Frauen in der Politik //
Historische Momente mit Hillary und Angela

09.08.2016 box2, Feminismus

hillary clinton vs angea merkel thisisjanwayneHillary Clinton schreibt gerade als erste US-amerikanische Präsidentschaftskandidatin Geschichte. Angela Merkel tat als erste deutsche Kanzlerin das Gleiche tat – löste aber keinen Luftballonregen und „Let’s make history“-Momente aus. Warum? Eine Spurensuche.

Seit letzter Woche steht fest: Hillary Clinton ist die demokratische Präsidentschaftskandidatin 2016. Auf dem Parteikonvent in Philadelphia regnete es massenhaft Luftballons, Gesichter strahlten – abgesehen von ein paar miesepetrigen Bernie Bros – und die schiere Bedeutsamkeit dieses historischen Augenblicks senkte sich wie eine warme Decke über alle Anwesenden. Clinton ist die erste US-Amerikanerin überhaupt, die zur Präsidentschaftskandidatin einer großen Partei gekürt wurde und ich muss sagen, auch mich reißt das Ganze mit. Hier wird Geschichte geschrieben!

Ich persönlich finde es aus verschiedenen Gründen gut, dass dieses Ereignis mit solchem Pomp zelebriert wurde. Vor allem aber deshalb, weil ich selbst so schlecht darin bin, historische Ereignisse auch als solche zu erkennen. Wirklich wahr! In Filmen ist das ja so: Die Heldin weiß einfach ganz genau, wenn gerade etwas wichtiges passiert. Wenn sie einen einzigartigen Moment erlebt, ein Moment, der historisch sein wird. Das Publikum weiß es übrigens auch, dank anschwellender Musik. Und im wahren Leben? Tja, da sieht es ganz anders aus. Da fehlt die Musik im Hintergrund, die uns sagt: Das ist jetzt wichtig! Daran musst/willst du dich noch Jahre später erinnern!

Fast elf Jahre Angela Merkel

Vor fast elf Jahren, am 22. November 2005, wurde Angela Merkel die erste Bundeskanzlerin, die Deutschland jemals hatte. Ein historischer Moment – an den ich keine bis bruchstückhafte Erinnerungen habe. Keine Ballons, keine empowernden Reden von bekannten Schauspielerinnen (und Katy Perry hat auch nicht gesungen). Ich war damals 17 und in der 12. Klasse, Leistungskurse Deutsch und Englisch. Fast elf Jahre Angela Merkel. In diesen elf Jahren habe ich Abitur gemacht, bin nach Frankreich gezogen, habe studiert, mein Studium abgeschlossen, bin nach Berlin gezogen und habe angefangen, zu arbeiten. Man könnte sagen: Ich bin in diesen elf Jahren erwachsen geworden. Oder was man so unter „erwachsen“ versteht.

An die Wahl 2005 habe ich nur verschwommene Erinnerungen. Eins weiß ich aber ganz genau: Das Ergebnis fand ich katastrophal. Ich wollte nicht, dass die CDU Deutschland regiert, ich wollte, dass Gerhard Schröder Kanzler bleibt. Was aus heutiger – feministisch-aufgeklärter – Perspektive betrachtet einigermaßen absurd ist, denn wenn einer der Prototyp des selbstgefälligen Macho-Politikers war, dann ja wohl „Acker“ (Schröders Spitzname auf dem Fußballfeld). Ein Mann, der das Frauen- und Familienministerium als „Ministerium für Gedöns“ abtat und sich überall als Alpha-Tier aufspielte. Keine Ahnung, warum ich Schröder gut fand – vielleicht, weil er unterhaltsam war?

