Ich bin oberflächlich konsenstauglich. Ein konsenstaugliches Chamäleon sozusagen. Nicht zu laut, nicht zu leise. Lustig aber nicht albern. Höflich, aber nicht unterordnend. Locker, aber nicht überdreht. Freundlich, aber nicht naiv. Selbstbewusst, aber nicht arrogant. Ich wirke deswegen in vielen Situationen fast unsichtbar, aber trotzdem erinnert man sich später an mich, fast immer positiv. Ich habe das perfektioniert. Nicht nur, weil ich festgestellt habe, dass mich dieses Verhalten in der künstlich aufgebauschten Mode-Branche, in der ich lange gearbeitet habe, am wenigsten gefährdet – sondern auch, weil die Wahrscheinlichkeit, abgelehnt und verletzt zu werden, wenigstens etwas minimiert wird. Denn darum geht es: Um unbegründete Ablehnung der eigenen Person. In der Tiefe bin ich ganz und gar nicht konsenstauglich, sondern eher ein seltsames Nischenprodukt mit etwas komischen Ansichten und Prinzipien, über die sich selten jemand unterhalten möchte. Doch davon wissen die meisten gar nichts, weil es zu diesem Level an Intensität oft nicht kommt.
Das finde ich auch nicht schlimm. Intensität ist anstrengend und Oberflächlichkeit sowie Small Talk sehr wichtiger Gesellschafts-Kit. Was ich aber schlimm finde, ist, dass mir in meinem Leben in den meisten Fällen nicht mal mit einem Mindestmaß an Freundlichkeit und Respekt entgegengetreten wird. Selbst mit meiner heute perfektionierten Unsichtbarkeit. Einfach so, aus Gründen, die nie jemand zugeben würde und die ich mir nicht ausgesucht habe. Ich möchte aber nicht abgestraft werden für Dinge, Eigenschaften oder Vorteile, die ich angeblich genieße, wenn diese absolut nichts mit mir als Person zu tun haben. Ich möchte in Frieden vor mich hin leben. Ich möchte in Ruhe gelassen werden. Ich möchte aber auch, dass man mich mag, weil es viel schöner ist, gemocht zu werden. Weil eine freundlich gestimmte Umwelt einem Sicherheit gibt. Weil respektvolles Verhalten und „jemanden mögen“ häufig sehr nah beieinander liegen. Und weil es an meiner Person nichts „nicht zu mögen“ gibt.
Ich werde viel häufiger abgelehnt, als gemeinhin von anderen angenommen. Völlig unbegründet. Ich bin schon immer passiv ausgegrenzt worden und obwohl ich immer überall recht beliebt bin, bin ich trotzdem eine Außenseiterin. Das hat mich hochsensibel werden lassen. Auch wenn niemand etwas sagt, auch wenn Gesichtsausdrücke sich nur kaum merklich verändern und man objektiv meinen könnte, man befände sich in einer neutralen Situation, könnte ich über jede einzelne Begegnung in meinem Leben einen psychoanalytischen Roman schreiben. Ich merke andauernd, dass ich nicht erwünscht oder nicht gewollt bin – oft bevor die entsprechenden Bekanntschaften es überhaupt selber merken.
Die ersten 10 Sekunden eines Aufeinandertreffens sind für mich deshalb die entscheidensten. Fast panisch versuche ich, die Situation möglichst schnell zu erfassen. Ich will vorbereiten sein auf das, was kommt. Denn die Härte, mit der mich der negative Vibe meines Gegenübers leider viel zu häufig trifft, ist eigentlich immer unerwartet schmerzhaft und geht direkt durch, mitten ins Herz. Der Schmerz bleibt manchmal für Tage, er lässt mich nicht schlafen, er lässt mich zweifeln und er lässt mein Leben viel weniger schön erscheinen als es eigentlich ist. Es fehlt mir im Allgemeinen an der nötigen sozialen Schutzmauer, die in meiner DNA offensichtlich einfach nicht vorgesehen war und für die mir deshalb schon mein halbes Leben lang der Baustoff fehlt. Wenn ich spüre, dass mein Gegenüber mich nicht mag, aus Gründen, für die ich nichts kann und für Eigenschaften und Merkmale, die ich nicht verstecken müssen möchte, dann fühlt sich das an, als würde ich bestraft werden für die Person, die ich bin. Ich fühle mich nicht akzeptiert, nicht respektiert und „falsch“. „Du bist nicht okay, du bist nicht gewollt“, das ist das Gefühl, dem man, wenn man es zu oft spürt, irgendwann zu glauben anfängt.
