Inside Fashion ist eine überaus beliebte Kategorie sämtlicher Online-Magazine. Eine, die uns immer wieder Einblicke in das ermöglicht, was innerhalb der Modebranche passiert und gedacht wird. Manchmal frage ich mich aber: Wie denkt denn nun der ganze Rest über all das? Über so viel Firlefanz wie bei Gucci zum Beispiel. Das Label bietet schließlich schon unter überaus Mode-affinen Zeitgenossen reichlich Stoff für Diskussionen, für Schwärmereien auf der einen und Augenrollen auf der anderen Seite. Ich starrte gerade mit einem Kaffee in der Hand und womöglich leicht sabbernd, aber auf jeden Fall gedankenverloren auf meinem Bildschirm, der mir die Resort Kollektion 2017 besagten italienischen Labels als Slide-Show anzeigte, da klingelte plötzlich das Telefon. Mein 600 Kilometer weit entfernter bester Freund war an der Strippe. Yannick, 29, Psychologie-Student in den letzten Zügen und außerdem der unerschrockenste, feinfühligste und zugleich kernigste Pfleger, den die Psychiatrie je gesehen hat. „Was machst du so?“ flötet es durch den Hörer. „Bilder gucken“, antworte ich. Und: Willste sehen?“ – „Klar“.
Ich bin, ehrlich gesagt, davon ausgegangen, wenige Sekunde nach der abgeschlossenen Übertragung des Links zur Kollektion nichts weiter als schallendes Gelächter am anderen Ende der Leitung zu vernehmen, inklusive nicht weniger verbaler Polemik. Ich hätte es sogar nachvollziehen können. Aber nichts dergleichen geschah. Ziemlich engstirnig gedacht von mir also. Aus einem anschließend via Skype getipptem Hin und Her ward somit eine neue Kategorie geboren: Fashion from the Outside:
Yannick, sag mal: Hast du überhaupt schonmal was von Gucci gehört?
Aber klar.
Und woran denkst du da?
Mhhh, an irgendetwas zwischen sehr teuer, also luxuriös, und auf absurde Art und Weise auch irgendwie äußerst billig. Vielleicht, weil die Marke so häufig gefälscht wird.
Du meinst bestimmt die Logo-Taschen und -Gürtel, die einem häufig in der Bahn begegnen. Ein waschechtes Gucci-Logo-T-Shirt gibt es demnächst übrigens wirklich wieder zu kaufen. Ich finde ja, Gucci nimmt sich damit selbst ein bisschen auf die Schippe, das mag ich. Herrlich selbstironisch sozusagen:
Aber auch herausfordernd. Ich denke, wer auch immer dieses Shirt trägt, wird penibel genau auf den dazugehörigen Code achten, um nicht mit Hochstaplern verwechselt werden zu können. Das macht man doch heute so: Eine zerrissene Jeans, aber dafür eine Designer-Handtasche tragen. Blöd nur, dass Menschen wie ich diese Codes, zum Beispiel in Form des richtigen Schuhwerks, meist gar nicht lesen können. Ich würde also wahrscheinlich trotzdem denken, diesesT-Shirt sei irgendwo vom Laster gefallen. In Verbindung mit dem Rock gefällt mir das Ganze aber wieder. Passt nicht zusammen, aber dann ja wieder doch irgendwie. Ich würde jedenfalls zwei Mal hinschauen, wenn mir die Dame dort entgegen käme.
Dann stell dir mal vor, jemand käme dir mit diesem güldenen Prachtstück von Gürtel auf der Straße entgegen – dein erster Gedanke?
Schick, aber wirklich sehr, sehr groß. Also enorm. Trotzdem elegant. Ich würde mich dennoch fragen, warum das sein muss. Allerdings nicht auf die gemeine, sondern auf die interessierte Art.
Was glaubst du denn, warum das sein muss?
Weil ihr schön sein wollt. Womöglich verbindet man beim Tragen die eigene Schönheit und Eleganz mit bestimmten Marken. Das kommt mir zwar mysteriös vor, aber so wird es wahrscheinlich sein. Man kauft sich ja quasi nicht nur diesen Gürtel, sondern das ganze Image.