Seinen Auftritt in der sogenannten „Elefantenrunde“ nach der Wahl fand ich dann aber trotzdem ziemlich peinlich. Wie er die eindeutige Wahlsiegerin Angela Merkel abkanzelte und sich weigerte, seine Niederlage zu akzeptieren. „Es gibt einen eindeutigen Verlierer, und das ist nun wirklich Frau Merkel“ tönte er in Richtung der CDU-Chefin – und verhalf ihr damit vielleicht sogar ins Kanzleramt. Der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, der die Runde damals moderierte, erinnert sich: „In der CDU-Zentrale in Berlin sollen sich mehrere Politiker, darunter Wulff, Koch und Müller, wegen des enttäuschenden Wahlergebnisses zusammengesetzt haben, um sie abzuräumen. Nach Schröders Attacke war das natürlich nicht mehr möglich. Deshalb hat Schröder Merkel wohl ins Kanzleramt verholfen.“

Nicht „die Richtige“

Irgendwie war das ja schon immer Merkels Spezialität: Niemand rechnet mit ihr und doch geht sie am Ende als Siegerin hervor. Ich glaube, dass ich zu Angela Merkel, bevor sie Kanzlerin wurde, überhaupt keine Meinung hatte. Und das ist mir als Feministin heute doch ziemlich – unangenehm? Peinlich? Denn man sollte doch annehmen, dass man zu der ersten deutschen Kanzlerinnenkandidatin eine Meinung hat. Aber nichts da.

Natürlich gibt es dazu verschiedene Erklärungen. Erstens: Ich war jung. Also, wirklich jung. Klar war ich politisch interessiert, aber Politik hatte trotzdem recht wenig mit meinem eigenen, konkreten Leben zu tun. Zweitens: Deutschland ist nicht Amerika. Wahlkämpfe werden hier nicht so personenbezogen geführt, schließlich wählen wir ja den Bundestag und nicht den Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin. Der deutschen Politik geht das Inszenieren großer Augenblicke irgendwie ab – nur zu parteiübergreifenden, volksverbindenden Anlässen wie Mauerfall, Wiedervereinigung etc. kriegt man das mal hin.

Vor allem aber kam Angela Merkels Wahl mir deshalb nicht historisch vor, weil Merkel nicht „die Richtige“ war. Sie war (und ist) CDU-Politikerin und irgendwie hätte ich mir gewünscht, dass die erste Bundeskanzlerin aus dem linken politischen Lager stammt. Ich hatte hoch gesteckte, idealistische Erwartungen an die erste Kanzlerin. Vielen US-Amerikanerinnen geht es gerade mit Clinton wie mir damals mit Merkel: Yeah, die erste Präsidentschaftskandidatin! Aber muss es wirklich diese Frau sein? Ähnlich in Großbritannien: Hurra, die erste Premierministerin nach Margaret Thatcher! Aber warum bitte ausgerechnet Theresa May?

Ab in die Zeitmaschine

Die Wahrheit ist wohl: Bestimmte Momente fühlen sich nur dann historisch an, wenn sie für einen persönlich etwas bedeuten. Trotzdem: Wenn ich momentan nach Amerika blicke wünsche ich mir manchmal, in eine Zeitmaschine steigen zu können, um ins Jahr 2005 zurückzureisen. Einfach, um nochmal zu erleben, wie das damals war. Angela Merkel mag keine Hillary Clinton sein – aber ein paar mehr Erinnerungen an dieses, wenn vielleicht auch nicht für mich, historische Ereignis hätte ich doch gerne.

12 Kommentare

  1. T.

    2005 ist ja schon ne Weile her, aber ich meine mich zu erinnern, dass ich mich damals über Merkels Sieg gefreut habe. Nicht in erster Linie, weil sie eine Frau war, sondern weil sie so ein ungewöhnlicher, zurückhaltender, pragmatischer, nicht machtgeil wirkender Politikertyp war. Deswegen war sie mir sympathisch und ist es bis heute.
    Etwas anderes finde ich aber noch interessant bei der Sache: Es scheint, als würden Frauen in der Politik häufig nur dann eine Chance bekommen, wenn kein anderer bereit ist, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Der CDU ging es damals Ende der 90er/ Anfang der Nuller (ich weiß nicht mehr genau, wann es war) nicht gut wegen der Spendenaffäre. Wahrscheinlich war der Job des Generalsekretärs nicht besonders beliebt und wahrscheinlich hat Merkel gerade deshalb eine Chance bekommen. Ähnlich sieht’s heute in England aus: die Herren, die den Brexit verbrochen haben, haben sich aus der Affäre gezogen und Cameron wollte nicht dahinter stehen. Und nun hat sich auch hier wieder eine Frau bereit erklärt, in einer schwierigen Situation in die erste Reihe vorzutreten.

