Weil wir kein Technikblog sind, wollte ich die nun folgenden Gedanken zunächst beiseite schieben und weil ich mich außerdem nicht mehr für Technik interessiere als für Royals, war ich mir schnell sicher, mir würde außerdem die nötige Expertise für ebendieses Vorhaben fehlen. Jetzt wird es mir aber langsam zu bunt. Oder besser: Verrückt. Denn entweder mein Hirn hat sich jetzt endgültig dem Wahnsinn verschrieben und sich von kritischen Stimmen, Verschwörungstheoretikern und diversen U.S.-amerikanischen Politserien infiltrieren lassen, oder mein Handy hört, was ich sage. Obwohl, vielleicht ist es auch der Laptop. Oder das Tablet. Jedenfalls muss irgendetwas in meiner Wohnung Ohren haben, etwas, ohne Beine und Arme. Etwas, das eigentlich stets zu meinen Diensten sein sollte, statt mich auszuspionieren. Schon klar, man könnte sich in diesem Moment natürlich fragen, ob die werte Modebloggerin wohl eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen habe, besser wäre das wohl; so ein bisschen Irrsinn ist bei so viel Internet im Alltag immerhin nicht auszuschließen. Das war ehrlich gesagt auch mein erster Gedanke. Aber es scheint mittlerweile tatsächlich so, als habe sogar das, worüber ich schlafanzugtragend am Frühstückstisch spreche, Einfluss auf den Werbe-Algorythmus meiner ganz persönlichen Facebook Timeline. Ich habe das Treiben, nachdem ich skeptisch wurde, etwas genauer unter die Lupe genommen. Eine ganze Woche lang. Und die sah, grob zusammengefasst, so aus:
Sarah sitzt bei mir am Küchentisch, ich sage, dass ich unser Büro liebe, Sarah stimmt mir zu, bemerkt aber, dass so ein paar mehr Räume in Zukunft durchaus auch ihren Reiz hätten. Mehr nicht. Es folgte weder ein Immobilien-Scout-Besuch, noch Recherchearbeit. Am Morgen danach fragt mich ein Sponsored Post: „Suchen sie neue Büroräume?“. Was für ein lustiger Zufall.
Am Tag darauf schaut der Mann etwas bedröppelt aus der Wäsche, er schnäuzt sich die Nase und stöhnt, als würde die Last der Welt auf seine Schultern drücken. Ich rolle die Augen, fasele irgendetwas von wegen Männergrippe und treffe einen Punkt, der wunder ist als die Nase, die da am Mann noch mit dran hängt. Ein Streitgespräch. Abends habe ich dann den Salat, zur Grippe gesellt sich ein bisschen Panik und Paranoia. Mir wird ein iPad gereicht, auf dem als Teil eines Sponsored Post mit fetten Buchstaben „LEIDEN SIE AN MÄNNERSCHNUPFEN?“ geschrieben steht. So machen Pharmazieunternehmen heute also neue Freunde. Witzig.
Jedenfalls wurde uns bei allen Späßen trotzdem ein wenig mulmig zumute und das Phänomen der selektiven Wahrnehmung, das man normalerweise etwa vom Autokauf kennt (besorgst du dir ein rotes, siehst du überall plötzlich nur noch Doppelgänger), setzte ein. Jeder Sponsored Post im Feed ergab plötzlich Sinn. Aber Obacht, das war natürlich schon immer so. Google weiß ohnehin alles über uns, und ja, Facebook irgendwie auch, jedenfalls ist die Erkenntnis, dass wir im Netz nach gelben Schuhe suchen, um kurz darauf über gelb beschuhte Banner zu stolpern, keine neue. Wir sind längst transparent. Bloß war mir nicht klar, dass ich diese Durchsichtigkeit noch nicht einmal mehr selbst zu steuern in der Lage bin, dass sie sich nicht nur an meinen Taten ergötzt, sondern auch an Gesagtem. Ich könnte fortan also einfach die Klappe halten. Aber Moment, die Sache mit dem eventuellen Verfolgungswahn war ja noch gar nicht geklärt, weshalb ich mir ein kleines Experiment gönnte und einen Tag lang nur noch sehr laut und sehr deutlich über Schwachsinn sprach, mit dem mein Internetanschluss bisweilen nachweislich keinen Kontakt gehabt hatte. Ich redete also über Versicherungen, die ich nicht habe, über Bier, das ich nich trinke und Musik, die ich erst seit wenigen Stunden kannte, aus Erzählungen. Und siehe da, wie nett, alsbald wurde mir doch tatsächlich ein ganzes Konzert vorgeschlagen, eines von besagter Band, „Hang Massive“, am 14. November im Lido Berlin. Praktisch. Und schwindelerregend schleierhaft.
Gibt man „Hört mein Handy mit?“ in diverse Suchleisten ein, landet man zunächst bei Reddit. Etliche User hatten bereits 2015 eine Diskussion über die Abhörmöglichkeiten Facebooks spekuliert und absurde Erfahrungen geteilt: „My girlfriend and I were talking about engagement, and then we BOTH started to get ads about engagement rings.“ Und so weiter und so fort.
Bei Puls erfährt man außerdem, dass ich, du und womöglich wir alle, dem Gesichtsbuch-Giganten ohnehin längst das Recht eingeräumt hätten, uneingeschränkten Zugriff auf sämtliche Handy-Mikrofone für sich zu beanspruchen. Das Kleingedruckte in den Nutzungsbedingungen, bingo.
Fest steht bisher, dass Facebook spätestens seit Einführung seines Musikerkennungs-Tools mithören kann. Bloß stellt sich nun die halbe Welt die Frage: Macht der Zuckerberg das wirklich?
Ich sage seit neuestem, mit erhobener Stimme, Verunsicherung und Wut im Bauch: DURCHAUS möglich. Bloß weiß ich noch nicht sicher, wem genau in meinem Zuhause besagte Ohren gewachsen sind, vielleicht sogar allen Endgeräten gleichzeitig. Haltet mich jetzt also ruhig für verrückt, das ist in Ordnung. Lieber wäre mir allerdings, ihr würdet es mir beweisen. Dass ich spinne. Dann könnte ich zumindest wieder über andere Dinge fluchen als diesen bittersüßen Berg aus kapitalistischem Datenzucker.