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Ja, Feminist*in sein, ist verdammt hart!

feminismus 2016Feminismus ist keine Beschäftigung für gelangweilte, privilegierte Frauen und auch kein Hobby.

Ehrlich gesagt, manchmal wäre ich lieber keine Feministin. Manchmal glaube ich, mein Leben wäre dadurch einfacher. Ich könnte die Augen vor gewissen Dingen verschließen und eine trotzige Mir-doch-egal-Haltung einnehmen. Dann bliebe mir vieles erspart. Bilde ich mir zumindest in gewissen Momenten ein.

Denn manchmal finde ich Feministin sein anstrengend und frustrierend. Dann will ich mich nur in mein Bett verziehen und Mamma Mia gucken (mein ultimativer Feel-Good-Film). Ich will mich nicht immer rechtfertigen müssen für das, was ich bin. Ich will keine Kommentare von Männern lesen müssen – ob auf Twitter oder unter Online-Artikeln – die mir erklären, warum Feminismus so böse, schlecht und vor allem überflüssig ist. Ja, wer schlau ist, meidet die Kommentarspalten. Manchmal verirrt man sich dann aber aus Versehen doch dorthin. Und entdeckt mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit unter Artikeln, in denen das Wort „Feminismus“ auftaucht, Kommentare wie diese: Feminist*innen schaffen Probleme, wo keine sind, Feminist*innen sollen sich mal nicht so anstellen, Feminist*innen nölen immer nur rum, dabei geht es ihnen in Deutschland doch super. Feminismus scheint vielen Kommentatoren eine Art nettes Hobby zu sein, eine Beschäftigung für gelangweilte, privilegierte Frauen.

Tausche feministische gegen rosarote Brille

Von wegen: Feminist*in sein ist verdammt hart. Die Sache ist die: Wenn man die feministische Brille erst einmal aufgesetzt hat, sieht man viele Dinge, die andere vielleicht nicht sehen. Man erkennt Ungleichheiten, die einem vorher nicht aufgefallen sind. Man schafft keine Probleme – diese Probleme waren schon immer da, aber erst jetzt sieht man sie. Sie werden, im wahrsten Sinne des Wortes, sichtbar.

Und ja, manchmal würde ich liebend gerne sagen: Danke danke, ich will das alles nicht mehr sehen. Ich tausche die feministische gegen eine rosarote Brille, mit der meine Umgebung und alles, was darin passiert, in weiche Töne getaucht wird. Vielleicht werde ich dann nicht mehr von einem Typen angequatscht, wenn ich spätabends allein an der Bushaltestelle stehe. Muss dann nicht mehr zehn Minuten damit verbringen, ihn abzuwimmeln, während ich hektisch überlege, ob der Typ nur nervig oder sogar gefährlich ist. Vielleicht vergesse ich dann einfach, dass mir passierte, was so vielen anderen Frauen auch passiert – weniger Gehalt als der männliche Kollege, bei gleicher Qualifikation. Dazu noch ein Chef, dem ich ständig beweisen musste, dass ich es kann, obwohl ich eine Frau bin. Vielleicht kann ich dann auch die oftmals sexistische Berichterstattung ignorieren, wie gerade im Fall Gina-Lisa. Die Männer, die mir auf Twitter erklären, Frauen würden Vergewaltigungen größtenteils nur erfinden. Durch meine rosarote Brille würde mir auch nicht auffallen, dass Frauen in Europa immer noch für das Recht auf Abtreibung kämpfen, Homosexuelle wie Außenseiter behandelt und Transsexuelle und Transgender ermordet werden – täglich. Das alles würde mich einfach nicht mehr betreffen.

Hohe Ansprüche

Aber so läuft es nun mal nicht. Und so bleibt die Tatsache: Feminist*in sein ist anstrengend. Weil man eben so vieles sieht, so vieles mitbekommt und dann nicht einfach sagen kann: Betrifft mich nicht. Feminist*in sein ist kein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung. Man hat den Anspruch, die Dinge zu ändern. Und deshalb hat man auch hohe Ansprüche an sich selbst. In meinem Privatleben mache ich vermutlich täglich Dinge, die nicht besonders feministisch sind. Ich bleibe stumm, wenn mir auf der Straße eine Gruppe von Typen anzügliche Bemerkungen hinterherruft. Ich gucke Germany’s Next Topmodel (wenn auch nur im Schnitt eine Folge pro Staffel). Unter anderem. Natürlich weiß ich, dass das okay und menschlich ist. Das alles macht mich nicht zu einer „schlechten Feministin“. Roxane Gay schreibt in ihrer Essay-Sammlung Bad Feminist: „I embrace the label of bad feminist because I am human. I am messy. I’m not trying to be an example. I am not trying to be perfect. I am not trying to say I have all the answers. I am not trying to say I’m right. I am just trying – trying to support wat I believe in, trying to do some good in this world, trying to make some noise with my writing while also being myself.” So geschrieben klingt das völlig einleuchtend. Mir fällt es manchen Tagen trotzdem schwer, mich von Erwartungen freizumachen – von meinen eigenen und denen der anderen. Erwartungen an mich als Feministin. Ich bilde mir nicht ein, dass alle Welt auf mich guckt. Aber ich will trotzdem das Richtige sagen und machen. Ein bisschen Vorbild sein. 