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  2. Pi

    wiedermal ein toll geschriebener, super interessanter artikel! als ex-expat (drei jahre in den USA gelebt) habe ich mich schon oft gewundert/amuesiert wie anders wir kartoffeln doch sind, wenn es um entertainment und auch um das zelebrieren des eigenen patriotismus geht. hat natuerlich so einige historische gruende. die amis tragen da manchmal ganz schoen dick auf, aber das generiert auch ein mitreissendes, positives momentum, das uns dichtern und denkern manchmal auch ganz gut tun wuerde ;D

    das oeffentliche zelebrieren des feminismus (im kontext der nationalpolitik) ist jetzt aber auch grad leichter als 2005, da feminismus heute viel positiver besetzt ist und mehr menschen den inklusionsgedanken dahinter checken (feminismus ist fuer alle gut, jeder soll unabhaengig von starren geschlechterrollen sein ding machen duerfen). 2005 hat man das glaub ich auch bewusst nicht so thematisiert, weil die negativ besetzte emanzen-assoziation (feminismus=maennerhassende frauen wollen mehr macht) wahrscheinlich so einige abgeschreckt hatte. besonders auch CDU -waehler mag ich mal behaupten.

    Ich war damals bei miss merkel auch unentschlossen, haette mir genau wie du eine frau aus der linkeren ecke gewuenscht. und auch bei miss clinton gehts mir so. eine frau mit anti-korruptions standpunkt wie bernies waere noch viel toller! aber das is ja auch irgendwie fies, dass man dann gleich so viel erwartet. vielleicht haben die beiden es ja auch nur so weit geschafft, weil sie so pragmatisch und besonnen und eben nicht anti-establishment sind. die beiden oeffnen hoffentlich die tueren fuer frauen so weit, dass die geschlechterfrage irgendwann gar nicht mehr erwaehnenswert ist. dann haben auch heldinnen, wie wir sie uns wuenschen eine chance 😉

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  3. Anne

    Wenn du die Situation in den USA intersektional betrachst, dann ist es eben nicht nur die Bernie „Bros“, die für Bernie Sanders sind. Es sind alle marginalisierten Gruppen, die sich mit Bernies Politik stärker identifizieren können, weil er eben auch Kämpfe und Widerstandsbewegungen von marginalisierten Gruppen anerkennt und unterstützt. Und damit sind eben auch Women of Color – vielleicht sogar die gesamte feministische Bewegung – gemeint. Hilary behauptet zwar immer wieder, eine feministische Perspektive zu haben, hat das mit ihrer Politik doch nix zu tun. …
    Aber klar, der historische Moment ist wirklich ein historischer Moment! Question is: who at the end will profit from it?

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  4. Sarah

    Die Bernie Bros sind mir auch ein bisschen sauer aufgestossen. Das Hilary eine Frau ist: toll! Aber was fuer eine Frau, was fuer ein Mensch sie ist, und vor allem, fuer welche Politik sie steht (eine patriotische und antifeministische naemlich) das muss man sich trotzdem anschauen.
    Ihr seid vielleicht keine Linken, das ist okay. (Sei jetzt mal so dahin geschrieben. ) Ihr steht fuer eine eher unpolitische Welt, in der alle Kuchen esseb; Glitzer regnen lassen und sich selbst verwirklich. Aber das funktioniert hier nur so gut, weil viele dafue leiden- auch die Erde. Und das laesst sich nicht mit Fair Trade und Bio loesen. So wie Hilary nicht viel zur Gleichberechtigumg der Frau beitraegt, nur weil sie eine Mumu hat und sich schminkt. Das wisst ihr aber als ueberzeugte Feministinnem sicher eh auch. Thats it.
    Das ihr immer positiv bleibt ist schoen und tut mir oft sehr gut. Ich versteh schon,dass ihr nicht naiv, sondern optimistisch und menschenliebend seid. Aber das ist nur wertvoll, wenn man auch Verstaendnis fuer die Traurigen, die Radikalen und die Grantigen hat. Put some respeckt on it.

