Ich habe keinen Kleiderschrank, ich habe ein Gäste-WC. Einen begehbaren Toiletten-Schrank sozusagen, in dem alles außer Kleidung horten, raussuchen und wieder reinhängen, strengstens verboten ist. Dieser Ort ist so etwas wie ein Geheim-Ort, ein schwarzes gigantisches Loch, das Socken frisst, Refugium für meditative Outfit-Auswahl-Minuten und Austragungsort diverser Nervenzusammenbrüche ob des anhaltenden Chaos. Ich möchte das nicht mehr. Ich möchte meinen Gästen wieder nach Baumwollblüten riechende Duftstäbchen präsentieren, Häkel-Hüte für Papierrollen bei Oma klauen und exquisite Seife aufstellen, die mir für meine eigenen Hände zu schade ist. Ich möchte wieder einen Kleiderschrank haben. Einen einzigen, mittelgroßen, mehr nicht. Und ich möchte, dass all mein modisches Hab und Gut dort hinein passt, ohne Quetschen und Stopfen und Verlieren und Vergessen. Vor lauter T-Shirt-Stapel-Bäume habe ich den Wald schon seit Monaten nicht mehr gesehen und wenn es so weiter geht, droht mir womöglich die völlige Erblindung.
Ich ersaufe ja schon jetzt in meinem erste Welt Problem und klinge zuweilen wie eine dieser von den Medien propagierten Toastbrot-Frauen, deren Vakuum im Kopf zu nichts als wahnsinnig-verzweifeltem Kicher-Gejammere im Angesicht der kleidsamen Überforderung führt. Nur, dass ich nicht kichere, sondern fluche: Ich habe nichts zum anziehen. Jedenfalls nichts, was ich jetzt gerade wirklich anziehen will. Dabei hängen die Stangen voll. Das Problem liegt also nicht im Kleiderschrank, sondern in meiner Unzufriedenheit. Und in meinem Überfluss.
Eine interne Freundeskreis-Studie hat ergeben: Damit bin ich nicht allein. Sogar viele Freundinnen, die jobtechnisch überhaupt rein gar nichts mit Mode am Hut haben, haben modisch gesehen einen an der Klatsche. Tatsächlich suhlen sich nur die Wenigsten in Glückseligkeit. Dabei besitzen wir alle mehr als genug.
Schuld daran ist vielleicht das Vergessen von Besonderem zwischen all den Zufallskäufen. Das ständige Nachladen, weil es so einfach ist. Einfacher jedenfalls als das Gedankenmachen über neue Möglichkeiten, die einem im Zweifel schon längst zu Füßen liegen. Wenn aber wirklich und wahrhaftig alles vor den Füßen, auf dem Boden und zwischen Wäschebergen liegt, fehlt jegliche Motivation dazu und manchmal sogar der Glaube daran. Dann klopft das Hirngespinst an unseren Denklappen und fordert uns dazu auf, ein perfektes Oberteil zum neuem Rock zu kaufen. Die alten taugen ja nichts, oder sitzen nicht, oder sehen schlichtweg nicht gut genug aus. Überhaupt passt das ja sehr gut in den unserer Generation attestierten Umgang mit Käuflichem: Wenn der Fön schwächelt, wird schließlich auch ein Nachfolger besorgt. Ich wüsste tatsächlich noch einmal, wo man ein solches Gerät reparieren lassen könnte. Wie man den eigenen Kopf repariert, hat man aber immer noch selbst in der Hand.