Also ja: Feminist*in sein ist anstrengend. Das sage ich nicht jammernd oder klagend. Ich stelle es einfach fest. Und meistens komme ich mit dieser Tatsache gut klar. Denn: Feminismus ist zwar anstrengend und kräftezehrend, er gibt einem aber auch unheimlich viel. Er öffnet den Blick und lässt einen Dinge ganz neu sehen, entdecken. Feminismus lässt mich nicht nur die Probleme erkennen – sondern auch die Möglichkeiten. Die Potenziale. Er bietet Lösungsansätze. Er empowert. Er lässt mich erkennen: Oft bin nicht ich das Problem, sondern etwas ganz anderes. Wenn es mal wieder soweit ist und ich nur Meryl Streep zusehen möchte, wie sie „Gimme gimme gimme“ schmettert, erinnere ich mich daran. Dass mein Leben vielleicht einfacher wäre ohne Feminismus. Aber auch grauer, uninteressanter, lebloser.

15 Kommentare

  1. Amelie

    „Von wegen: Feminist*in sein ist verdammt hart. Die Sache ist die: Wenn man die feministische Brille erst einmal aufgesetzt hat, sieht man viele Dinge, die andere vielleicht nicht sehen. “ SOOO true. Weitermachen <3 !

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  2. Fanni

    Hey!

    Vielleicht interessiert dich der Vortrag einer Freundin von mir, die mit Laurie Penny auf einem Podium zu Feminismus gesprochen hat. Ab ca. Minute 3. http://bit.ly/2cFEII6
    Es geht um die Arbeitswelt in der heutigen Gesellschaften und welche Rolle der Frau dabei zugeschrieben wird. (Und zeigt evtl auch auf einer anderen Ebene warum es manchmal für Frauen soviel schwerer und anstrengend ist. )

    Viel spaß und feministische Grüße!

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  3. Jen

    Am wichtigsten ist doch das hier: I’m not trying to be an example.
    Es geht überhaupt nie darum, irgendwem Vorschriften zu machen, jemanden zu korrigieren. Es geht zuallerst darum, Ungerechtigkeiten anzuerkennen und die Ursachen hierfür zu finden. Fragen zu stellen. Denn nicht jeder Spruch, den einer bringt, ist negativ motiviert – bestes Beispiel, das mich dennoch nachhaltig schockiert hat, ist dieser Typ im Publikum bei Amy Schumer, der „Show us your tits“ brüllt und am Ende des Saals verwiesen wird.
    Wenn man sich das anschaut, sieht man eigentlich einen ganz normalen Typen Mitte 20. Der sich auch kaputt lacht über die Situation. Der einfach nicht begreift, dass eine Frau kein „billiges Flittchen“ ist, nur weil sie in Filmen (!) Rollen spielt, in denen sie locker mit ihrer Sexualität umgeht (das allein! Es sollte IMMER so sein.).
    Sehr oft ist das Problem doch die (gesellschaftliche) Erziehung der Kerle, für die Frauen einfach hübsche Dinge sind, mal überspitzt formuliert. Austauschbar. Wieviele angeblich gleichberechtigte Beziehungen ich kenne, bei denen dennoch der Mann keine Ahnung hat, wie die Waschmaschine geht geschweige denn mal in einem Drogeriemarkt einkauft… aber das führt zu weit. Will nur sagen: Es steckt überall drin, und es ist ober wichtig, das sichtbar zu machen. DAS ist für mich Feminismus!
    Danke Nike, dass du es auch jenseits des „Hypes“ zum Thema machst.

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  4. Denise

    Danke für diesen Beitrag!
    Das wichtigste ist Solidarität. Wenn sich alle Frauen dieser Welt solidarisieren würden – was wäre dann nur möglich <3

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  5. Maxi

    WORD WORD WORD. Ich kenne das so gut, von Arbeitskollegen oder wildfremden Twitter-Usern darauf aufmerksam gemacht zu werden, wie eklig Feministinnen sind und wie unnötig das doch ist.
    So ein Artikel zeigt mir aber wieder dass ich nicht allein bin und macht Mut, standhaft zu bleiben!
    We still got a long way to go!

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  6. Verena

    Liebe Nike, es muss jetzt mal raus. Ich feiere deine Texte immer wieder aufs Größte! Deine Worte treffen meinen Punkt, bringen mich zum Nachdenken, geben mir Futter und stärken allzu oft den Rücken für die Welt da draußen. Danke!
    Und wenn ich mal wieder mit meinen, in Anflug größten Mutes gekauften neuen Klamotten kopfschüttelnd vor dem Spiegel stehe, mich frage, was die Janes jetzt wohl tun würden und dann erhobenen Hauptes auf die Straße gehe, dann hoffe ich immer, dass ihr so weiter macht. Ihr seid große klasse! Ohne Quatsch! Danke!

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  7. Julia

    Liebe Nike,

    Zu aller erst einmal dein Text ist großartig. Er bringt das Thema gut auf den Punkt. Allerdings möchte ich eine Kritik zu manchen Kommentaren äußern. Für mich ist feminismus nicht nur „Frauen Sache“ sondern Menschen Sache. Für mich bedeutet moderner feminismus nicht nur das ich Karriere machen kann sondern ebenso das mein Mann wenn er möchte ohne blödsingien Kommentar der Umwelt unsere Kinder großziehen kann. Ebenso bedeutet moderner feminismus aber auch das ich wenn ich möchte, nur Mutti sein kann ohne dafür kritisiert zu werden. Femnusmus funtioniert neunmal nur miteinander und nicht wenn man sich Geschlechtergetrennt zusammen rottet. Zusammenfassend finde ich feminismus beideutet in meine Augen die totale Gleichberechtigung und gleiches Recht für alle! Einen liebsten Gruß an dich liebe Nike und ich bin gespannt auf deinen nächsten Beitrag zu diesem wichtigen Thema

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  10. Victoria

    DANKE! Gerade nach den Weihnachtsfeiertagen, in denen meine Eltern (die drei Töchter haben) steif und fest behauptet haben, keine Feministen zu sein ein sehr guter Lichtblick! Vielen Dank und weiter so 🙂
    xx Tori

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