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    1. Julia

      Liebe Sarah,

      Ich stehe, genau wie du, Hillary Clinton durchaus auch kritisch gegenüber. Und ich hatte während des Vorwahlkampfes ehrlich gesagt viele Sympathien für Bernie Sanders und seine Wählerschaft – Bernie hat eine echte Alternative geboten und das ist immer besser, als wenn nur eine_e Kandidat_in zur Wahl steht. Ich erwarte von Clinton nicht, dass sie sich als Frau automatisch für Gleichberechtigung einsetzt. Ich erwähne ja auch, dass gerade viele jüngere Frauen mit Clintons Wahl nicht so glücklich sind. Dass ich unpolitisch und unkritisch bin möchte ich mir in dem Zusammenhang also nicht vorwerfen lassen. In meinem Text sollte es nicht um die inhaltlichen Positionen von Clinton gehen, sondern um eben diesen „historischen Moment“. Und der ist historisch, egal, wie man Clinton findet. Clintons tatsächliche Politik ist durchaus einen eigenen Artikel wert – und der würde auf jeden Fall kritisch sein.

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      1. Sarah

        Ja, das verstehe ich! Und danke fuer die Antwort 🙂 Mich haben im letzten Jahr einfach so viele Gespraeche und schlechte Zeitungsartikel vorsichtig und grantig werden lassen.. manchmal wird man dann richtig miesepeterig und hoert bei jedem nicht ganz rebellischen Text alle Alarmglocken schrillen, obwohl das gar nicht sein muesste. Und grad differenziertere Berachtungen wie deine so besonders wichtig sind.

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  5. maja

    Ich möchte meinen Vorrednerinnen zustimmen, Clinton ist sicherlich besser als Trump, aber sie ist nicht besser weil sie eine Frau ist. Und auch Merkel möchte ich nicht aufgrund ihres Geschlechts loben oder feiern. Feminismus ist doch in erster Linie Humanismus und es gibt Männr die das besser drauf haben als Frauen (z.B. Justin Trudeau). Historisch gesehen ist Clintons Kandidatur relevant, aber ob sie eine gute Wahl ist? Und ich möchte noch anmerken, dass ich sehr froh darüber bin, dass dieser personfizierte Wahlkampf hier in D (noch?) nicht so verbreitet ist.

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    1. Esra

      Ja! Die Deutschen hatten es ein paar Jahrzehnte zuvor mit „personalisierter“ Machtstellung etwas übertrieben! Also lassen wir Amerika Amerika sein und bleiben bitte besonnen… Dieses Personalisieren ist nicht ohne…
      Und: Merkel steht in Punkto Verlogenheit ihren männlichen Kollegen sicherlich in nichts nach! Frau hin oder her!
      Also bitte nicht jemanden idealisieren anhand seines Geschlechts… Ist die andere Seite der Diskriminierung!
      lg
      Esra

      http://nachgesternistvormorgen.de/

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      1. Julia

        Ich wollte mit meinem Artikel weder Hillary Clinton noch Angela Merkel idealisieren. Beide sind Frauen, ja, aber diese Tatsache bewirkt bei mir nicht, dass ich deswegen alles gut finde, was die beiden politisch machen. Es geht mir nicht darum zu sagen, dass Clinton eine bessere Politikerin ist, weil sie eine Frau ist (das kommt im ganze Text nicht vor). Es ging darum, über diesen historischen Augenblick zu reflektieren und nicht, Clintons politische Positionen im Detail zu analysieren. Frauen machen nicht automatisch bessere Politik (siehe Margaret Thatcher oder Cristina Fernandéz de Kirchner).

        Vielleicht interessiert euch ja dieser Text, den ich für das Libertine-Magazin geschrieben habe: http://libertine-mag.com/mehr-frau-mehr/mehr-frau-mehr-kooperation_/
        Darin geht es genau um die Frage, ob und was sich ändern würde, wenn es mehr Frauen in hohen politische Positionen geben würde – mein Fazit ist eher, dass es sowas wie typisch „weibliche“ Politik nicht gibt.

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