Das Image von dem du da sprichst, hat sich bei Gucci gerade sehr geändert. Alessandro Michele, der neue Chefdesigner, hat die Marke vor ein paar Saisons quasi neu erfunden. Guck mal, das hier sind noch mehr Looks der allerneuesten Kollektion:
Mir gefällt das alles wirklich sehr viel besser als das, was ich klassisch naiv und ohne Branchenkenntnisse mit Gucci verbinde. Weil meines Erachtens mehr die Kleidung selbst in den Vordergrund gestellt wird und weniger die Marke. Und ich sehe da Kombinationen, die ich so noch nicht kannte, die Kollektion hat also für einen Moment meine volle Aufmerksamkeit. Ich muss natürlich nicht alles schön finden, also so schön, dass ich es selbst tragen würde, das ist ja ohnehin ein sehr subjektives Empfinden. Aber es bereitet mir Freude, mir die irrwitzigen Kleider anzuschauen. Ich verstehe schon, dass man die Menschen heute auch ein Stück weit aufheitern und motivieren möchte.
Es gibt aber ziemlich viele Menschen, die nun laut schimpfen und schreien „hässlich“! Dabei finde ich, die Kollektion bringt es auf den Punkt: Mode muss wieder viel mehr Spaß machen.
Hässlich finde ich das Gezeigte überhaupt nicht. Aber sehr mutig. Wer das trägt, muss den Mut dazu besitzen, Spaß zu haben. Und an Spaß kann nichts verkehrt sein.
Auch wenn dabei Katzen auf Pullovern gezeigt werden, die sündhaft teuer sind?
Der Spaß hört in diesem Fall natürlich an der eigenen finanziellen Grenze auf und die ist ja nunmal sehr individuell. Ich selbst würde nicht so viel Geld ausgeben, aber ich kann durchaus verstehen, wenn andere das tun. Solange sie es sich wirklich leisten können, egal ob durch das Verschieben von Prioritäten der Reichtum. Alles andere ist ungesund. Psychologisch gesehen ist es von solchen Brands ja auch geschickt, Produkte künstlich sehr teuer zu machen. So ein Pullover zum Beispiel, der steht ja in keinem Verhältnis zu einem Kleid aus wahnsinnigen Materialien. Aber durch den Preis wird Wertigkeit suggeriert. Und vielleicht sogar guter Geschmack. Ob es sich dann tatsächlich um guten Geschmack handelt, ist streitbar. Die Leute kaufen den Pullover aber wahrscheinlich so oder so.
Da kann man natürlich auch wieder darüber diskutieren, wie sehr sich manch ein Konsument an der Nase herum führen lässt. Nach dem Motto: Da kommt also plötzlich Gucci um die Ecke, macht die Katze zum Thema und poom – auf einmal finden alle die Tierchen toll. Oder hilft uns Gucci vielleicht vielmehr, die Dinge einfach mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten? Das ist wohl die Frage: Purer Brainwash oder angenehme Tellerrand-Erweiterung?
Ich glaube, das ist doch genau der ganze Sinn von (modischer) Innovation. Leute aus der Komfortzone heraus zu locken, ihnen neue Möglichkeiten aufzuweisen. Aber natürlich kann Gucci vom eigenen Namen profitieren, der Brainwash ist quasi ein Produkt der eigenen Vergangenheit. Ich stelle mir das so vor: Als Firma wie Gucci muss man etwas schon gehörig in den Sand setzen, damit die Masse merkt, dass sie es mit Scheiße zu tun hat. Irgendwie sind Unternehmen doch Richter und Henker zugleich. Ganz allgemein glaube ich, es ist gefährlicher zu langweilen, als zu provozieren.
Ja, das ist auf jeden Fall schräg. Es kommt womöglich auf den Kontext an. In Berlin darf man das wahrscheinlich, auf dem Land würde die Leute dich wahrscheinlich anstarren und irritiert bis schockiert aus der Wäsche schauen. Hier ist das Urteil wohl noch stärker vom Betrachter abhängig als bei einem Gürtel.
