Über Haare haben wir schon häufiger diskutiert. Nicht nur über solche, die auf dem Kopf wachsen, sondern auch über jene, die im Intimbereich und unter den Achselhöhlen sprießen. Wir empfinden den Diskurs darüber, dass ausnahmslos jede selbstbestimmte Frisur als prachtvoll gelten dürfen muss, nach wie vor als wichtig. Wenngleich es einem Tränen in die Augen treiben sollte, dass die Öffentlichkeit sich in Anbetracht der Natur des Körpers noch immer geniert als sprächen wir von Verwahrlosung, dass es überhaupt noch vonnöten ist, auf die Schönheit von Diversität aufmerksam zu machen und darauf, dass Natürlichkeit einzig durch die perfide mediale Sozialisierung, der wir unterliegen, als eklig empfunden werden kann. Neben der Periode unterliegt vor allem das Schamhaar einer strengen Zensur. Instagram sperrte einst den Feed der Künstlerin Petra F. Collins, man sah ein paar Flusen rechts und links aus dem Höschen ragen. Das war zu viel des Guten. Im Grunde ist der weibliche Körper an sich und exakt das, was zu ihm gehört, schon mehr als die meisten ertragen können. Menstruationsblut etwa wird in der Welt der Hygieneartikelhersteller derart abstrahiert, dass man beinahe meinen könne, unser Uterus stoße statt Gebärmutterschleimhaut ein wohlig duftendes babyblaues Gel der Unschuld aus. Es ist ein wahrer Luxus, sich in seinem Körper wohl fühlen zu dürfen. Und nicht aufgrund seiner Beschaffenheit, Optik und Mechanik benachteiligt zu werden. Der oft proklamierte Drang unserer Generation nach Individualität scheint nämlich ähnlich wie der Spaß genau da aufzuhören, wo die Natur vergessen hat, einen Photoshop-Filter anzuwenden. Das ist nicht neu. Neu hingegen ist aber, dass nun offenbar auch Kinder den Schemen der radikalen „Selbstoptimierung“ unterliegen.
Heute Morgen erreichte uns per Mail die Nachricht einer Leserin. Während ihres letzten Besuchs im Waxing-Studio stolperte Jolki Palki über eine Werbung, die alles übertrifft, was man als denkender Mensch als vertretbar einordnen sollte: Teenies zwischen 12 und 17 Jahren erhalten ab sofort Rabatt auf jede Art der Haarentfernung. Daraufhin schrieb Palki einen offenen Brief, den wir an dieser Stelle mit euch teilen wollen. Auch, um an den Verstand der Betreiber_innen von Wax in the City zu appellieren:
Liebes Wax in the City Marketing-Team,
heute Morgen war ich in einem eurer Studios in Berlin und mein Blick fiel auf eine Broschüre, die in einem Blumentopf aus Plastiksteinchen lag (dass ich diese Dekoration nicht verstehe, ist eine andere Geschichte). Auf der Rückseite befand sich euer Angebot für Teenies zwischen 12 und 17 Jahren – was genaugenommen nicht einmal ein Teenie ist, denn ein Teenie wird man erst mit 13, davor ist man also noch: Kind!
Ein blondes, junges Mädchen, mit Duckface, schaute mich auf der Vorderseite mit gekreuzten Armen an und fragte: „Warum soll ich mich erst mit 18 wohl auf meiner Haut fühlen?“ Ernsthaft, liebes Wax-in-the-City Marketing-Team? Ihr glaubt wirklich, man kann sich nur nach eurem Special Treatment haarlos wohlfühlen?
Der Preisunterschied zu einem gewöhnlichen Waxing für über 17-Jährige liegt bei 7 Euro, Brazilian Waxings werden laut Broschüre erst ab 16 Jahren angeboten, vor dem ersten Waxing ist von jedem minderjährigen Kunden eine unterschriebene Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten vorzulegen. Die Preisliste richtet sich an „teens her“, aber auch an „teens him“.
Wie erreicht diese Werbung ihre Zielgruppe? Sehen Mütter und Väter diese Broschüre in einem eurer Studios und denken: ‚Ah, super, ich habe letztens im Schwimmbad gesehen, dass Alexandra (12,5 Jahre alt) Haare da unten bekommen hat, ich bringen ihr das mal mit’ oder ‚Ui, Maximilian (13 Jahre alt) hat jetzt seine erste Freundin, bestimmt wird sie ihn nur mit gewaxtem Bauch lieben, ich werde ihm davon erzählen und vielleicht einfach beide das nächste Mal mitbringen?’ Ich kann mir diese Situation schwer vorstellen. Sollte die Information doch an die Zielgruppe gelangen, stellt sich mir auch schon die nächste Frage: Welcher Junge unter 18 Jahren würde wirklich in eines eurer Studios gehen, wo zwischen Wartebereich und Empfangsschalter nicht einmal eine Schrittlänge Distanz ist und wirklich alle bei der Anmeldung bereits wissen, welches Waxing inkl. Pofalte man heute bekommt? Soweit ich mich erinnern kann, ist alles, was mit Haaren, Pickeln und Gerüchen in der Pubertät zu tun hat, peinlich und wird versteckt. Oder gehen die unter 18-Jährigen gar mit ihren Eltern zum Waxing?
Vielleicht liegt diese Altersgruppe so weit von mir entfernt, dass ich nicht weiß, was sie beschäftigt. Und nicht selten liest man über frühpubertäre Kinder und 13-jährige Eltern.
Aber brauchen wir heute wirklich Waxing ab 12?
Ab einem gewissen Alter verspürte ich den Wunsch, an bestimmten Stellen glatt und haarlos zu sein und sich nicht mehr mit Rasurpickeln und Rasurbrand abzumühen. Aber hätte ich mir während der Schule ein Waxing von 30 Euro leisten können? 30 Euro (wenn nicht noch weniger) waren mein Taschengeld für einen Monat, später habe ich Nachhilfe gegeben und in der Schulbäckerei ausgeholfen. Davon habe ich mir manchmal ein Top von H&M oder einen Nagellack von p2 gegönnt, oder eine Kinokarte oder ein gutes Buch, um dann wieder dem neuen Monat entgegenzufiebern.
Gilt dieses Teenie-Angebot also nur für reiche Kids aus Berlin Zehlendorf, Hamburg Eppendorf oder München Schwabing? Ich zumindest habe noch nie einen Teenie im Wartebereich in einem eurer Waxing-Studios gesehen. Schon für mich kostet es Überwindung, vor einer fremden Person die Beine zu spreizen und unter einer Neonröhre jede kleinste Körperfalte freizulegen. Wie empfinden Teenies diese Stellung? Gibt es bald auch Waxing-Sprechstunden, so wie es die – zum Glück – beim Gynäkologen gibt?
Liebes Wax-in-the-City Marketing-Team, führt doch lieber Rabatte ein. Für Arbeitslose, Behinderte, Schüler, Studenten, Flüchtlinge, Rentner, Obdachlose. Aber nicht für Kinder zwischen 12 und 17 Jahren.
Haare sind etwas Natürliches, lasst Kinder und Teenies selbst – ab einem deutlich höheren Alter! – entscheiden, ob sie ihre Haare behalten möchten oder nicht. Schreibt ihnen doch nicht vor, wie sie sich wohlzufühlen haben. Oder kann man sich als Kind nur ohne Haare wohlfühlen?
Hier lang geht es zum Facebook-Eintrag.
Danke.