Als im vergangenen Jahr erste Bilder der Hijab- und Abayas-Kollektion aus dem Hause Dolce & Gabbana im Netz auftauchten, schoss mir ehrlich gesagt nichts weiter als „aha, ganz schön clever!“ durch den Kopf. Der Nahe Osten gab bereits 2014 mehr als 8,7 Milliarden Dollar für Luxusmode aus, rund ein Drittel der weltweiten Haute-Couture-Kundinnen kommt von dort. Domenico Dolce und Stefano Gabbana würden mit ihrer Mode für muslimische Frauen, den prachtvollen Kopftüchern und edlen Gewändern, also zweifelsohne den Nagel auf den Kopf und den Zeitgeist treffen, auch im wirtschaftlichen Sinne. Wo die einen ganz optimistisch von Kulturverständigung sprechen und auch das Auftauchen einer Kopftuchträgerin in der zuletzt viel diskutierten H&M Kampagne von 2015 als fortschrittlich und richtig bewerten, beginnt für andere der ganz große Diskurs. Die Guardian-Autorin Ruqaiya Haris etwa bemängelt im Fall D&G vor allem den Umstand, dass eine (westliche) Gesellschaft, die immer wieder mit Islamfeindlichkeit hadere, offensichtlich nur dann für die muslimisch geprägte Kultur zu schwärmen scheine, wenn ihr ein weißer, kapitalistischer Stempel aufgedrückt wird, wenn es um Geld geht. Und auch die britische Bloggerin Dina Torkia weiß nicht recht, was sie vom neuen Interesse der Modekonzerne an ihrer Religion halten soll: “I dreamed of being included in the mainstream of haute couture, & whilst D&G have managed to recognise us with this collection, they’ve also managed to exclude us.”
Dabei hatten sämtliche Medien doch gerade erst von diesem neuen Geschäftsmodell als wichtigem Schritt hin zu mehr Toleranz samt Vorreiter-Funktion berichtet; Uniqlo zog mit einer Kopftuch-Kreationen in Kooperation mit Designerin Hana Tajima nach, Marken wie DKNY, Tommy Hilfiger oder Mango launchen bereits seit 2014 regelmäßig festliche Ramadan-Kollektionen. Und zwar ganz zum Leidwesen von Sozialistin Laurence Rossignol.
Die französische Ministerin für Familie, Kinder und Frauenrechte empörte sich erst vergangene Woche über Marken, die parallel zur Hauptlinie „Islamic Fashion“ anbieten – sie entzögen sich ihrer sozialen Verantwortung und würden in gewisser Weise für das Einsperren des weiblichen Körpers werben. Dass moderne, muslimische Frauen sich mitunter eigenständig dazu entscheiden, Kopftuch zu tragen, kommt der 58-Jährigen offenbar nicht in den Sinn, was durch einen beeindruckend diskriminierenden Vergleich schnell deutlich wurde. Ohnehin zeigt sich Frankreichs Regierung durch das längst eingetretene Kopftuch-Verbot erschreckend radikal. Ganz so, als gäbe es da nichts zwischen „bejubeln“ und „dagegen sein“. So etwas wie Toleranz oder Respekt zum Beispiel.
Für Gegner von „Islamic-Fashion“ bleibt das Verhüllen des Körpers und des Haars schlussendlich ein Zeichen von Unterdrückung. Für viele selbstbestimmte Musliminnen hingen ist es ein Bekennen zur eigenen Spiritualität. Statt sich das Gesicht zu verschleiern, haben sie etwas zu sagen. Nicht umsonst boomen Hijab-Mode-Tutorials und -Blogs, die vor allem eine junge Zielgruppe bedienen. Dennoch ist das Kopftuch kein Accessoire, sondern ein Politikum. Es steht, jedenfalls ursprünglich, für die Kleinhaltung der Frau, die bis heute nachwirkt.
Da liegt die Vermutung nahe, dass dieses ganze Für und Wider ohnehin längst überholt wäre, müssten laut Koran auch Männer Kopftuch tragen. Zumindest wäre es dann einfacher, das Kopftuch als Mode mit spirituellem Hintergrund zu begreifen, statt sich davor zu fürchten, mit dessen Glorifizierung ein veraltetes, frauenfeindliches Diktat aufrecht zu erhalten. Das Phänomen europäischer Firmen, die separate Kollektionen für den Nahen Osten entwerfen, verknotet also weiterhin Gehirnwindungen und scheidet sämtliche Geister, auch in der Modebranche selbst. Pierre Bergé, der einstige Mit-Begründer von Yves Saint Laurent Couture erklärte jüngst: „Ich dachte immer, dass ein Modeschöpfer dazu da sei, Frauen schöner zu machen, ihnen Freiheit zu geben, und nicht Komplize dieser Diktatur zu sein, die Frauen dazu zwingt, sich zu verstecken (…). Verzichtet auf Geld, habt Überzeugungen!“ Gemeint waren auch Dolce und Gabbana. Die Frage ist bloß: Gibt es überhaupt die eine, richtige Überzeugung?
Es ist doch so: Vor knapp drei Jahren bezwang Raha Moharrak als erste saudische Frau den Mount Everest, aber bis heute hat die christliche Kirche noch „keine Vollmacht zur Gleichstellung der Frau vom Herrn erhalten.“ Vielleicht muss sich die Gesellschaft zunächst als globales Ganzes weiter öffnen, auf beiden Seiten der Weltkugel. Dann gehören Hijabs und Abayas für selbstbestimmte, praktizierende Musliminnen vielleicht irgendwann wie ganz selbstverständlich zur Hauptlinie von Luxusmodemarken und zwar ohne bitteren Beigeschmack.