Ich hatte schon immer das Bedürfnis nach Liebe und Akzeptanz. Ich bin nicht gerne eine harte Person oder eine, die ständig daran arbeiten muss, abgestumpft und unterkühlt zu werden, damit mir die Dinge nicht so nahe gehen. Ich möchte nicht die Negativität anderer Menschen in meinem Leben haben. Es ist mir nicht egal, was andere über mich denken. Es ist nicht schwer, mich zu verletzen. Ich möchte gerngehabt werden und das macht mich leider oft abhängig von völlig unberechenbaren Menschen, denen ihr liebendes und fühlendes Wesen abhanden gekommen ist. Die sich im Krieg mit sich selbst befinden und deshalb auch automatisch im Krieg mit ihrer Umwelt.
Über die Zeit allerdings habe ich gelernt, meine Sensibilität nicht mehr als Schwäche zu empfinden, sondern ganz im Gegenteil als ein Geschenk, egal, wie viel Schmerz sie mir auch bereiten mag. Ich mag diese Eigenschaft nämlich eigentlich sehr an mir. Ich möchte nichts an ihr ändern und ich denke mittlerweile, dass sie vielleicht die größte Stärke ist, die ich überhaupt habe. Je häufiger ich verletzt werde, desto mehr Liebe, die ich zu geben habe, scheint sich daraus zu entwickeln. Vielleicht ist das ein simpler Überlebensmodus in dem ich mich da befinde, das ist durchaus möglich. Aber ich umarme diesen Modus jeden Tag und versuche nicht mehr, gegen ihn anzukämpfen. Die Stimmen, die von außen über Jahre an mich herangetragen wurden und in meinem Kopf nachhallen, sind viel leiser geworden, seit ich achtsamer mit mir umgehe. Ein „du bist zu lieb“, „du bist zu nett“, „du bist zu sensibel, zu weiblich, zu weich“ kommt mir inzwischen glücklicherweise oft absurd vor. Wieso sollte ich eine so tolle Eigenschaft, die für die richtigen Menschen in meinem Umfeld und auch für mich selber ein Geschenk darstellt, abstellen? Ein Leben mit Freundlichkeit ist ein gutes Leben, es ist vielleicht das beste Leben. Warum sollte ich es durch Härte, Abstumpfung und durch Kälte ersetzen? Der Fehler liegt gar nicht bei mir, sondern bei jenen, die sich an mir stören. Die in mein Leben kommen und ungefragt kritisieren. Die bei mir herumpoltern, weil sie nicht an sich selbst und an ihrem eigenen inneren Frieden zu arbeiten.
Nur weil ich manchmal mit einer Eigenschaft vermeintlich weniger gut durchs Leben komme, nur weil sie es mir schwerer macht, in allem was Leistungsdenken und Machtergreifungsfantasien beinhaltet, heißt das nicht, dass ich sie deshalb aufgeben will. Selbstzweifel und Unsicherheit müssen dahin zurückgeschoben werden, wo sie ihren Ursprung haben. Nämlich zu den Menschen, die aus einer charakterlichen Schwäche heraus die schlimmen und traurigen Erfahrungen, die sie in ihrem Leben machen mussten, in sehr viel sehr tief sitzende Wut anderen und sich selbst gegenüber umgewandelt haben. Ich wünsche mir, dass ich in Zukunft noch öfter sagen kann: Ja, ich will gemocht werden. Aber wenn du mir absprichst, „okay“ zu sein, wie ich bin – dann nicht von dir.
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