Kolumne //
Carrie Bradshaw in Bullerbü.

09.06.2016 Wir, Leben

brain blah thisisjanewayne wie wollen wir leben

Meine Freunde bezeichnen mich liebend gern als pedantischen Interieur-Hammel, ständig muss alles aufgeräumt und umgeräumt werden, Unordnung macht mich unausgeglichen und traurig. Seit ein paar Tagen verläuft allerdings eine hölzerne Eisenbahnstrecke aus rund 95 Elementen quer durch das gesamte Wohnzimmer und eine güldene Saint-Laurent-Sandale, bis hin zur Küche, wo eine rote Lokomotive im Minuten-Takt halt macht, um immer wieder neue Trauben einzuladen. Irgendetwas ist also ganz offensichtlich anders als zuvor. Meine Wohnung jedenfalls mausert sich in großen Schritten zur Villa Kunterbunt, inklusive formschöner Wachsmalstift-Gemälde an den Wänden, einem Indianer-Tipi neben dem Sofa und Duplo-Stein-Bergen am Schlafzimmer-Horizont. Macht aber nichts. Und gestern erst, ich saß zwischen drei Kindern auf dem Boden einer Veranda im Grünen, eines naschte Erdbeeren und wischte sich die Finger an meinem Lieblingskleid sauber, die beiden anderen bauten einen Turm aus gesammelten Steinen, da übermannte mich zum ersten Mal seit Wochen so etwas wie geistige Tiefenentspannung gepaart mit schönster Gleichgültigkeit, noch nicht einmal die siebzehn Holzsplitter in meinem Fuß raubten mir mein neues Rentner-Lächeln. Zur Erklärung: Lios Kita hat sich in die Ferien verabschiedet, ich sitze also ganz tief drin im 24/7-Mama-Boot. Eine, man mag es kaum glauben, komplett neue Erfahrung für mich.

Jeder Tag ein Sonntag, ohne Luft zum Erwachsenensachenmachen oder Zeit für Zweisamkeit zwischen meinem Laptop und mir und all den Mails, uns bleibt ja nur die Nacht. Paradiesisch finden das die einen, ich hingegen musste schon allein beim Gedanken an diese vierzehn Tage beide Arschbacken feste zusammen kneifen – Bis ich irgendwann am selbstgepflückten Salat naschte und vor lauter Seligkeit wie von selbst zum Blumengießen überging. Scheiße, ist das schön. Ich war gerade dabei, mich diesem neuen, wenn auch kurzweiligen Lebenswurf hinzugeben, weniger Arbeit, mehr Kind, weniger Stadt, mehr Land, da flötete jemand aus der anderen Ecke des Gartens so etwas wie „Sauschön, aber überleg mal, das ist jetzt wirklich unser Leben. Wir stehen in einer privaten Grünanlage, bespaßen 2-Jährige und klatschen in die Hände, wenn einer es zum Töpfchen schafft.“ In diesem Moment schob sich unweigerlich das Bild vom Zonk vor mein inneres Auge. Ihr wisst schon, Geh aufs Ganze, das Ratespiel von damals. Die dazugehörige Looser-Melodie wurde in meinem Kopf plötzlich lauter als Bob Marleys Three little birds.

Wir sind jetzt echt die Großen, dachte ich noch, dicht gefolgt von: Will ich das überhaupt? Kann man überhaupt wissen, was man will? Will ich eigentlich lieber Techno? Ich haderte mit mir, so wie es der unentschlossene Tomas in Milan Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins tat, „bis er sich schließlich sagte, es sei eigentlich ganz normal, dass er nicht wisse, was er wolle. Man kann nie wissen, was man wollen soll, weil man nur ein Leben hat, das man weder mit früheren Leben vergleichen noch in späteren korrigieren kann.“ Es ist ja auch nicht so, als würden hier irgendwelche Fehler passieren. Das Leben passiert. Und das ist erst einmal gut. Blöd ist nur, dass manches so schnell geht und anderes nicht schnell genug. Dass immer irgendwer eine Entscheidung von uns erwartet: Torten backen oder Verträge unterschreiben, Handtaschen halten oder ein paar Hühner, ein Kind in die Welt setzen oder kein Kind oder gleich eine ganze Kinderfußballmannschaft, Haus, Hof oder Stadtwohnung, Cafés vor der Tür oder platter Rasen. Was weiß ich schon. Wo morgen doch sowieso schon wieder ein neuer Tag anbricht, mit neuen Ideen, neuen Wünschen, und Zielen. Aber wenn einer nicht locker lässt und unablässlich nach eine Antwort giert, dann habe ich mittlerweile eine einzige parat: Irgendwann wäre ich gern eine Art Carrie Bradshaw in Bullerbü. Im Paradiesvogel-Zwirn durch das echte Leben fegen, Karriere und Fehler und Apfelstreuselkuchen machen, Lio die schönste aller Kindheiten bereiten, selbst Kind bleiben. Ich habe mir für die Zukunft immer das beste aus beiden Welten vorgestellt. Und als ich da so saß, zwischen Kirschen aus dem Garten und den drei Orgelpfeifen, dieser Kolumne im Kopf und einem Radler in der Hand, fühlte ich mich eigentlich schon ein bisschen angekommen. Selten kam mir ein 10-Jahresplan, der mir sowieso schon immer fehlte, so nichtig vor wie gestern. Kein Grund zur Panik also. Der Zonk verschwand aus meinem Ohr und was blieb, waren die Flaming Lips: All We Have Is Now.

