Gedanken zu Orlando //
Weil Liebe Liebe ist.

pray for orlando love is love
Ein paar Gedanken, vier Tage nach dem Attentat.

Vier Tage ist das Attentat mittlerweile her. Ach, was heißt hier Attentat. Das klingt noch viel zu harmlos. In Wirklichkeit reden wir nicht von einem Attentat, sondern vom größten Hass-Verbrechen an der LGBT-Gemeinde seit dem Zweiten Weltkrieg. 53 Menschen sind verletzt, davon viele schwer. 49 sind tot. Umgebracht innerhalb weniger Stunden von einem, der in blindem Hass auf jene schoss, die er als anders, als bedrohlich empfand.

Vier Tage nach diesem Verbrechen kommen immer neue Details ans Licht. Über die Opfer. Über den Täter. Vor allem über den Täter: Omar Mateen, 29 Jahre alt, US-Amerikaner mit afghanischen Wurzeln. Er soll einen Treueschwur auf den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) geleistet haben, diese international operierende Mordmaschinerie. Mateen, so ist der aktuelle Stand, scheint sich alleine, im stillen Kämmerlein radikalisiert zu haben. Er brauchte kein IS-Ausbildungscamp, er brauchte nur das Internet. In amerikanischen Medien wird spekuliert, Mateen sei selbst homosexuell gewesen: ein radikaler Islamist, der mit seiner eigenen Sexualität nicht klar kam. Wissen werden wir es wahrscheinlich nie – Mateen ist der 50. Tote bei dem Massaker im Pulse, erschossen von der Polizei.

Latente LGBT-Feindlichkeit

Was wir aber wissen: Omar Mateen mag derjenige gewesen sein, der zur Waffe griff und seine Mordfantasien auslebte – sein Hass auf die LGBT-Gemeinde ist aber nichts Ungewöhnliches. In den USA ist er vielmehr salonfähig. Da wird homosexuellen Paaren die Trauung verweigert, Transmenschen wird vorgeschrieben, welches Klo sie zu benutzen haben und Evangelikale verkünden regelmäßig, alles jenseits von Heterosexualität und-normativität sei eine Sünde. In Deutschland haben wir keine evangelikalen Hassprediger, aber im LGBT-Traumland leben wir hier auch nicht.

Kurz nach dem Attentat im Pulse schrieb mir ein Bekannter eine traurige Nachricht. Er identifiziert sich als genderqueer: An manchen Tagen trägt er einen Anzug, an anderen ein Kleid. Orlando hat ihn sehr mitgenommen, denn auch er erlebt in der deutschen Kleinstadt, in der er studiert, Diskriminierung – weil er ein Kleid und eine Perücke trägt, wenn er da gerade Lust drauf hat, und weil andere Menschen sich deswegen über ihn lustig machen, ihn beschimpfen. Orlando ist für ihn im gewissen Sinne sehr nah – viel näher, als ihm lieb ist. Deutschland habe ein großes Problem mit latenter LGBT-Feindlichkeit, sagt er und dass das viel zu wenig diskutiert werde.

Prüde, zickig, „Homos“

Ich kenne Männer, die es nicht ernst nehmen, wenn eine Frau lesbisch ist. Die denken: Der ist nur noch nicht der Richtige begegnet. Die immer davon ausgehen, dass lesbische Sexualität etwas ist, was Frauen für Männer inszenieren. Zwei Frauen, die sich in einer Bar küssen? Heiß! Wenn diese Frauen aber danach nicht bereit sind, Männer in ihre Make-Out-Session miteinzubeziehen, sind sie ganz schnell prüde, zickig, „Homos“. Von Homosexuellen wird entweder erwartet, dass sie dem Klischee entsprechen („Der redet schon so tuntig“) – oder, dass sie dem Klischee eben nicht entsprechen („Ich finde es gut, dass du für eine lesbische Frau so gar nicht männlich wirkst“). Bisexuelle gelten wahlweise als hemmungslos („Die können ja theoretisch mit jedem ins Bett gehen!“) oder faul („Die wollen sich doch nur nicht entscheiden.“).

Dass meine Oma über Homosexuelle sagt, diese seien „verkehrt herum“ und findet, Männer sollten sich in der Lindenstraße nicht küssen, weil, da könnten ja Kinder zusehen, ist die eine Sache. Meine Oma ist Mitte 80. Die andere Sache ist, dass auch viele Menschen meiner Generation eimerweise Klischees verbreiten, wenn es um LGBT gehen – und so tun, als sei alles, was nicht weiblich/männlich und heterosexuell sei, eben queer, irgendwie die Ausnahme, irgendwie exotisch. Auch in Deutschland halten schwule Paare auf der Straße lieber nicht Händchen. Auch in Deutschland sagt meine lesbische Freundin ihrem Chef lieber nicht, dass sie sich in einer festen Beziehung mit einer Frau befindet. Auch in Deutschland trauen sich viele Menschen nicht, ihre Geschlechtsidentität offen auszuleben.

