Ich sag’s euch, ich empfinde es zuweilen als verflixt schwierig mit der Menschheit – und das hier wird kein Wohlfühlartikel. Meine Augen tun manchmal richtig weh vom im-Kreis-Rollen. Es ist vor allem dieses innerliche Augenrollen, das total anstrengend, oftmals aber auch unvermeidlich ist. Wer möchte schon ungefragt auf einer Geburtstagsparty von Moral und Ethik anfangen – höchstens jemand, der nicht mehr eingeladen werden möchte. Das gilt aber natürlich nur, wenn die eigene Meinung nicht deckungsgleich mit der aller anderen ist. Denn seine (zur Zeit noch) konsenstaugliche Meinung zu ethischen Themen selbstbewusst heraus zu posaunen, das scheint irgendwie sozial anerkannt.
Hier ist mein Problem: Ganz vorne mit dabei bin ich, wenn es darum geht, „diese Veganer“ auf ihrem Siegeszug in Richtung Mainstream immer mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Ich möchte vieles, was da so passiert, nicht hören und sehen, diese zeitweilige Überheblichkeit und Selbstdarstellung. Zum Fremdschämen und – zum wiederholten Male – Augenleiern. Was ich aber mindestens genauso wenig in meinem Alltag haben möchte, sind fadenscheinigen Ausreden von Menschen, die so bequem und selbstgerecht durchs Leben stiefeln, dass es mir angesichts ihres völlig unangebrachten Selbstbewusstseins regelmäßig die Sprache verschlägt. Ihr möchtet Wurst aufs Brot essen, Milch in eure Honey-Loops gießen und zu Omas 80. ein Spanferkel am Spieß drehen?
Dann macht das doch. Es ist vollkommen euer Recht. Und mein Recht ist es, das absolut nicht okay zu finden. Von mir aus können wir es jetzt dabei belassen. Ein kurzer und schmerzloser Austausch, fertig. Das Problem sind jene, die immerzu versuchen, mir ihren Lebensstil als bewusste, durchdachte und zu rechtfertigende Entscheidung zu verkaufen. Denen keine Floskel zu beknackt ist, um mir Verständnis oder Zustimmung abzuringen. Die ständig davon reden, dass Veganer extrem sind und sich abnormal, ja, sogar unnatürlich verhalten. Das ist wirklich extrem nervig! Und lässt mich vermuten, dass Angst vor jeglicher Art von Eingeständnis, Veränderung und Weiterwicklung offensichtlich ihr Urteilsvermögen vernebelt haben muss.
Realität, irgendjemand?
Denn ich habe eine relativ klare Vorstellung davon, was landläufig in der Produktion tierischer Produkte als völlig normal, legal und anerkannt gilt. Ich weiß besser als die meisten Menschen, wie die Realität wirklich aussieht und finde die Worte „extrem“ und „abnormal“ hier deutlich angebrachter. In meinem Agrarwissenschaftsstudium habe ich mir nämlich von vorne bis hinten alle gängigen Praxen der Tierindustrie reingezogen, habe das Ganze bildlich durch einen Besuch auf dem Tierversuchshof meiner Universität in mein Oberstübchen brennen können und zig Prüfungen zu diesem Thema geschrieben.
Wie wäre es zum Beispiel mit einem klitzekleinen Auszug aus der Milchproduktion? Also: Ein Kälbchen wird geboren und nach maximal 48h von seiner Mutter getrennt. Es wächst mit anderen Kälbchen oder in Einzelhaltung auf, bekommt Ersatzmilch und sieht seine Mutter nie wieder. Kühe sind intelligente und soziale Tiere, sie merken sehr wohl, wenn ihr Kalb plötzlich nicht mehr da ist und rufen oft tagelang nach ihnen. Fun-Fact am Rande: Einen Welpen darf man nach den Tierschutzgesetz erst nach 8 Wochen (!) von seiner Mutter trennen. Bevor das Kalb 6 Wochen alt ist, wird es enthornt, es wird also das Hornwachstum gestoppt. Dazu wird ein über 500 Grad heißer Lötkolben jeweils auf die erhöhten Kopfstellen gepresst, an der später theoretisch das Horn wachsen soll. Dies geschieht in nicht-biologischen Betrieben völlig legal ohne jegliche Betäubung des Kalbs. Ja, das Kalb zappelt. Ja, das Kalb hat Schmerzen. Nein, Landwirte reden nicht gerne über dieses Thema. Sogar auf dem Versuchshof meiner Uni wurde die ganze Prozedur schlichtweg verschwiegen. Ist das Kalb männlich, landet es nach sehr kurzer Lebenszeit als Kalbsschnitzel auf dem Teller, ist es ein weibliches Kalb, wird es nach ca. 15 Monaten zwangsbefruchtet und nach 4-5 „Leistungsjahren“ geschlachtet. Eine Kuh kann normalerweise bis zu 20 Jahre alt werden. Das ist eine Realität, die man getrost als extrem und abnormal bezeichnen sollte, als falsch und unnatürlich. Zumindest empfinde ich das so. Die Tierindustrie ist grausam und ein Realität gewordener Alptraum, immer und überall, ohne Ausnahme. Es gibt keine tierfreundlich produzierte Milch, kein Fleisch aus artgerechter Haltung. Auch nicht im Biobereich. Auch nicht bei dubiosen Tierschutzsiegeln. Auch nicht beim sogenannten „Metzger des Vertrauens“.