Nun befeuere ich mit meinem Beruf natürlich tagtäglich die Gier nach diesem Mehr, das ich hier an den Pranger stelle. Und an dem ich selbst leide. Ab und an zu erwähnen, dass Inspiration nicht zwangsläufig in einem übereifrigem Kauf münden muss, sondern vornehmlich dazu dienen soll, sich dann und wann eine ganz persönliche Kirsche heraus picken zu können, hilft uns allen nicht. Auch mein morgendliches Mantra „einfach arbeiten statt anziehen“ bringt nicht viel. Ich bin eben trotz allem Verfechterin des positiven Kleider-Gefühls, weil der Körper nunmal die einzige Leinwand ist, die wir in unserer Freizeit frei gestalten können. Weil Mode gute Laune verbreiten kann, in uns selbst und in anderen. Weil dieses Spielfeld mein liebstes ist. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Bis zum Wochenende zum Beispiel, außer, jemand hat Geburtstag. Bis zur Deadline-Phase, in der Trockenshampoo alles ist, was mein Antlitz noch zu retten vermag. Dann merke ich, wie dieser berufliche Mittelpunkt im Privaten zur größten Nebensächlichkeit wird. Und wie zufrieden ich in den immer wieder gleichen Jeanshosen, T-Shirts und grauen Sweatshirts durch den Alltag schlurfe. Von Menschen, die mich wirklich lange kennen, werde ich immer wieder gefragt, ob es meinem Naturell nicht irgendwie auch entsprechen würde, die „Besitzt ist belastend“-Schiene zu fahren. Das ist dann der Moment, in dem ich manchmal traurig werde. Ich weiß nämlich, dass ich ohne all das könnte. Bloß habe ich mich zumindest für den Moment für das genaue Gegenteil entschieden, dafür, dass ich all das nicht brauche, aber möchte. Nur weniger davon, das wäre nicht nur rat-, sondern auch heilsam. Ich versuchs.
Ein richtiger Kleiderschrank ist bereits auf dem Weg zu mir, „The Magic Cleaning“ habe ich mittlerweile brav zu Ende gelesen, erste Ikea-Tüten voll mit Kleidung, die es anders wo besser hätte, quer durch Deutschland geschickt. Als nächstes ist das Schuhregal dran. Die Socken-Kiste. Und das Einheits-Grau meiner verwaschenen Unterwäsche. Nach dem Ausmisten muss allerdings vor dem Ausmisten sein: Für jedes neue Teil muss künftig ein altes gehen. Damit die Leichtigkeit nicht verloren geht, genau wie die Kreativität und die Laune am Zusammenwürfeln und Kombinieren. Seit sich das textile Dickicht nach und nach lüftet, fühle ich mich jedenfalls selbst auch ein bisschen leichter, zufriedener und weiter weg vom Druck.
Neben dem Bett habe ich jetzt außerdem vorübergehend eine kleine Kleiderstange platziert, an der nur hängt, was gerade tatsächlich getragen wird. Ich muss also nicht mehr ins Klo. Und am allerbesten: Ich habe weniger Auswahl und damit seltsamer Weise viel mehr Möglichkeiten als zuvor.
Was wir noch tun können, hatte Sarah Jane uns bereits an anderer Stelle als 10-Punkte-Detox-Plan ans Herz gelegt. Hier also klein Reminder, kurz vor dem Wochenende, vielleicht macht ihr ja mit mir gemeinsam in Gedanken Tabula Rasa:
1. Nimm dir 2 Stunden Zeit und gehe durch deinen gesamten Kleiderschrank.
2. Hab‘ direkt ein paar Kleidersäcke und Kartons griffbereit, um deine Kleidungsstücke zu sortieren: Schlechte Qualität? Fehlkauf? Falsche Größe?
3. Musik an, und los:
4. Nimm‘ alles aus deinem Kleiderschrank raus. ALLES!
5. Nimm‘ jedes Kleidungsstück in die Hand und entscheide, ob du es behalten willst, oder nicht – und sortiere es in die Boxen.
6. Bewahre folgende Stücke außerhalb deines Kleiderschranks auf: Kleider, bei denen du dir nicht sicher bist, die einen sentimentalen Wert für dich haben oder die gerade einfach nicht in Jahrzehnt passen.
7. Bring alles, was ausgebessert oder geändert werden soll, zu einem guten Schneider.
8. Verkaufe, spende oder verschenke deine ausrangierten Stücke.
9. Ordne deinen Kleiderschrank jetzt neu + überleg dir ein für dich funktionierendes System: Nach Farbe, nach Kleidungsart oder vielleicht sogar direkt nach Look?
10. Tadaa: Entweder du genießt das bisschen Ruhe jetzt in deinen Schubladen und auf deinen Stangen oder füllst den leeren Platz zur Belohnung mit frischem Kleider-Wind, der dir wirklich gut tut.