17 Kommentare

  1. tam

    <3 Auch wenn ich nicht Mama bin, und es in nächster Zeit nicht vor habe zu werden: ich kann dich so gut verstehen liebe Nike und freue mich, dass du so frei und offen und herzhaft und liebenswürdig geblieben bist. Denn ich beobachte so viele Mütter, die sich selbst aufgeben und du gibst mir Hoffnung, dass das eigene Leben, Kind, Verantwortung und zwischendurch etwas Techno doch vereinbar sind!

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  2. Leni

    Liebe Nike, danke für deinen Artikel(und die 178 anderen inspirierenden)!
    Ich werde dieses Jahr 33 und habe genau dieselben Gedanken im Kopf wie du. Ich dachte immer, dass ich auch ohne Kind mit Partner, Freunden und gutem Job (und natürlich Techno!!!) glücklich werden könnte. Ich hatte Angst, dass die Leichtigkeit verloren geht. Du machst mir Mut, dass das mit der richtigen unverkrampften Einstellung doch funktionieren kann.
    Liebste Grüße von einer großen Bewunderin

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  3. Koko

    Ach, liebe Nike! Dein Text treibt mir gerade Tränen in die Augen. Es ist so toll, dass Du so offen mit diesen Gefühlen umgehst und das hier teilst. Ich erkenne mich wieder und Du gibst mir Mut auch nach außen zu zeigen, das man trotz Mama sein, seine Träume leben kann und sollte. Und von Deiner Gelassenheit in Sachen Wohnungschaos lasse ich mich jetzt mal inspirieren Alles Liebe aus Köln, Koko❤️

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  4. Anna

    Liebe Nike, was soll ich sagen: du hast vollkommen Recht! Auch ich hab bestimmt noch gut 5 Jahre bis mein Bauch wächst und ich dann mehr oder minder erwachsen werden muss. Aber dieser Zwiespalt zwischen Landei und Großstadtliebe beschäftigt mich. Auch ich komme eigentlich aus einer Kleinstadt und lebe mittlerweile im wunderschönen Köln. Ich liebe dieses bunte Treiben hier und dennoch genieße ich diese unfassbare Ruhe inklusive Klatsch und Tratsch auf dem Land. Bei meinem Boy z.B. in der Heimat wohnen 800 Leute und ringsherum ist nichts. Just Friede Freude Eierkuchen und mit Anfang 20 wird geheiratet und ein Haus gebaut. Ist das nicht diese Sicherheit nach der wir uns irgendwie alle sehnen?!…
    Und wo ich diese Zeilen hier tippe überleg ich mir nicht auch einfach mal so einen Blogpost über meine Gedanken dazu zu verfassen. Seh dich als Inspirationsquelle und ein kleiner Teil Glückseligkeiten in meinem Alltag wenn ich gespannt eure Jane Posts lese.

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  5. Andrea

    Ich glaube es ist leichter das alles anzunehmen und darin aufzugehen wenn man schon etwas älter ist beim ersten Kind. Man sollte sich „ausgetobt“ haben um ausgeglichen zu sein und nicht das Gefühl zu haben man verpassst und vermisst etwas. Ich hab viel gefeiert, bin viel gereist und hatte unendlich viel Zeit für mich und tägliche Spontanität. Da war dann Anfang 30 nichts mehr zu verpassen und ich habe mich gefreut dass etwas Neues begann und das Nest genossen. Bei uns bleibt es bei einem Kind und ich bin trotzdem sehr gern Mutter. Kein Widerspruch. Bin froh auch wieder mehr Zeit für mich zu haben und sehe meinem 11jährigen staunend zu wie er groß wird.
    LG Andrea

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    1. Nike Jane Artikelautorin

      Ich glaube, es gibt kein leichter und schwerer und Pro- sowie Contra-Argumente für beide Modelle: Jung Mama sein oder erst später Mama sein. Ich liebe es zum Beispiel, eine junge Mama zu sein. Meine eigene Mama hingegen, kann sich gar nicht entscheiden, was schöner war: Mich hat sie mit 25 bekommen, meine jüngste Schwester erst mit 39. Sie sagt: Beides super, aber ganz, ganz anders. <3

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      1. Jen

        Genau! Der Satz passt doch zum Thema wann Kinder kriegen auch perfekt:
        Man kann nie wissen, was man wollen soll, weil man nur ein Leben hat, das man weder mit früheren Leben vergleichen noch in späteren korrigieren kann.
        Es gibt kein richtig und kein falsch, Kinder sind nie gut oder schlecht, es ist einfach so gut, wie es ist!

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  6. Sophie

    Das hast du schön gesagt. Und du hast recht damit, dass man manchmal seine Pläne lieber über Bord wirft und das Leben einfach geschehen lässt.

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  7. Zhenya

    Hach, du! Kunderas „die unendliche Leichtigkeit des Seins“ und der Bezug zu den Flaming Lips – Zuckerstreusel auf diesem saftigen Stück Kolumne-Kuchen <3

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