Bild: Louis Vuitton
Vor ein paar Monaten bekam ich eine Nachricht von einem alten Klassenkameraden, wir hatten noch immer 51 gemeinsame Freunde auf Facebook. Zehn Zeilen später waren es nur noch 50. Dank einer ziemlich simplen Frage: Ey, du. Der Thomas ist übergeschnappt, springt für die AfD in die Bresche – kann man das noch tolerieren? Ich dachte nicht nach, sondern kommentierte die jetzt unübersehbare Sympathie-Bekundung zum politischen Abgrund Deutschlands scharf und drückte alsbald den Unfriend-Button. Es war noch nicht einmal eine weise Überlegung, den einstigen Pausenclown aus meinem virtuellen Leben zu löschen, vielmehr handelte es sich um einen natürlichen Reflex und ein bisschen auch um Selbstschutz. Braunes Gedankengut, und sei es noch so geschickt im Deckmantel christlich-konservativer Werte verpackt, treibt mich an die Kotzgrenze und ich hasse es wirklich, mich zu übergeben.
Ob politische Differenzen Freundschaften zerstören können, gerade jetzt, in Zeiten der rechten Hipster, Frauke Petrys, Le Pens und Trumps, darüber diskutierte man in meinem Umfeld fortan vermehrt. Anfangs zögerlich, irgendwann bestimmt. Das „Ja“ fiel niemandem so richtig leicht, denn Freunde sind kostbar. Am Ende gewann dennoch die Gewissheit in tragisch-selbstsicherer Helge-Schneider-Manier: Ich habe mich vertan. Irren ist nunmal menschlich.
Man könnte natürlich auch einfach damit aufhören, über die Welt zu reden und sich in Gesprächen zu Wein und Pizza stattdessen ausschließlich auf Romanzen, Urlaube und Erinnerungen stützen. Schönwetter-Bekanntschaften haben ja durchaus ihren Reiz und sind schön unkompliziert. Sobald aber unüberwindbare Meinungs-Differenzen im Raum schweben, wenn auch nur unausgesprochene, fällt das heitere Flachsen zuweilen schwer. Auch wegen des Aufeinanderprallens zweier Egos. Man meint schließlich selbst stets auf dem richtigen Dampfer unterwegs zu sein und kaum etwas ist so schwer zu ertragen, wie die subjektiv empfundene Dummheit des auf der Leitung stehenden Gegenübers. Im schlimmsten Fall verliert man irgendwann zunächst die Augenhöhe, dann den Respekt und schließlich die Fassung. Früher oder später, vielleicht auch schon nach einer Flasche Riesling, bricht dann die Apokalypse über den Esstisch herein. Außer, man ist Meister*in der Meditation oder sowas. Aber wie etwa soll ich gewillt sein, jemanden Herz-Emojis zu schicken, der findet, Lena Dunham solle ihre Speckrollen nicht so selbstbewusst zur Schau stellen, weil das ja wirklich niemand sehen wolle. Da bekommt das Mittelfinger-Update gleich einen ganz neue Gewichtung.
Ich jedenfalls habe mich nach einem einzigen Vorfall, der mir Wutflecken aufgrund einer hitzigen Burka-Diskussion bescherte, rasch dazu entschieden, solche Gefahrenzonen von Anfang an zu meiden. Versteht mich nicht falsch, Austausch ist wichtig und bereichernd. Aber es gibt Momente, in denen man sich im Angesicht beinahe unfassbarer Intoleranz so hilflos fühlt, dass kein einziges Argument mehr nützlich scheint. Von nichts anderem spreche ich hier. Was ich hingegen liebe, sind laute Streitgespräche, in denen alle Beteiligten zu Wort kommen, sich im wirklich wichtigen Kern halbwegs einig sind, aber nach komplizierten Antworten auf noch kompliziertere Fragen suchen, die im Dialog nach Anknüpfungspunkten Ausschau halten und Meinungen oder Gedankenketten äußern, ohne selbige als ausnahmslos unantastbar zu formulieren. Dann hat man zumindest eine Chance, gehört zu werden. Beim Thema „Feminismus“ geht es auf meinem Balkon beispielsweise häufig rund. Da hacken Freundinnen auf Freunden rum, die sich als Feministen bezeichnen, aber die Schnauze voll haben von leidigen Opferrollen und umgekehrt, da wird diskutiert, ob biologische Unterschiede überhaupt noch von Relevanz sind, oder durch neueste Technologien ausgebügelt gehören, und so weiter und so fort. Nicht selten musste ich dabei schon selbst den imaginären Redestein beiseite legen, um mich eines Besseren belehren lassen. Und immer wieder denke ich dabei: Wie schön, dass wir innerhalb unseres engsten Kreises endlich wieder voller Inbrunst über die Welt philosophieren, in der wir leben, dass uns Innenpolitik rasend macht und Nächte unendlich lang werden, weil es uns eben nicht egal ist, dass die Frau unseres Spätimanns des Vertrauens vergangene Woche auf offener Straße für ihr Kopftuch beschimpft wurde. Natürlich haben wir während der vergangenen Jahre nicht nur über Kaugummi gesprochen. Aber es fühlt sich ein bisschen so an, als hätten wir alle, womöglich meine ich damit sogar unsere Generation, ein neues Level erreicht, ein maximal intensives Miteinander, das durch steten Austausch genährt wird. Das ist schön und wichtig und richtig. Und dennoch bleibt ein Teil in mir frustriert.
Egal ob auf Blogs oder auf Facebook, in den sozialen Medien stolpere ich immer wieder über Un-Sätze, die mich derart rasend machen, dass ich am liebsten zum Telefonhörer greifen würde, um dem Absender Schweinereien ins Ohr zu brüllen. Wenn es um Frauenkörper geht zum Beispiel, oder um Selbstbestimmung, oder Boulevard-Themen wie BrangeliNOT. Kann man ja aber nicht bringen, wenn man nur bekannt, aber nicht befreundet ist. Oder? Wie macht man das also, so ganz allgemein als Mensch? Wie geht man mit den, sagen wir mal, etwas harmloseren und dennoch verstörenden vermeintlich fehlgeleiteten Gedanken seiner digitalen Zeitgenossen um? Runterschlucken? Pöbeln? Aussitzen? Natürlich würde das Wegschauen, anonyme Trollen oder Drücken des „Blockieren“-Buttons schnelle Abhilfe verschaffen, aber am Ende eben doch wieder nur ein Symptom bekämpfen, statt für Genesung zu sorgen. Es kann ja eigentlich nicht so schwer sein. Wir haben es hier schließlich mit gesundem Menschenverstand und nicht mit Quantenphysik zu tun.