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Zeig mir deine Schuhe und ich sag dir, wer du bist.

25.02.2016 Mode, Leben

lieblingsschuhe

Ich habe mir stets große Mühe gegeben, nicht wie ein komplettes Modeopfer zu wirken. Oder wie eine Tussi. Oder wie jemand, dessen Gehirn ausschaut, als hätte man es mit einem Vakuumierer auf Rosinengröße zusammen geschrumpft. Ich ging außerdem jahrelang davon aus, die oben genannten Attribute seien untrennbar mit dem Geschmack einer Frau verknüpft, getreu dem Motto „Zeig mir deine Schuhe und ich sag‘ dir, wer du bist.“ Pinke Pumps – ciao, weiße Stiefel – klarer Fall, Blingbling – Prost, Mahlzeit. Ihr könnt euch sicher vorstellen, was passierte, als ich beim Aufräumen und Aussortieren meines modischen Hab und Guts jüngst einen Strauß aus Lieblingsschuhen auf dem Boden platzierte. Die totale Identitätskrise. Ich fragte mich, ob das da unten tatsächlich mein voller Ernst sein könne und ob ich sie überhaupt noch alle beisammen hätte. Wer würde beim Anblick dieses Fußschmuck-Potpourris schon vermuten, dass deren Besitzerin sich bei einem Konzert von Rage against the machine einst die Nase brach und trotz Blutspur bis zum Bauchnabel noch weitere zwei Stunden auf den Beinen stand. Heute stehe ich in Ballerinas, die Ohren haben. Goldene Ohren. Und eine Stupsnase.

Vielleicht ist es ganz einfach: Ein Schuh dient nicht als Spiegel unseres Charakters, sondern als Seismograph unserer Träume. Er zeigt, wie wir gern wären. Oder besser: Welcher verborgene Teil unserer ohnehin gespaltenen Persönlichkeit nach ein bisschen mehr Aufmerksam verlangt. Es folgt also: Eine kleine Analyse der Sehnsüchte in vier Schritten.

  1. Der Glitzerschuh von Stine Goya.

Als Trampeltier unter den sowieso schon motorisch Untalentierten stelle ich mir häufig vor, wie es wäre, elfengleich durch das Leben zu schweben, statt im Supermarkt jede aus Dosen gestapelte Eck-Pyramide zu streifen bis sie umfällt. Wie herrlich es wäre, den Alltag mit einem Hauch Feenstaub zu garnieren, statt mit 250 Gramm Cornflakes, die sich aufgrund ungeduldig-ungeschickter Aufreißtechniken regelmäßig in jede Küchenfliesenritze legen und wie es sich wohl anfühlen würde, die unermüdliche Disco Queen der Nacht zu sein. Für gewöhnlich kratzt man mich um spätestens halb zwei schlafend von der Theke, um mich mithilfe wildester Gestikulation wieder auf Feiermodus zu tunen. Das güldene Glitter an den Füßen kann zwar an der Realität nichts ändern, aber es hilft, gelassener zu sein. Denn wer in diesen Schuhen zwischen Tomatendosen sitzt, kann nichts weiter tun als laut über sich selbst zu lachen. Und wenn dann noch jemand mit lacht, hat es zumindest geklappt, für jemanden ein kleiner erhellender Stern am grauen Suppenhimmel Berlins zu sein.

2. Die Primärfarben-Cowboyboots von MSGM

Auf meinem Wohnzimmertisch liegt ein Bildband namens „Snapshots of dangerous women“, man sieht darin etliche Fotos mutiger Frauen, die auf sämtliche Konventionen ihrer Zeit pfiffen und lieber wilde Pferde ritten als sich das Haar zu Zöpfen zu binden. Manchmal, wenn ich mit strengem Dutt über der Steuererklärung hänge oder vor dem Herd stehe, wünschte ich mir, ein bisschen mehr wie sie zu sein, unartiger und, wie Lily Allen es formulieren würde, ein „Bad Motherfucker.“ Ich kneife dann zum Beispiel böse die Augen zusammen und bewege mich wie Angelina Jolie in „Mr. und Mrs. Smith“ durch die Wohnung als hätte ich es Faust dick hinter den Ohren. Und obwohl ich das Rauchen längst aufgeben wollte, schnalle ich mir im Angesicht der Tristesse meines Bügeleisens nichts lieber als meine bunten Boots an die Füße, um vor dem echten Leben zu fliehen und mir strammen Schrittes eine heimliche Zigarette durchzuziehen, während der breite Absatz auf dem Bürgersteig klappert und mein offenes Haar mir gegen die roten Wangen peitscht.

