Kolumne // Kaufe X und Y – löse:
Scalamari is back

01.12.2016 Wir, Leben, Janes

sarah

Was war zuerst da, die kaputten Tasten X und Y auf meinem Laptop – oder der fehlende Wille weiterzutippen? Diese und alle anderen Fragen spielten keine Rolle mehr, als ich vor knapp vier Monaten einfach zuklappte – den Computer – und mich gleich mit.

Kleiner Virus

So, wie es auch locker weiter gehen kann, wenn zwei Buchstaben auf der Tastatur nicht mehr ihren Zweck erfüllen, so ist auch der Mensch über einen beachtlichen Zeitraum in der Lage, auf die ein oder anderen Short-Cuts zu verzichten, kleine Blessuren zu retouchieren, Schwächen zu überkleben, neuen Speicherplatz und glitzernde Hüllen zu kaufen – es muss ja schließlich weiter gehen im Text.

So trugen wir uns lange innerlich bröckelnd, aber voll funktionsfähig, quasi makellos, durch die Welt, mein sieben Jahre altersschwaches Mac Book mit randvoller Festplatte – und ich, die scheinbar nicht bemerken wollte, dass sie schleichend zu einem Scalamari Roboter geworden war und sich längst nicht nur ein kleiner Fehler ins System eingeschleust hatte.

Cola drüber und gut?

Bis zum Moment, an dem schließlich alle Lampen für lange Zeit ausgingen, mussten erst viele 0en und 1en die Datenbahn runter rauschen: Ich zog mir selbst aus lauter zerstörerischer Übermut Schrammen auf Display, Motherboard und der Software zu. Es war, als träufelte mir ein Zwerg da oben drauf auch noch klebrige Coca-Cola, in überschaubaren Dosen zwar, aber stetig, Tropfen für Tropfen. Ich teilte die Euphorie des Zwerges Anfangs mit Verehrung und Begeisterung – Prost, Zuckerschock – Hurra, es brennt so schön. Error.

Dann eben extrem Spa-Life?

Um den gestressten Großstadt-Kopf auszuruhen, beschloss ich: „Einfach mal ein langes Wochenende entspannen – Wellness“. Aus einem Wochenende wurden gefühlt hundert Wochentage und die heilenden Spa-Tempel mutierten alsbald zu wohl duftenden Realitätsflucht-Burgen. Ätherischer Bademantel statt faulig muffelndes und kratzendes Berlin – mhhhh so schön flauschig. Öffentliche Teilnahme und Leben fand von da an, wenn überhaupt, nur noch unter größter Anspannung und Muss statt. Mein schwarzer Bademantel hielt mich gefangen. Lieferboys und Taxifahrer wurden zu meinen Buddies, wir waren wie Brüder – sie fragten nicht viel, lieferten Nahrung, fuhren mich durch die Nacht. Das war gut.

Als einziges realistisch abzuarbeitendes Tages-To-Do blieb auf dem Zettel: Konsumieren, überschminken, abdecken und instagramen, als gäb‘s kein Morgen mehr. Kam ich doch mal aus Versehen in die Verlegenheit die Türe zu öffnen, musste der gute alte „Huch, ich komme gerade erst aus der Dusche“-Trick herhalten. Um doch bittesehr irgendwie auf den Bildschirmen und Köpfen der Menschen stattzufinden – denn, vergessen werden – wer will schon vergessen werden? Also lächelte ich panisch konstant weiter aus dem nie schlafenden Internetz hinaus, wir schliefen einfach beide nicht mehr ein, bis, ja bis sich irgendwann mein Äußeres dem Inneren anglich: Außen Pfui, innen Pfuier – nuschelte mein Körper, der inzwischen zu meinem Feind geworden war, klatschte in die Hände und riss uns ins Funkloch.

Error? Ich doch nicht. Oderrer?

Die letzten Wochen vor Hilfe, kann ich nur als verschleierte Parallelwelt rekapitulieren. Im übrigen Rest Reserveakku-Modus angelangt, glotzte ich das ferngesteuerte Bild meiner selbst nur noch von Außen an, kopfschüttelnd aber zu gleichgültig, um Dinge zu ändern. Sogar die von besorgten Freunden mitgebrachte Power und Standleitungen, die endlose Geduld und ehrliche Liebe, die mir von ihnen zuteil wurde, wollten am Ende nichts mehr nutzen. Sie zwackten wertvolle Energie und Zeit von ihren eigenen ab, um mich irgendwie „on Line“ zu halten. Zwecklos.

