Jeder achte Arbeitnehmer in Deutschland arbeitet pro Woche mehr als 48 Stunden und muss deshalb auf ein Drittel seiner Freizeit verzichten. Klar, die meisten Freiberufler und Workaholics unter uns laufen bei dieser Stundenzahl gerade erst so richtig warm, aber das macht den Wahnsinn nicht gerade richtiger. Auch ich kann mir da schön an die eigene Nase fassen und mich keineswegs freimachen von völlig überzogenem Arbeitseinsatz, der vor allem bei eigenen Herzblutprojekten am Ende eigentlich immer zu Erschöpfungszuständen und fehlender Arbeitskraft führte und somit letztendlich zum vielleicht gerechten Ausgleich meines anfänglichen Übermut. Ich habe mich in so manchen Motivationslöchern gefragt, ob es nicht sinnvoller wäre, zum Beispiel jeden Tag zu arbeiten, dafür aber immer nur fünf Stunden.
So weit dachten andere selbstverständlich schon lange vor mir. Interessante Artikel, Erfahrungsberichte oder Studien zum Thema „verkürzte Arbeitszeiten“ gibt es nämlich eine ganze Menge. Und eins haben sie fast alle gemeinsam: Die Herangehensweise der reduzierten Arbeitszeit hat für Arbeitgeber, Mitarbeiter, Kunden oder Patienten nur positive Seiten.
Zuletzt erinnerte mich ein Beitrag von Edition F vergangene Woche an die theoretisch spannenden Möglichkeiten und Potenziale, die in einer ausgeglichenen Balance zwischen Job und Freizeit schlummern könnten.
Schweden, das schönste und schlauste Kind der EU-Familie, hat es natürlich wieder mal als erstes geschnallt und schon vor mehr als 5 Jahren das Modell der verkürzten Arbeitswoche (vereinzelt) eingeführt. Vorreiter war damals Toyota, die als erstes großes Unternehmen für ihre Mitarbeiter eine 30-Stunden-Woche ansetzten und das übrigens – ein wunderbarer Einzelfall – auch bis heute so handhaben. Nun gibt es keine Studie darüber, dass schwedische Toyotas eine positivere Aura auf Autobahnen verbreiten, aber japanische Autoliebhaber dürfen in Schweden mit Fug und Recht behaupten, dass ihr Auto unter kräfteschonenden Umständen montiert wurde.
Diese Toyotageschichte ist theoretisch ein alter Hut und hätte auch im oben erwähnten Edition F Artikel sicher keine Erwähnung gefunden, wäre da nicht das Experiment dreier Arbeitgeber aus Göteburg, die sich 2015 dem Vorbild Toyotas angeschlossen haben und ebenfalls den 6-Stunden Arbeitstag für ihre Mitarbeiter einführten. Mit dabei ein Krankenhaus, ein Altenheim und ein Technik-Start-Up. Alle drei Unternehmen bzw. Institutionen sind sich geschlossen einig, dass sich in der Testphase Krankheitsausfälle vermindert, die Motivation erhöht und der soziale Umgang unter Kollegen und gegenüber Kunden und Patienten deutlich verbessert haben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien ausgeglichener, belastbarer und ihrer Arbeit positiver gegenüber eingestellt gewesen.
Und dann? Dann wurde das ganze Ende 2016 beendet. Aus, Schluss und vorbei, zurück ist die 40-Stunden-Woche und verschollen so mancher einstmals zum Ausgleich neu geschaffener Arbeitsplatz. Natürlich ist Geld das ausschlaggebende Totschlagargument. Durch die verkürzten Arbeitszeiten müssen mehr Mitarbeiter eingestellt werden und das treibt die Kosten in die Höhe. Und zwar kurzfristig so sehr, dass sie sich mit dem Mehr in der Produktivität, mit Rückgang von Arbeitslosigkeit und den Einsparungen im Krankheitssystem (zumindest erst mal) nicht die Waage halten.
Ab wie viel Arbeitsstunden wird es denn aber nun aber ungesund oder kann man das vielleicht gar nicht flächendeckend für jeden zutreffend festlegen? Könnte das Phänomen der links und rechts aus dem Leben purzelnden Burnout-Kandidaten durch eine 30-Stunden-Woche nicht vollends von der Bildfläche verschwinden? Wie kann es sein, dass die Ausquetschmentalität des Arbeitsmarktes immer noch als effizient gilt? Wie viel mehr Potenzial steckt noch in Arbeitnehmern im Bezug auf Motivation, Innovation und Eigeninitiative? Wäre es vielleicht möglich, ein völlig neues Level an Qualität zu erreichen? Auch die Parallelen zur Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen sind, wie Edition F richtig schreibt, nicht zu übersehen. Wäre eine flächendeckende Reduzierung unserer Arbeitszeit nicht vielleicht eine gut funktionierende abgeschwächte Variante des bedingungslosen Grundeinkommens? Ist Freiwilligkeit vielleicht wirklich die beste Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft?
Mich interessiert eure Meinung brennend. Hat vielleicht jemand bereits in einem Modellprojekt mit reduzierten Arbeitsstunden gearbeitet? Erfahrungsberichte pretty please! Oder interessiert es euch herzlich wenig, ob ihr nun zwei Stunden mehr am Tag arbeitet und haltet ihr die ganze Debatte vielleicht sogar für überflüssig? <3