Ich saß gerade auf einem pinken Sessel, beschäftigt damit, mein Unvermögen bezüglich jedweder Multitasking-Fähigkeit zu überspielen, als die Fotografin, die mich kurz zuvor geknipst hatte, irgendetwas von wegen „schon ok, mach du erstmal, Facetune und so“ in meine Richtung murmelte. Facewas? Da hatte ich mein eigentliches Vorhaben, nämlich ein paar behämmerte Emojis auf mein Instagram-Bild zu knallen, auch schon wieder vergessen. Stattdessen schaute ich wie ein angeschossenes Reh und ziemlich blöde aus der Wäsche.
Klar, schonmal davon gehört, bei Wein und Brot ausprobiert und dann wieder beiseite geschoben, eine Foto-App, benutzen wohl viele. Aber brauche ich das auch? „Gibts ja wohl nicht, du bist der gottverdammt einzige Medienmensch auf diesem Planeten, der diese gnadenlos wirklichkeitsverzerrende App nicht in seiner Cloud hängen hat, geil ist das!“- man konnte es nicht fassen, niemand im Raum. Und da waren viele.
Eine Woche später, eine Bekannte mit ähnlichem Beruf wollte mich gerade durch einen Schnappschuss auf dem Bürgersteig aus der digitalen Foto-Ebbe meines Accounts retten, als sie unbeeindruckt bemerkte, mein Bein habe sich im Moment des Auslösens augenscheinlich auf den Asphalt gepresst wie ein Butterkuchen in seine Backform. Wäre ja aber gar nicht schlimm. Dachte ich auch, sowas machen Beine ja nunmal – „Häh, nee man, Facetune Bimbam, weg ist der Wadenbrei!“. Achso, klar. Ein bisschen Wischen hier, ein bisschen Tippen da, fertig ist die wahr gewordene Wunschvorstellung unseres eigenen, äußeren Seins, und zwar ganz ohne Photoshop-Barriere. Retusche für alle. Hollywood für jedermann, mehrheitlich aber wohl für jederfrau – reine Spekulation. Facetune ist der Booty Call der plastischen Chirurgie, schnell und effektiv, Make Up Artist to go, Zahnweiß-Fee und Personal Trainer in einem. Für lächerlich wenige Piepen bekommt man als User also das Rundum-Sorglos-Paket – als unaufgeklärter Betrachtender hingegen bittersüße Komplexe. Steht ja nicht dran: „pimped by facetune“. Sollte es aber vielleicht.
Mag sein, dass ich hier einsam und allein wie der Ochs vorm Berg stehe, während ihr längst augenrollend und wohlwissend an meinem Verblüffen verzweifelt. Ganz so behämmert, verblendet und grün hinter den Ohren bin ich aber natürlich nicht, auf meinem Handy stapeln sich ebenfalls dreiundsechzig und ein paar zerquetschte Filter, die mein Antlitz mal sonnengebräunter und mal vornehm und blass wirken lassen, je nachdem. Ich würde sogar fast behaupten, Vsco Cam ist mein bester Fotofreund, er macht, dass mein Laminatboden nicht nach ästhetischem Totalausfall aussieht und meine Haut weniger scheiße, wenn der Eisprung ruft. Aber als ich da so saß, meine kernigen Waden aufmunternd streichelnd, aber zeitgleich die nahezu anorektisch wirkende „verbesserte“ Version selbiger auf dem Bildschirm meiner Bekannten beäugend, nach weniger als zwanzig Sekunden wohlgemerkt, da dämmerte mir, dass das hier mittlerweile die Regel sein könnte – und längst nicht mehr die Ausnahme. Dass es immer krasser wird und schneller und leichter. Dass all die Frisuren und Hinterköpfe in diesem Instagram gar nicht konstant perfekt liegen, sondern perfekt aufgeblasen werden. Dass Möpse im echten Leben viel kleiner oder größer oder ungleicher sind, dass Oberarme sich wurstig-wohlig an Oberkörper schmiegen, Zähne im selben Farbton wie die Sonne erstrahlen und Beine Beulen haben. Dass die Leute verlernt haben, sie selbst zu bleiben und vor allem: Sie selbst bleiben zu wollen. Stattdessen: Noch mehr Optimierungswahn. Jetzt sogar auch auf dem Mobiltelefon, in einem Ausmaß, das selbst mich erschreckt.
Das virtuelle Herumschieben am eigenen Körper kann sich übrigens leicht zur Sucht mausern: Denn wer einmal Schmetterling war, dem schmeckt das Dasein als Raupe nicht mehr. In einem Forum las ich gerade: „(…)um endlich so zu sein wie auf den Bildern würde ich mir dann manchmal gerne alles, was ich in der Innenseite von meinem Oberschenkel zu packen kriege, abschneiden. Wegwischen wie in der App geht ja nicht.“
Macht mit diesem Gedankengang, was ihr wollt, aber schreibt ihn euch trotzdem hinter die Ohren. Altes Lied, neuer Beat: Bilder lügen.
(Passend dazu auch: Perfect 365.)