Nicht mit einem deutlich offenen, soliden Oberschenkelhalsbruch dazustehen, macht es dabei nicht einfacher, sondern schwieriger, der Außenwelt und dem kranken Kind in sich, einen Namen zu geben. Das „Kind“ war aber inzwischen ohne Frage zu einem pubertierenden Monster angewachsen – nichts ging mehr. Und irgendwann begriff auch die Trägerin: Ich brauche Hilfe. Also holte ich mir in den vergangenen Monaten eben das, was ich mir selbst und auch Freunde und Familie nicht mehr geben konnten. „Du bist unzumutbar – eine jämmerliche Bürde für alle“, hämmerte es als quälender Motor auf der Suche nach dem Weg, in mein Gewissen.

Entschuldigung, wo geht’s denn hier zu mir?

Die größte Hürde war es, wie so oft, den ersten Schritt zu tun. Also schlich ich kopflos drauf los, auf der Suche nach dem Glück, Zufriedenheit vielleicht für den Anfang – mir eigentlich alles egal. Alles besser als jetzt. Mürbe und antriebslos, noch nicht so richtig wissend in welche Richtung zwar, außerdem unvorbereitet und maximal schwächelnd – aber immerhin einigermaßen entschlossen. Hätte ich gewusst, was mich erwartet, ich wäre diesen Weg vielleicht nicht gegangen. Auf meiner Reise lernte (und lerne) ich mich, auf mal angenehme, meist knochenharte Weise, wieder ein bisschen mehr lieben, begriff, was Achtsamkeit bedeutet, übte Gleichmut und legte mir das nötige Werkzeugpaket zu, um mich nach der Heilungs-Findungs-Ich-Reise, wieder selbst reparieren, für mich sorgen zu können. Manches gelang dabei easy, ein großer Batzen ging gehörig in die Hose. Von meinem intensivsten Erlebnis, nämlich der letzten Station, einem Schweige-Kloster in den italienischen Bergen, will ich bald mehr erzählen.

Guter Bademantel, böser Bademantel?

Natürlich begegneten mir auf meiner gesamten Strecke die ratlosen, manchmal anklagenden Stimmen, die entweder meinen Job, meinen Umgang, die Medien, meine Erziehung, mein Essen, meinen Schweinehund, meine Stadt, meine Frisur oder was weiß ich nicht alles für diesen Zustand zur Verantwortung und an den Pranger ziehen wollen – und sie begegnen mir noch täglich. Deswegen sehe ich es als Geschenk, inzwischen gelernt, teilweise verinnerlicht zu haben: Ja, ich bin das alles, sowohl Gutes, als auch Schlechtes steckt in mir. Online und offline. Schönheit und die hässlichste Nacht. Abgrund und Tiefe. Aber eben nie pur, sondern in Auszügen. Irgendwas zwischen den Extremen. Nichts ist nur schwarz oder weiß.

Analoges Mädchen in einer digitalen Welt
Die Erkenntnis über das Naturgesetz, dass alles entsteht und vergeht, nichts für immer ist, fiel mir schwer, es fühlte sich unbequem unromantisch, realistisch an. Wir Menschlein hierzulande wurden doch eben grade zum Festhalten an Gefühlen, Menschen und Dingen erzogen – plus Hollywood, Disney und Social Media. Sich weder an das Davor noch das Danach zu klammern, sondern den Moment gerade wahrzuhehmen, wie er tatsächlich ist, einatmen, ausatmen, leben – ohne Verlangen oder Abscheu – das ist von nun an meine große Herausforderung,

Die zweite persönliche Herausforderung geht damit einher: Banalität als Balsam und nicht als etwas Verachtenswertes anzunehmen. Weg vom Tanz an den Polen, hin zu gelebten Grautönen. Entdämonisierung von Gleichförmigkeit und Mittelmäßigkeit, die beiden sind nämlich anscheinend ganz okay und gar nicht so schlimm, wie ich immer dachte. Normcore Leben – why the hell not? Viele Schwächen in uns kennen wir genau, wüssten sogar, wie wir die eliminieren müssten, damit es uns besser geht – konjunktiv konjunktiv. Auf der intellektuellen Ebene, haben wir meist längst alles scharf durchschaut – können es eben nur noch nicht auf die Gefühlsebene transportieren und anwenden.