3. Die roten Gucci Pumps

Ich hätte außerdem gerne mehr Anmut. Echten Stil, sowas wie eine Aura, die mich und meine Kleidung in jeder noch so unaufgebrezelten Sekunde umgibt, und auch mehr Elan. Ich schaffe es manchmal gut und gerne, vier Tage lang die gleiche Jeans zu tragen, in schlechten Wochen wird sogar nur die Unterwäsche gewechselt und die Socken und das T-Shirt unterm Pulli. Fährt mein Daumen dann seicht über das Display meines iPhones, womöglich während ich in einem der allseits bekannten und immerzu adretten Instagram-Kanäle versinke, dann kann es vorkommen, dass ich mich wie sooft in Pandora Sykes verliebe. Oder Gilda Ambrosia. Oder in Mailand und Paris, wo man noch bunt besohlt und vornehm in der Zeitung lesend von der Käseplatte nascht. Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass Glück und Grazie  nicht käuflich sind, der perfekte rote Schuh aber schon. Und mit ihm die Gabe, sich selbst in stinkender Jeans zu fühlen, als hätte man gerade ein ganzes Stück Gruyère für sich allein gehabt.

4. Die Kitty Ballerinas von Charlotte Olympia

Im Grunde ist kein gutes Haar an dieser plattfüßigen Erfindung der Schuhindustrie zu lassen, in Ballerinas watschelt man wie eine Ente mit Hüftschaden, außer die eigenen Beine sind zwei Meter lang, was eher nicht der Regel entspricht. Noch schlimmer als deren Ästhetik sind aber die Assoziationen, die man, sofern man selbst keines ist, mit sogenannten Ballerinamädchen verbindet. Wer möchte schon den Anschein erwecken, nichts spannenderes mit seinem Leben anzufangen zu  wissen als mit dem Jura-Freund über den Ku’Damm zu schlawänzeln, Mami und Papi auf Sylt zu besuchen oder mit den besten Freundinnen „Der Bachelor“ zu schauen, während die Flasche Jules Mumm „Fruity“ immer leerer wird. Ich zum Beispiel. Ganz selten, wenn das Chaos mein Hirn aufzufressen droht, trickse ich mein Gemüt mit sanften Pfoten aus, die mich zum Schnurren und Jauchzen und auf dem Teppich bleiben bringen. Ballerinas als Weg zur Contenance sozusagen. Und so schlage ich Hundstagen mit Katzenschuhen immer wieder ein Schnippchen – mit Schnurrbart an den Füßen lässt sich nämlich nicht authentisch fluchen, debil lächeln hingegen ganz wunderbar.

15 Kommentare

  1. Madlén Bohéme

    Wie kann man bitte mit Worten dieses Thema so schön beschreiben? Du solltest ein Buch machen, oder so…mit diesen persönlichen Anekdoten und um deine wunderbaren Wortspiele und diese besondere Wortdatenbank die du da hast (ich mein hallo Trampetier und Co.) zu teilen. Große große Beitragsliebe.

    Liebst,

    Madlén von http://www.madlenboheme.com

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  2. Jen

    Sprichst mir aus der Seele. Bin weit von deiner Anmut und Schönheit (4 real!) entfernt, aber mit meinen Schuhen (und auch Taschen) versuche ich genau solchen Träumen wenigstens etwas hinterherzulaufen…
    Livin the dream, Girl! Livin the dream.

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  3. Aglaja

    Ganz prosaisch gesagt: super Text! Und gibt mir zu denken, was es wohl über mich aussagt, dass die meisten meiner Schuhe schwarz sind. Ohoh. 😀

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  4. Leonie Antonia

    Liebe Nike, da ich diesen Text genießen durfte, gehe ich heute leichtfüßiger durch den Tag. Mit Sicherheit! <3

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  5. Sophia

    wie toll, dass jeder der schuhe ein eigenes leben hat und es den passenden einsatz für die treter gibt. habe den text sehr gerne gelesen und bin wieder total hin und weg von den kitty ballerinas.
    und wie herrlich ehrlich zu sagen, dass manchmal nur die unterwäsche und die socken gewechselt werden. es gibt solche tage und ich finde es gut.

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    1. Maria

      Deine neu gefundenen philosophischen Erkenntnisse gefallen mir sehr gut. 🙂
      (Besonders diejenige der Cowboystiefel, Herr Tarantino lässt grüssen.)
      Aber ich hab mich auch gefragt, wo denn die Leo-Boots bleiben..?

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