve ins Büro, um den Computer von dort in mein Wohnzimmer zu verfrachten, man soll ja bloß nicht aufgeben. Was ich schließlich aber doch voller Inbrunst tat, nämlich als das fehlende Ladekabel auch noch dem letzten Rest meines Hirns das Licht ausknipste.
Ich ließ mich zum Sterben auf den kalten Boden sinken, käselos und von der größten Karma-Keule des noch jungen Jahres erschlagen. Eigentlich wollte ich nichts weiter als in Selbstmitleid ertrinken und dem wütenden Regen lauschen, bis sich plötzlich ein Gefühl von friedlichen Kapitulation in mir breit machte. Ich hatte endlich gelernt, liegen zu bleiben. Und genau dann loszulassen, wenn es am schlimmsten ist. „Pizza?“ tippte ich noch in mein Handy ein, als sie im Radio Eagle Eye Cherry spielten. Save tonight, ganz genau. Ich band mir das Haar zu einem Knoten zusammen und verschwand in die Nacht – In der Gewissheit, heute rein gar nichts mehr tun zu können. Außer das Leben endlich mal an den Eiern zu packen.