Es gibt wirklich wenige Blogs, die ich privat gerne lese. Das liegt an verschiedenen Dingen, allen voran Zeitmangel und dann manchmal auch Qualitätsmangel. Ein Blog allerdings, an dem ich wirklich nie vorbeikomme, ist Wait But Why. Autor Tim Urban schafft es tatsächlich, inspirierende und auf eine seltsame Weise, extrem ansprechende und verdammt offensichtliche Beiträge gleichzeitig zu produzieren. Aus einem anfänglichen ja klaro wird schnell ein aha soso.
Ich mag es, wenn mich ein Artikel überrascht und wenn ich nach dem Lesen motivierter und irgendwie weitsichtiger bin als vorher. Wie beispielsweise neulich, bei einem Eintrag darüber, wie viele Zeiteinheiten wir pro Tag zur „freien“ Verfügung haben und in welchem starken Kontrast sich diese Zeiteinheiten in Planung und Umsetzung unterscheiden. Es ist nämlich gar nicht so leicht, Dinge zu tun, die einem wichtig sind, wenn man vor allem damit beschäftigt ist, stattdessen Dinge zu tun, die einem so gar nicht wichtig sind. Um sich das einmal richtig klar zu machen, habe ich mir meine täglichen Optionen und Entscheidungsmöglichkeiten visuell in Form von Kästchen veranschaulicht und dabei festgestellt: Wenn ich so weitermache, wird gut 1/20 meiner Lebenszeit für Aktivitäten draufgehen, die ich mir nie vorgenommen und auch nicht genossen habe.
Tim Urbans Blogeintrag „100 Blocks a Day“ ist eine Art Learning-by-Doing-Augenöffner. Er teilt den aktiven Teil des Tages eines Menschens in 100 gleich große Zeitblöcke à 10 Minuten ein, die frei gestaltet werden können. Schlafen, Essen und Badezimmeraktivitäten müssen nach Bedarf natürlich noch untergebracht werden, alles andere jedoch ist theoretisch wirklich völlig frei wählbar.
Mein Tag zum Beispiel sieht so aus:
- türkis: Einschlaf- und Aufwachphase, Snoozing, Motivation für den Tag sammeln, ein paar Seiten in meinem Buch lesen
- grau: Frühstück, Mittag, Abendessen
- pink: Zeit im Badezimmer täglich, in gleichen Teilen auf morgens und Abends aufgeteilt
Sehen sie nicht gut aus, diese schönen weißen Kacheln voller Möglichkeiten? Vor allem am Wochenende kann ich diese 68 x 10 Minuten Blöcke theoretisch komplett so gestalten, wie ich es möchte. Komisch nur, dass ich sie an den darauffolgenden Wochenenden vergeblich gesucht habe, diese 68 weißen Kacheln. Sie sind einfach verschwunden, Samstag und Sonntag wie ein D-Zug vorbeigerast und nach Freitag kommt gefühlt dann gleich wieder Montag.
Urban scheint genau auf dieses Problem hinzuarbeiten; Er schreibt, man solle die weißen Kacheln für einen bestimmten Tag nach Lust und Laune tatsächlich einmal bestücken und am darauffolgenden Tag Planung und Umsetzung miteinander vergleichen. Hatte bei mir nicht so viel miteinander zu tun, meine glorreiche Planung und die klägliche Umsetzung:
- gelb sind Aktivitäten, die ich bewusst gemacht habe, die ich mochte und die ich mir ausgesucht habe.
- Orangene Kreuzchen kennzeichnen, nun ja, meine auf mysteriöse Art und Weise verschwundene Zeit
23 Kästchen, also 230 Minuten waren einfach weg. Nach einer Weile fiel mir schon ein wohin, aber darüber konzentriert nachdenken musste ich schon. Was nicht alles dabei war: Verstricken in unsinnige Diskussionen mit anderen Leuten in meinem Kopf, Social Media aufsaugen und ein Telefongespräch, das ich mir habe aufdrängen lassen.
Schnell den Taschenrechner gezückt und das Unheil langfristig gesehen in Zahlenform gebracht. Wenn ich das Szenario oben für den Rest meines Lebens an ein bis zwei Tagen meiner Woche so praktisch umsetze, kostet mich das locker 1/20 meiner Lebenszeit. Bereit zu geben wäre ich: Null. Wenn ich 20 Tage Urlaub habe, will ich doch auch nicht ohne Grund einfach so einen Tag abgeben.
Lohnt es sich aber deshalb wirklich, 10 Minuten Einheiten zu überdenken? Nunja, vielleicht sollte man die eigene Erkenntnis nicht unbedingt gleich wörtlich nehmen. Aber eine gewisse Achtsamkeit der eigenen Zeit gegenüber, das könnte schon Sinn machen. Vor allem glaube ich, dass es mir gut tun wird, ab und zu mal in mich hinein zu horchen, aus welchen Gründen ich mich grade für eine bestimmte Aktivität entschieden habe. Vielleicht kommt die Entscheidung ja gar nicht wirklich von mir, sondern von außen. Und ja, theoretisch verlängert diese Herangehensweise auf lange Sicht die proaktiv genutzte Lebenszeit, die man hat. Ich muss sagen, dass ich nicht das Gefühl habe, davon so viel zu verschwenden zu haben. Genau genommen haben wir nur 42 Millionen Minuten, um das Beste aus unserem Leben herauszuholen. Warum also nicht gleich damit anfangen?
Für alle, die sich an den Praxistest wagen wollen: den Kästchenplan zum Runterladen gibt es hier.
Credits Collage: gofeminin.de, tumblr (kexxbloxx, now and than, positivelywordworthy), Pinterest (Refinery29)