Es ist mir egal, ob mir eine männliche Schulter Trost schenkt, eine weibliche, irgendwas dazwischen oder ob ich selbst eine große Kanne Tee für den stärksten meiner Jungsfreunde brühe. Jeder braucht irgendwann einmal jemanden, der Händchen hält und zuhört und Schlaues sagt. Ich frage mich bloß, weshalb wir so selten danach fragen.
Die meisten von uns schreien lieber das Kopfkissen an als sich vor den Augen anderer einen Moment lang zu verlieren. Wir schlucken Trauer lieber runter und füttern verfressene Magengeschwüre als anderen mit unseren Gedanken auf die Nerven zu gehen, man will ja niemanden belasten. Das Wetteifern um Mitgefühl hört offenbar genau dort auf, wo ein mittelstressiger Job nichtig wird und echte Traurigkeit anfängt. Womöglich, weil es in einer maroden Welt schick geworden ist, innerlich wie äußerlich heile zu sein, beinhart und optimistisch und unkaputtbar.
Schwäche zeigen fällt schwer, zu groß ist die Befürchtung, auf Ewig mit dem Trauerkloß-Stempel gebrandmarkt zu werden, oder schlimmer noch: Dem Fishing for Mitleid-Prinzip bezichtigt zu werden. Besser ist es, die Zähne fest zusammen zu beißen, das Quietschfidel-Lächeln aufzusetzen und tapfer zu bleiben. Etliche Bücher-Bestseller-Listen befeuern noch dazu das Bild des menschlichen Steh-Auf-Männchens: Selbst-Motivation lautet der Tenor. Bloß niemals liegen bleiben. Dachte ich auch immer.
Als Parade-Beispiel der klassischen Profi-Verdrängerin habe ich es streckenweise sogar vollbracht, sämtliches negatives Gefühl vor mir selbst zu verbergen. Nichts kann schließlich als Legitimation zum Weinen dienen, wenn es andere doch noch viel dicker trifft. Und macht nicht erst das Nachdenken richtig unglücklich? Deshalb: Mehr Zusammenreißen, weniger Reinsteigern – bis irgendwann der Knoten platzt. Oder der Kopf. Oder der Bauch. Dabei gibt es von allem ein zu viel, auch zu viel gute Laune.
Vor ein paar Tagen jedenfalls habe ich einen Selbstversuch über das verabredete Gruppenkuscheln gelesen, ich wünschte mir einen weiteren Termin für kollektives Tränen verdrücken herbei. Nicht, weil ich keine Freunde hätte, die mit aller Liebe wischen und Taschentücher halten würden, sondern weil so ein halbanonymes Wolfs-Geheule von ganz tief unten auf regelmäßiger Basis womöglich Wunder vollbringen könnte. Ich habe keine Lust mehr, mir anzuhören, dass es bald besser wird. Ich will leiden dürfen, nicht immer, aber dafür mit Vollgas. Wie wäre es beispielsweise mit fünf Minuten am Tag Zweitausendfuckzehn-Meditation? Ich glaube sogar, das täte uns allen gut, für einen kurzen Moment lang das Gefühl haben zu dürfen, die ärmste Sau der Welt zu sein, um anschließend zumindest ein Stück weit befreit wie Phoenix aus der Asche in den Alltag zu entgleiten. Auch mehr Kommunikation im Alltag, über Zweifel, Ängste und Sorgen etwa, könnten zugleich mehr Aufrichtigkeit und weniger Fassade bedeuten. Im besten Fall sogar mehr Tiefgang, der im Umkehrschluss Platz für echte geteilte Freuden und momenthafte Freundschaften mit Bekannten schafft.
Gut möglich, dass man ohnehin erst so richtig stark ist, wenn man sich endlich getraut hat, voller Innbrunst schwach zu sein. Schämen braucht sich dafür wirklich niemand mehr.