Ich sitze ja sowieso komplett in der Modeblubberblase fest und frage mich deshalb manchmal, wo überhaupt das Problem begraben liegt, wenn ich in unserem Heimatdorf in glitzernden Boots den Supermarkt betrete. Und dabei geht es mir gar nicht um Gucci- oder Nicht-Gucci. Ist ja wurscht, woher der Schuh kommt.
Naja, Deutschland ist im modischer Hinsicht ja ohnehin schon sehr konservativ, glaube ich. Mode ist hier einfach kein fester Bestandteil der Kultur, oder? Jedenfalls verhält es sich hier im Grundsatz schon ganz anders als zum Beispiel in Italien. Und dann noch diese Skepsis gegenüber Neuem und Ungewohntem oder Leuten, die sich anders verhalten als man selbst, die ist in den Menschen hier tief verankert. Vielleicht eine Konsequenz unserer politischen Vergangenheit.
Es ist ja auch gesund, eine eigene Meinung zu haben. Aber warum ist es bei Mode häufig eine so negative?
Mode ist ein sehr disskutierbare Form, sich auszudrücken, schon allein, weil sie so sichtbar ist. Damit bietet sie bereits auf den allerersten Blick eine enorme Angriffsfläche. Wir sind natürlich auch ein sehr konformes Volk und es ist kein Geheimnis, dass wir uns gern mit dem Persönlichen anderer Menschen beschäftigen und dazu neigen, das Haar in der Suppe zu finden. In Bolivien, wo ich lange war, ist das alles beispielsweise ganz anders. Dort kleiden sich die Frauen auch sehr weiblich und körperbetont. Die anderen Frauen begegnen dem immer überaus positiv, man feiert sich gegenseitig und auch den eignen Körper, ohne zwielichtige Hintergedanken. Hier ist das, laut eigener Erfahrung, anders. Da wird gern mal hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Vielleicht ja, weil man unterbewusst neidisch ist, dass man sich selbst nicht traut? Oder weil wir so lange eingetrichtert bekommen haben, dass eine Frau brav zu sein hat. Und angepasst.
Hast du mir das letztens nicht gesagt: „Die meisten Frauen kleiden sich doch gar nicht mehr für die Männerwelt, sondern für andere Frauen“ ?
Ja, das war ich. Den meisten Männern, die ich kenne, ist es nicht wirklich wichtig, wie sich eine Frau kleidet. Klar, ein hübsches Kleid ist schon nicht schlecht. Aber eine weite Jeans mit T-Shirt kann ja genau so aufregend sein wie ein auffälliger Fummel. Mode triggert in Frauen hingegen womöglich die eigene, narzisstische Seite. Ihr vergleicht euch viel mehr miteinander – so scheint es jedenfalls.
Gucci zeigt Männer- und Frauenmode inzwischen übrigens auf ein und demselben Laufsteg, auch, weil die Gender-Grenzen immer mehr verschwimmen. Für wie realistisch hältst du es, dass sich auch die Masse von festen (modischen) Rollenvorstellungen befreit?
Ich bezweifle, dass unsere Gesellschaft schon so weit ist, sich befreien zu lassen. Dazu müsste sie erst einmal ganz andere Grundsätze verstehen, auch die der eigenen Freiheit. Wobei es in den 80ern ja fast schonmal so weit war. Prince, Bowie…. Aber richtig nachhaltig war diese Bewegung nicht, wir sind eher wieder zurück gefallen, oder? Vielleicht stecken wir da in einem Hamsterrad fest, das auch immer wieder von Wirtschaft und Politik befeuert wird. Wir lieben es, dazuzugehören, also lieben wir auf irgendeine Art und Weise auch Konformität. Das bremst aus. Jedenfalls wenn ich mich ein meinem Umfeld umschaue. Da trauen sich nur sehr Wenige was, weil Auffallen gar nicht so sehr gewünscht ist.
Gibt es für dich eine Einteilung von Mode in die Kategorien vorteilhaft/unvorteilhaft? Mir ist das meist nämlich ziemlich egal. Hauptsache ich finde das, was ich trage, schön.
Aber ja doch, am Ende muss man sich nur wohl fühlen. Das sollte, glaube ich, die einzige Aufgabe von Mode sein.
Ja. Dann hätte ich vielleicht auch mehr Mut.
Für sowas zum Beispiel?
Genau.