Bibi is back?
Ein Weg ist ein Weg, bleibt ein Weg. Und an dessen Ziel bin ich noch lange nicht angekommen, es gibt noch viel zu tun. Neue Programme und Updates, die richte ich mir gerade erst ein. Es ist ein Prozess. Dieser Text ist eine Momentaufnahme inklusive Mini-Flashback. Es ist kein abgeschlossenes Bild, dafür ist es zu früh. Auch den Hollywood-Comeback-Zahn, mit wehendem Haar und Happy End im Sonnenuntergang. musste ich mir selbst schon ziehen. Aber die Richtung stimmt wieder und die Wanderschuhe sind geschnürt. Der Plan ist da aber ganz erhlich Leute, ich weiß noch nicht, ob ich irgendwann da ankomme, wo es mir gefällt. Mit etwas mehr Abstand, wird noch mehr Klarheit und Stabilität dazukommen. Schritt für Schritt. Für den Moment ist es aber erst einmal nur eins: Ein gutes Gefühl, wieder hier zu sein. Analog und digital. Mit diesen Zeilen, mit diesem Gefühl. Danke, an euch, an die Mama Janes, an meine Freunde und Familie, dass ihr so lang auf mich gewartet habt, ihr geduldigen Scheißerchen.

Darauf ein Doppeltes XX YY.

32 Kommentare

  1. Flo

    welcome back <3

    ein fabuloeser text. bin gespannt auf deine berichte bzw das, was du teilen moechtest.

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  2. Karla

    Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden.
    Nur so viel:

    – Danke für so viel Mut.
    – Auf dass Du das findest, was Dir gut tut.
    – Und nicht zuletzt: Schön, wieder von Dir zu lesen. : )

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  3. Berenike

    Wie schön! Du bist zurück! Darauf viel Glitzer und eine Portion Sonnenstrahlen. Auch für deine Ehrlichkeit. Auf dass deine Reise zu dir selbst erfüllend, zufriedenmachend, achtsam, wertvoll wird. Der Weg ist das Ziel! 🙂

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  4. Nathalie

    Liebe Scalamari Jane,

    willkommen zurück und ein großes Lob für so viel Aufrichtigkeit – noch dazu in wundervolle Worte verpackt. Ich wünsche Dir viel Kraft, aber auch Spaß auf deiner Wanderung, mit all den Umwegen und Stolpersteinen, die Du hoffentlich gut meisterst.

    Alles Liebe, Nathalie

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  5. blixa

    wowieee wie mutig ❤️
    mir ging es vor 10 jahren sehr ähnlich und ich war von heut auf morgen 4 monate weg von der sozialen bildfläche. mauseputzallein mit meinen ängsten und sorgen. aber das schlimmste war dass ich mich unglaublich geschämt hab dafür. viele jahre! wie sehr hätte mir damals so ein text geholfen. hoffe dass viele junge (oder auch nicht junge) frauen und männer sich inspiriert fühlen den stecker früh genug zu ziehen und sich helfen zu lassen. liebe liebe liebe blixa

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  6. Rina

    Chapeau: Für deine Offenheit – weil sie anderen hilft, denen es ähnlich geht, sich weniger allein zu fühlen. Und für deine Schreibe – nicht nur für diesen Text, sondern auch dafür, dass du schnödeste PR-Kampagnen lesenswert machst 😉 Du bist richtig gut – und das wahrscheinlich sogar mit weniger als 150 Prozent Herzblut!

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  7. Sophia

    Wie schön von dir zu hören. Viel Mut, Geduld und natürlich auch Freude für die nächste Zeit.
    Ich mag deine Artikel immer sehr, egal ob beauty oder über das Leben. Bis bald.

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  8. Leenie

    Meine Güte Scalamari, du bist unglaublich stark! Danke, dass du die Tage wieder bunter machst 🙂

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  9. Marini

    Schliesse mich den Anderen an, willkommen zurück liebe Scalamari. Vielen Dank für deine mutigen, offenen Worte und viel Kraft und Liebe. <3

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  10. Scalamari Jane

    Ui, dolles Ding! Ein ehrliches Danke für jeden einzelnen Kommentar hier. Die drucke ich mir gerade alle A1 aus, rahme sie ein und hänge sie übers Bett – für kalte Tage. Ihr macht das Wiederzukommen leicht <3