„Das ist mir zu extrem“
Veganismus ist eine zu 100% positive, lebensbejahende und friedliche Lebensweise, die nach bestem Wissen und Gewissen versucht, völlig überflüssiges Leid zu ersparen. Nichts daran ist extrem oder abnormal, ganz und im völligen Gegenteil. Es gibt Momente, da wünsche ich jenen Menschen, die diese ganze Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes in Kauf nehmen und lautstark verteidigen, dass sie niemals begreifen, was sie da eigentlich mitverantworten. Denn das wird ziemlich sicher eine arg schmerzhafte Kollision mit dem eigenen Gewissen. Das hier ist kein Fleischesser-Bashing. Keine Milchtrinker-Verteufelung. Ich bin nicht als Veganerin geboren und bin weit davon entfernt, perfekt zu sein. Das hier ist lediglich eine simple Klarstellung der Faktenlage. Tierische Produkte zu konsumieren ist ethisch nicht vertretbar. Was wir Menschen tagtäglich im Supermarkt verantworten ist extrem unfair, extrem verantwortungslos, verursacht extremes Leid und ist extrem falsch. Man kann das jetzt schönreden, legitimieren, schnell vergessen oder wegschieben, aber es bleibt trotzdem die Wahrheit. Ja, es ist besser, weniger Fleisch- und Milchprodukte zu essen. Ja, es ist besser bio zu kaufen. Nein, das reicht nicht.
Und bevor ich diesen Krawallartikel hier gleich abschließe noch eine Sache: Auch das vermeintliche Gegenteil von Selbstgerechtigkeit, nämlich das bewusste Vortäuschen von Schwäche, gerne durch Äußerungen wie „ich könnte das ja nicht“, führt bei mir zur Augenleier-Dauerschleife. Denn es gibt genau zwei Möglichkeiten, eine solche Aussage zu interpretieren: Entweder denkt derjenige tatsächlich, dass er nicht die psychischen und physischen Voraussetzungen und die Willensstärke hat, um wenigstens mal zu versuchen auf tierische Produkte zu verzichten (oder sich zu beschränken) – dann hat diese Person eine wirklich erschreckend niedrigen Anspruch an sich selbst und dafür sicherlich kein Lob verdient. Oder aber – und das trifft wohl auf 99 Prozent der Fälle zu – „ich kann nicht“ ist schlichtweg die sozialverträglichere Version von „ich will nicht“.
Wir sind frei – machen wir was draus
Ich wünsche mir, dass ihr tut, was ihr für richtig haltet. Ich kann euch sagen, was ich für richtig halte, aber das spielt eigentlich keine Rolle. Ein großer Vorzug des Erwachsenseins ist schließlich, im gesetzlichen Rahmen freie Entscheidungen über das eigene Leben fällen zu können. Aber dazu gehört auch, nicht feige zu sein und zu seinen Entscheidungen zu stehen. Stellt euch nicht hin wie kleine Kinder und sucht verzweifelt das Echo eurer Meinung in der Masse, schaut euch nicht verunsichert um, auf welchem bunt-blinkenden Feld die anderen stehen und werdet nicht immer aggressiver, je dünner das argumentative Eis wird. Lenkt nicht ab von euren eigenen Entscheidungen und hört auf mit diesem unerträglichen „Veganer sind so extrem“-Schwachsinn. Macht euch grade, kneift eure knackigen Pobacken zusammen und seid euch sicher, bei dem was ihr da tut. Oder beweist Größe und ändert was. Raus da aus der verstaubten Comfortzone. Alles andere – und das kommt von Herzen – ist eine echt schwache Leistung.
<3
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