Liebe allein hilft manchmal nicht

Wenn wir über Orlando sprechen, müssen wir über viele Dinge sprechen. Wir müssen über Waffengesetze sprechen, mal wieder. Wir müssen über islamistischen Terror sprechen, mal wieder. Wir müssen über Religion und Integration sprechen, mal wieder. So viele Themen, die zusammenhängen, die miteinander gedacht werden müssen. „Love trumps hate“ lautet die optimistische Botschaft, die nun durch die sozialen Netzwerke wandert. Die traurige Wahrheit ist: Liebe hilft nicht gegen den internationalen Terror. Sie hilft auch nicht gegen die latente oder offene Diskriminierung von LGBT. Ehrlich gesagt, ich weiß gerade nicht, was hilft. Aufklärung vielleicht. Hinschauen, den Mund aufmachen. Eigene Vorurteile hinterfragen. Vielleicht. „Love trumps hate“. Ich würde da gerne dran glauben.

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Von Julia Korbik.
Julia Korbik
(*1988) lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin. 2014 erschien ihr Buch Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene (Rogner & Bernhard). Julia ist Gründerin und zuständige Redakteurin von Mind the Gap, der Gender-Rubrik des sechssprachigen Europa-Onlinemagazins cafébabel. Auf ihrem Blog Oh, Simone dreht sich alles um die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir.

Alle Artikel von Julia auf einen Blick.

8 Kommentare

  1. Ana

    Mund aufmachen hilft! Veränderungen vollziehen sich langsam, aber sie sind unaufhaltsam. Ich glaube fest daran, dass in 50 Jahren davon geschrieben sein wird, wie im frühen 21. Jahrhundert die rechtliche, politische, gesellschaftliche Gleichberechtigung der LGBT-Gemeinschaft erreicht wurde. Es mag uns jetzt so vorkommen, als würde nichts schnell genug voran gehen (und wahrscheinlich stimmt das auch), aber letztendlich wird der Wandel vollzogen sein. Vorausgesetzt, wir lassen uns nicht entmutigen und kämpfen weiter für die Rechte aller.

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  2. Iris Wolf

    Genauso, man/frau darf sich einfach nicht entmutigen lassen. Veränderungen sind von vielen nicht gewünscht, weil es bedeutet, dass man die Sicherheit des Vertrauten verlassen muss. Aber Veränderung ist das einzige, was Bestand hat und gehört zum Leben dazu.

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  3. Melanie

    Erst am Samstagabend beim Weggehen wieder erlebt. „Echt jetzt? – Du siehst gar nicht so aus. Was für eine Verschwendung…“ Erwartet man dann als Mann dann noch ein Danke für das „Kompliment“. Ich weiß es nicht.
    Und dann wieder das Gegenteil, als gestern zwei Mädchen, die sich in der Uni küssten von einer Security dazu aufgefordert wurden, dies doch zu unterlassen, da es „nicht sexy aussieht und es öffentlicher Raum ist“.
    Im LGBT-Traumland leben wir leider echt nicht und ich glaub aus anderer Perspektive kriegen das viele gar nicht mit, wie es ist, wenn man sich in der U-Bahn lieber nicht küsst, weil man nicht angequatscht werden und nach einem Dreier gefragt will.

    Danke auf jeden Fall für den Artikel, sehr schön geschrieben und auf den Punkt gebracht.

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  4. jen

    ein total wichtiges Thema, das in letzter Zeit mit der Haltung „ich erzähle doch auch niemandem, auf wen ich stehe, warum muss einem das ständig ins Gesicht gerieben werden“ augenrollend abgewatscht wurde. Von Heteros natürlich. Natürlich ist es schön, dass die Gesellschaft in Teilen Queer sein mehr akzeptiert und „hinnimmt“. Aber wo ist der Respekt? Es wird doch immer noch belächelt und abfällig beurteilt. Schlimm!
    Ich bin selber Hete und Mutter zweier Töchter. Was möchte ich denen für Werte vermitteln? Dass manche gleicher sind als andere??
    Ich denke, Mund aufmachen hilft – vor allem und gerade, wenn man nicht selbst Betroffener ist. Wir, die breite Masse, müssen loslegen, damit es irgendwann nicht mehr nötig ist, queere Menschen zu schützen. Weil sie gleichwertig sind. Meinen Kindern jedenfalls sage ich immer, dass sie heiraten und lieben können, wen sie wollen. Mann Frau alles. Zum Glück haben wir genug queere Freunde, die dies auch vorleben.

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  5. Kolonialwaren

    Ja was verhindert das? Das ist so schwer. Weil man es eben nicht versteht. Immer wieder aufs Neue. Weil an immer wieder die gleichen Themen durchkaut ohne nennenswertes Ergebnis. Man schaut hin und guckt doch nicht.
    Es würde ja schon helfen wenn die USA ihr Waffengesetz endlich ändert.
    Aber sonst..

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  6. søren

    Merci für den Beitrag.
    Auch ich weiss keine Lösungen momentan, freue mich aber über jeden Artikel, jede Stimme, die für die LGBTQ-Community spricht und unsere Probleme sichtbar macht.

    „Hinschauen, den Mund aufmachen. Eigene Vorurteile hinterfragen.“ halte ich für den richtigen Weg.

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