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  11. Maike

    ein RIESENGROSSES HERZ für diesen Text, ich hab mir seit ich Euren Blog entdeckt hab (was tatsächlich gar nicht so lange her ist), immer die Frage gestellt, dass es Euch doch soviel kosten muss, das herzustellen, den Spagat zwischen charmanter Werbung und gleichzeitig Ehrlichkeit zu sich selbst und den „Rezipierenden“ oder Authentizität zu halten, was das mit dem Ego macht (und ich meine Ego jetzt nicht im negativen Sinn) sondern mehr so als Selbstwahrnehmung oder wie man sich selbst spürt. Denn das Internet bzw. die Social Media ist ja schon ein bisschen wie die Antarktis und wir so Fernsehende, die Dokumentationen über Polarforscher angucken. Und ich war immer hin und hergerissen zwischen meinem Gefühl von Faszination gepaart mit einem Dunst von Neid, weil alle Erfolgsgeschichten auf ne Art auch ein bisschen neidisch machen, und Selbstekel von wegen Neidhauch und Voyeurismus, der bei mir ausgelöst wird. Ich finde es schön, dass mir das Gefühl vermittelt wird, dass ich den Menschen sehe und gleichzeitig habe ich das Gefühl, ich schreibe gerade einer Serienfigur, die mir ans Herz gewachsen ist. Es tut mir Leid, dass es Dich so viel kostet. Ich hoffe Du wirst heil, es ist blöd durch sowas zu gehen, selbst, wenn es einen weiterbringt. Der Text ist wunderschön und sehrsehr berührend. Danke.

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  12. pi

    liebe sarah.
    ein großes herz für dich und für diese worte.
    mir fiel dazu sofort ein zitat aus „the asylum for wayward victorian girls“ von emilie autumn ein:

    “You,“ he said, „are a terribly real thing in a terribly false world,
    and that, I believe, is why you are in so much pain.”

    ich glaube, das trifft hier auf mehrere autorinnen dieses blogs zu,
    und ich glaube auch, dass dieser schmerz als „echter“ mensch dazugehört und
    dass er manchmal nötig ist, um einen wieder auf den richtigen weg zu „nudgen“.
    ein bischen mehr achtsamkeit und dankbarkeit als getriebensein,
    mehr innen als außen,
    mehr sinn als glamour,
    mehr wahrheit als schönheit,
    mehr verbundenheit als anerkennung,
    mehr bewusstsein als gedankenverknotung,
    das alles erinnert mich sehr an die dinge, die mich das leben in letzter zeit auch gelehrt hat.

    und ja, das klingt auf den ersten blick vielleicht ein bischen banal und nicht sehr sexy und verwegen,
    aber ich glaube daran, dass das alles in die richtige richtung weist und
    das letztlich nur so wirklich neues, echtes und großes entstehen kann.

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  13. minouk

    wow! mensch scalamari, ich kenn dich gar nicht und weiß überhaupt nicht, wer du bist, aber der Text hat mich echt berührt. Kanns kaum in Worte fassen, deshalb sag ich einfach nur: what Maike said!
    Ich kommentiere hier fast nie, bin nur eine stille, treue Leserin, aber heute ist es so weit. Schön, dass du wieder da bist. Lass es dir gut gehen. Ich wünsche dir, unbekannterweise, das Beste und Schönste dieser Welt! Ganz ehrlich! Dafür, dass du dich hier so rausstellst und dich nackig machst, trotz der fiesen Kommentare, die manchmal kommen. Lass dir gesagt sein, du hast hier viele ehrliche Verbündete, die dir gedanklich den Rücken stärken! Hier ist zumindest eine, die es immer tun wird.

    Hab’s schön, du Gute!

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  14. Annmarie

    danke für diese ehrlichkeit. ich vergesse oft, dass es vielen leuten so geht, wie einem selbst. man ist einfach überfordert mit allem, scollt nur noch durch den perfekten instagram-feed fremder leute und macht damit nur noch alles schlimmer. für mich sind es zwei monate asien und hoffe, die motivation für ein schweigekloster aufzubringen. wollte ich eigentlich schon gemacht haben, habe mich dann aber doch für die einfachere variante entschieden: chillen am strand und auch nach einer woche bin ich noch nicht mal angekommen…aber es wird bestimmt noch. und dann kommt sicherlich bald der moment, wo ich mich bereit fühle nicht perfekt zu sein. auf uns <3

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