Und hier ist er, der erste konkrete Artikel in der neuen Kategorie Slow Sunday – ein Denkanstoß am Wochenende, zum Faulenzen, Auskatern und Träumen. Worum es im Allgemeinen in dieser Kategorie geht, könnt ihr nochmal hier nachlesen.
Ich bin zufrieden, aber nicht glücklich. So könnte man wohl meinen Zustand bezeichnen. Zufriedenheit ist für mich ein relativ leicht zu erreichendes Etappenziel. Ich arbeite viel, ich bin organisiert, ich schaffe Aufgaben aus der Welt, meine Wohnung ist ordentlich und mein Einkommen ausreichend. Bis zur Etappe „glücklich“ hingegen sind es noch ein paar Hundert Kilometer. Bergauf. Im fünften Gang. Sollte ich jemals oben ankommen, verspreche ich mir Ausgeglichenheit, also „Glück“ als allgemeines Fundament, nicht als Momentaufnahme im Sinne eines Glücksgefühls. Versteht man das?
Nun, das Schönste und Schwierigste zugleich am „Glück“ des inneren Gleichgewichts ist allerdings, dass es nur von innen heraus produzierbar ist, weitestgehend unabhängig von äußeren Faktoren. Sprich, wenn ich nicht mehr weiter weiß, kann ich nicht andere bitten, das „Projekt“ für mich zu Ende zu bringen. Ich muss es selbst tun, komme was wolle.
Was mir persönlich dabei hilft, ist ein Step-by-Step-Plan, um herauszufinden, was meinem „Glück“ denn nun eigentlich genau im Weg steht. Das einzige, was man dafür braucht ist Ehrlichkeit. Brutale Ehrlichkeit. Und was zu schreiben.
Und so geht’s:
Du brauchst mehrere Blätter Papier, einen Stift, einen Textmarker und einen Ort, an dem du dich wohlfühlst. Stelle außerdem dein Handy auf lautlos.
Step 1: Stell dir vor, dass du ganz alleine auf der Welt bist, beziehungsweise, dass es niemanden gibt, mit dem du eine Verbindung teilst. Es ist wichtig, dass du in deiner Vorstellung für den Moment keine Verpflichtung, Rechenschaft oder Verantwortung anderen gegenüber spürst. Versuch, dich wirklich in diese Situation hineinzudenken.
Schreibe nun alle Dinge auf, die dir im Leben wichtig sind. Damit meine ich nicht Dinge die du dir wünschst, sondern Dinge, die dir wichtig sind. Lass zwischen den einzelnen Punkten ca. 2 cm Platz.
- Versuch übergeordnete Begriffe wie zum Beispiel „Familie“ zu vermeiden und stattdessen lieber detaillierte Beschreibungen wie „jeden Mittwoch mit Oma eine Stunde im Park spazieren gehen“.
- Alles, was dir in den Sinn kommt, ist erlaubt und darf aufgeschrieben werden. Es ist dein persönlicher Zettel, den du niemanden zeigen musst. Du kannst jederzeit bereits aufgeschriebene Dinge wieder streichen.
- Ehrlichkeit und Neutralität haben oberste Priorität. Es ist vollkommen egal, ob du die Dinge, die du aufschreibst, in deinem Leben bereits hast, hattest oder ob du nur Dinge aufschreibst, die aktuell mit deinem Leben nichts zu tun haben.
Step 2: Im zweiten Schritt vergibst du nun Prioritäten für deine aufgeschriebenen Punkte
- Priorität 1: sehr wichtig, elementar / bildlich gesehen handelt es sich hier um Grundnahrungsmittel
- Priorität 2: wichtig / bildlich gesehen handelt es sich hier um Schokolade, ein Leben ohne ist ziemlich schwer vorstellbar, aber wir wissen, dass wir es trotzdem irgendwie aushalten würden
- Priorität 3: ein tolles Plus / bildlich gesehen wäre das eine Sofortrente von 1000 Euro im Monat bis zum Lebensende, einfach so
Step 3: In die Lücken zwischen den Punkten schreibst du nun in Stichworten, was sich durch den jeweiligen Punkt in deinem Leben verbessern würde oder was sich bereits verbessert hat, falls der Punkt bereits Teil deines Lebens ist.
Step 4: Jetzt markierst du mit dem Textmarker alle Punkte, die bereits zu deiner (realistischen!) Zufriedenheit Teil deines Lebens sind.
Step 5: Wenn du möchtest, kannst du nun folgende Rechnung machen: 100 geteilt durch die Anzahl aller aufgeschriebenen Punkte multipliziert mit der Anzahl der markierten Punkte. Das Ergebnis gibt an, wie zu wie viel Prozent du Dinge in deinem Leben etabliert hast, die dich glücklich machen.
Umgekehrt ergibt Step 5 natürlich auch, wie viele Dinge, die dir eigentlich wichtig sind, du nicht in deinem Leben zu deiner Zufriedenheit etabliert hast.
Als ich diese Liste zum ersten Mal erstellt habe, das ist jetzt ungefähr ein Jahr her, habe ich tatsächlich gedacht „Jetzt weiß ich, warum ich nicht glücklich bin“. Gerade mal 12 Prozent meiner aufgeschriebenen Punkte hatte ich zu der Zeit befolgt oder in mein Leben eingebaut. Heute sind auf meiner Liste 40 Prozent markiert. Das klingt vielleicht immer noch wenig, bedeutet mir aber die Welt. Und was ist zwischen 12 Prozent und 40 Prozent passiert?
Neue Erkenntnisse zu erlangen ist schon schwierig, aber Veränderungen durchzusetzen noch viel mehr. Einmal schwarz auf weiß vor mir gesehen, konnte ich diese Liste aber nur noch schlecht ignorieren. Ich habe mir also zunächst drei Punkte herausgesucht, die ich für realistisch in der Umsetzung hielt. Diese drei Punkte habe ich nun versucht, kontinuierlich in meine Woche zu integrieren. Ich habe mir einen exakten Wochentag dafür vorgenommen und eine Zeitspanne festgelegt, die ich investieren wollte. Nach vier Wochen habe ich mir meine Liste wieder angeschaut, neu überlegt und mir gegebenenfalls einen neuen Punkt vorgenommen. In den seltensten Fällen hatte ich nach vier Wochen das Gefühl, dass ich die Aktivitäten tatsächlich in meinen Alltag integriert hatte – alles hat unheimlich lange gedauert. Das kann manchmal frustrierend sein, aber eine langsame Veränderung ist dafür meistens langfristiger als eine schnelle Überschwunghandlung. Und aus eigener Erfahrung kann ich euch sagen, dass selbst ein einziger markierter Punkt mehr auf der Liste einen großen Unterschied machen wird.
Ich freue mich sehr über euer Feedback in den Kommentaren. Mögt ihr solche konkreten Tipps und Ideen? Oder möchtet ihr vielleicht sogar von euren eigenen Erfahrungen berichten? <3