Zwischen Carrie Bradshaw & Bullerbü

13.06.2016 Allgemein, Kolumne

Meine Freunde bezeichnen mich liebend gern als pedantischen Interieur-Hammel, ständig muss alles aufgeräumt und umgeräumt werden, Unordnung macht mich unausgeglichen und traurig. Seit ein paar Tagen verläuft allerdings eine hölzerne Eisenbahnstrecke aus rund 95 Elementen quer durch das gesamte Wohnzimmer und eine güldene Saint-Laurent-Sandale, bis hin zur Küche, wo eine rote Lokomotive im Minuten-Takt halt macht, um immer wieder neue Trauben einzuladen. Irgendetwas ist also ganz offensichtlich anders als zuvor.

Meine Wohnung jedenfalls mausert sich in großen Schritten zur Villa Kunterbunt, inklusive formschöner Wachsmalstift-Gemälde an den Wänden, einem Indianer-Tipi neben dem Sofa und Duplo-Stein-Bergen am Schlafzimmer-Horizont. Macht aber nichts. Und gestern erst, ich saß zwischen drei Kindern auf dem Boden einer Veranda im Grünen, eines naschte Erdbeeren und wischte sich die Finger an meinem Lieblingskleid sauber, die beiden anderen bauten einen Turm aus gesammelten Steinen, da übermannte mich zum ersten Mal seit Wochen so etwas wie geistige Tiefenentspannung gepaart mit schönster Gleichgültigkeit, noch nicht einmal die siebzehn Holzsplitter in meinem Fuß raubten mir mein neues Rentner-Lächeln. Zur Erklärung: Lios Kita hat sich in die Ferien verabschiedet, ich sitze also ganz tief drin im 24/7-Mama-Boot. Eine, man mag es kaum glauben, komplett neue Erfahrung für mich.

Jeder Tag ein Sonntag, ohne Luft zum Erwachsenensachenmachen oder Zeit für Zweisamkeit zwischen meinem Laptop und mir und all den Mails, uns bleibt ja nur die Nacht. Paradiesisch finden das die einen, ich hingegen musste schon allein beim Gedanken an diese vierzehn Tage beide Arschbacken feste zusammen kneifen – Bis ich irgendwann am selbstgepflückten Salat naschte und vor lauter Seligkeit wie von selbst zum Blumengießen überging. Scheiße, ist das schön. Ich war gerade dabei, mich diesem neuen, wenn auch kurzweiligen Lebenswurf hinzugeben, weniger Arbeit, mehr Kind, weniger Stadt, mehr Land, da flötete jemand aus der anderen Ecke des Gartens so etwas wie „Sauschön, aber überleg mal, das ist jetzt wirklich unser Leben. Wir stehen in einer privaten Grünanlage, bespaßen 2-Jährige und klatschen in die Hände, wenn einer es zum Töpfchen schafft.“ In diesem Moment schob sich unweigerlich das Bild vom Zonk vor mein inneres Auge. Ihr wisst schon, Geh aufs Ganze, das Ratespiel von damals. Die dazugehörige Looser-Melodie wurde in meinem Kopf plötzlich lauter als Bob Marleys Three little birds.

Wir sind jetzt echt die Großen, dachte ich noch, dicht gefolgt von: Will ich das überhaupt? Kann man überhaupt wissen, was man will? Will ich eigentlich lieber Techno? Ich haderte mit mir, so wie es der unentschlossene Tomas in Milan Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins tat, „bis er sich schließlich sagte, es sei eigentlich ganz normal, dass er nicht wisse, was er wolle. Man kann nie wissen, was man wollen soll, weil man nur ein Leben hat, das man weder mit früheren Leben vergleichen noch in späteren korrigieren kann.“ Es ist ja auch nicht so, als würden hier irgendwelche Fehler passieren. Das Leben passiert. Und das ist erst einmal gut. Blöd ist nur, dass manches so schnell geht und anderes nicht schnell genug. Dass immer irgendwer eine Entscheidung von uns erwartet: Torten backen oder Verträge unterschreiben, Handtaschen halten oder ein paar Hühner, ein Kind in die Welt setzen oder kein Kind oder gleich eine ganze Kinderfußballmannschaft, Haus, Hof oder Stadtwohnung, Cafés vor der Tür oder platter Rasen. Was weiß ich schon. Wo morgen doch sowieso schon wieder ein neuer Tag anbricht, mit neuen Ideen, neuen Wünschen, und Zielen.

Aber wenn einer nicht locker lässt und unablässlich nach eine Antwort giert, dann habe ich mittlerweile eine einzige parat: Irgendwann wäre ich gern eine Art Carrie Bradshaw in Bullerbü. Im Paradiesvogel-Zwirn durch das echte Leben fegen, Karriere und Fehler und Apfelstreuselkuchen machen, Lio die schönste aller Kindheiten bereiten, selbst Kind bleiben. Ich habe mir für die Zukunft immer das beste aus beiden Welten vorgestellt. Und als ich da so saß, zwischen Kirschen aus dem Garten und den drei Orgelpfeifen, dieser Kolumne im Kopf und einem Radler in der Hand, fühlte ich mich eigentlich schon ein bisschen angekommen. Selten kam mir ein 10-Jahresplan, der mir sowieso schon immer fehlte, so nichtig vor wie gestern. Kein Grund zur Panik also. Der Zonk verschwand aus meinem Ohr und was blieb, waren die Flaming Lips: All We Have Is Now.

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