Es gibt sie: Bücher, die uns so beeindrucken, dass wir nach der Lektüre nicht mehr dieselben sind. Die Aha-Momente auslösen und unsere Hirne in einen wahren Gedanken-Tornado stürzen. Ohne die begeisternde, manchmal auch deprimierende Lektüre von Büchern wäre ich heute – vielleicht – keine Feministin.
Welche Bücher das genau sind? Ich könnte duzende aufzählen, habe mich aber schweren Herzens für drei entschieden, um sie euch an dieser Stelle ganz fest ans Herz zu legen: 1. The Handmaid’s Tale, 2. Ein eigenes Zimmer und 3. Memoiren einer Tochter aus gutem Hause.
Margaret Atwood: The Handmaid’s Tale (1985)
Schon klar: Bücher, die man gezwungenerweise in der Schule lesen musste, wurden meist eher nicht zu Lieblingsbüchern. Über The Handmaid’s Tale (Der Report der Magd) sagte meinte Freundin Leonie, die mit mir im Englisch LK hockte: „Da gibt’s doch auch ’nen Film zu, warum sollte ich also das Buch lesen?“ Bestechend logisch, aber die Lektüre des Buches lohnt sich trotzdem. Inhaltlich geht es darum: Die Magd Offred lebt in der Republic of Gilead, wo Frauen eigentlich nur eine Aufgabe haben: Kinder bekommen. Wer das nicht kann, wird zur Arbeit in die gefürchteten Kolonien geschickt. Offred ist keine Rebellin, die meiste Zeit macht sie stoisch ihren Job (sprich: mit dem Chef ihres Haushalts, dem Commander, schlafen). Aber sie wird die Erinnerungen an ihr früheres Leben nicht mehr los: An ihre Familie, ihre feministische Mutter und was es bedeutete, frei zu sein. The Handmaid’s Tale ist eine Dystopie, die aber auf sehr realen gesellschaftlichen Trends in den 1980er Jahren basiert: Rassismus, extreme Religiosität, der Backlash gegen den Feminismus. Alles Dinge, die heute noch längst nicht in die historische Schublade gepackt werden können. Damals habe ich The Handmaid’s Tale nicht als feministisches Buch begriffen – heute bin ich dem guten Herrn Popella dankbar, dass wir im Englisch LK dieses Buch lasen und nicht wie alle anderen Fahrenheit 451.
PS: Der dazugehörige Film ist übrigens kein Meisterwerk, aber hey, es gibt jede Menge 80er Jahre-Frisen und Aidan Quinn. Und Volker Schlöndorff hat Regie geführt!
Virginia Woolf: Ein eigenes Zimmer (1929)
Dieses Buch schenkte meine Schwester mir zu Weihnachten. „Ich glaube, das ist was für dich“, sagte sie. Schlaue Schwester. Ich hatte vorher schon diverse Bücher von Virginia Woolf gelesen (mein ewiger Favorit: Mrs Dalloway), aber Ein eigenes Zimmer noch nicht. Es ist nur ein Essay, ein schmaler Band, aber zu Recht einer der meistzitierten Texte der Frauenbewegung. Auch heute noch, was darauf schließen lässt, dass manche Dinge sich irgendwie seit Jahrzehnten nicht geändert haben. Ganz allgemein geht es Virginia Woolf um Frauen und Literatur. Gleich am Anfang schreibt sie „Eine Frau muss Geld und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können.“ Im Folgenden untersucht Woolf sowohl die Rolle der Frau in der Literatur als auch die Bedingungen, unter denen Frauen Literatur produzieren (können). Die Metapher des „eigenen Zimmers“ taucht immer wieder auf – und natürlich geht es dabei um mehr als nur den (absolut notwendigen) eigenen, physischen Raum. Das bekannteste Beispiel aus dem Essay ist wohl die von Woolf erfundene Schwester von Shakespeare: Wie wäre es einer Judith Shakespeare mit literarischen Ambitionen im 16. Jahrhundert ergangen? (Spoiler: Wir würden heute wohl nicht ihre Werke lesen). Ein eigenes Zimmer zeigt, oft humorvoll, dass Männer vor Frauen, die nicht nur Gegenstand, sondern handelndes Subjekt in der Literatur sind, eine Heidenangst haben. Und es macht Lust darauf, weibliche Autoren (wieder) zu entdecken.
Simone de Beauvoir: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause (1958)
Simone de Beauvoir ist und bleibt meine Lieblingsautorin. Ich habe nahezu alles von ihr gelesen und müsste ich ein Lieblingsbuch von ihr wählen, wäre es wohl Sie kam und blieb. Nachhaltiger geprägt hat mich aber trotzdem ihr erster Memoirenband Memoiren einer Tochter aus gutem Hause. Vielleicht hat mich das Buch so sehr berührt, weil ich mich darin an vielen Stellen wiedergefunden habe: Es war kurz vorm Abi, ich wollte nur raus raus raus in die Welt – es fühlte sich an, als würde mein „richtiges“ Leben jetzt beginnen. Ähnlich ging es Simone de Beauvoir, die in einem strengen, bourgeoisen Pariser Haushalt Anfang des 20. Jahrhunderts aufwuchs. Mädchen wurden auf die Ehe vorbereitet, sie mussten tugendhaft und brav sein – bis dann der perfekte Ehemann gefunden war. Lange Zeit erschien Beauvoir das als ganz vernünftiges Szenario. Bis zu dem Tag, als es Klick machte: „Nein, sagte ich mir, während ich einen Tellerstapel in den Wandschrank schob; mein eigenes Leben wird zu etwas führen. Glücklicherweise war ich nicht für das Dasein einer Hausfrau gemacht.“ Abgesehen davon hatte Papa Beauvoir einen Großteil seines Vermögens im Krieg verloren. Eine Mitgift für die beiden Töchter war also sowieso nicht drin, den eigenen Lebensunterhalt verdienen deshalb angesagt. Es ist faszinierend zu sehen, wie die Ausnahmefrau Simone de Beauvoir ihren Weg findet und letztendlich an der Sorbonne landet, wo sie ihrem späteren Lebensgefährten Jean-Paul Sartre begegnet. Memoiren einer Tochter aus gutem Hause zeigt, dass es sich lohnt, Erwartungen und Rollenbilder zu hinterfragen – und seinen eigenen Weg zu gehen.
Und? Welche Bücher haben euch zu Feministinnen gemacht?
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Julia Korbik (*1988) lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin. 2014 erschien ihr Buch Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene (Rogner & Bernhard). Julia ist Gründerin und zuständige Redakteurin von Mind the Gap, der Gender-Rubrik des sechssprachigen Europa-Onlinemagazins cafébabel. Auf ihrem Blog Oh, Simone dreht sich alles um die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir.