Gleich zu Beginn der ersten Staffel GIRLS avancierte ich zum Jessa-Fan, wie sollte man dem gefühlt vogelfreien Charakter, der von Jemima Kirche verkörpert wurde und noch immer wird, auch nicht augenblicklich verfallen. Akzent, Attitüde und Andersartigkeit formen in der Serie noch heute eine Persönlichkeit, der man kaum zutraut, fiktiv zu sein. In einem jüngst erschienen Interview mit The Cut spricht die Schauspielerin, die sich eigentlich der bildenden Kunst verschrieben hat, allerdings ganz offen über die gängige Verwechslung ihrer wahren Person mit Jessa. Darüber, dass die echte Jemima durchaus zerbrechlich, sensibel und vor allem selbstkritisch ist. Und über eine harte Zeit mit ihrem Ehemann, die schließlich in einem Kurzhaarschnitt mündete.
Dass mich eine Frisur irgendwann einmal dazu bewegen würde, ihr einen gesamten Gedankengang zu widmen, hätte ich bisweilen kaum für möglich gehalten, schnell erklärt ist dieser Umstand trotzdem.
“I was having a terrible moment with my husband in our relationship, and I was extremely hurt by him and extremely angry at him and so I was feeling self-destructive. But for whatever reason I didn’t do anything self-destructive, really. I just cut my hair. (Refinery29)”
Es ist nicht so, als würde ich mich in diesen Zeilen nicht wiederfinden, ganz im Gegenteil, während meiner Studienzeit trug ich aus ähnlichen Gründen tatsächlich einen platinblond gefärbten Pixie. Womöglich haben sich im Laufe der Jahre sogar die allermeisten von uns zu diesem gängigen Akt der Schmerzüberwindung hinreißen lassen – im festen Glauben daran, eine neue Friseur könne den Liebeskummer wie durch Zauberhand in Luft auslösen. Aber darum geht es heute nicht. Sondern um um den mir bisweilen bloß zaghaft dämmernden Grund, weshalb so viele von uns überhaupt langes Haar tragen. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich ziemlich genau, wovon Jemima Kirke hier außerdem spricht:
„I cut my hair because I felt like my hair was really one of the only things that made me feel pretty. I felt like my hair was my go-to trick. I really believed for a while that without it I would be boring.”
Haare kaschieren Makel, eingebildete und echte. Sie geben Sicherheit, dienen hin und wieder als Versteck an miesen Periodenpickeltagen und funktionieren auf wundersame Weise gleichermaßen als Hingucker und Ablenkmanöver. Je nachdem, was man selbst gerade braucht. Oder eben will. Das ist nett, keine Frage. Aber auch fragwürdig. Jedenfalls dann, wenn wir plötzlich anfangen, uns durch unsere Mähne zu definieren. Womöglich habe ich, ohne es zu merken, längst selbst damit begonnen.
Ein erstes Indiz: Daheim laufe ich pausenlos mit Zopf durch die Gegend, aus rein praktischen Gründen. Weil ich Tomatensoße gern ohne Haarknäuel-Topping genieße und noch dazu kein zweites Mal den Fehler machen werde, die Spliss-Enden in das Knetgummi meines Sohnes einzumassieren. Sobald allerdings ein Termin fernab des Supermarktes ruft, löst sich das Haarband quasi wie von selbst, es wird kurz rechts gewuschelt und dann links, fertig. Das Selbstbewusstsein sitzt. Nur selten lasse ich mich außerdem mit zurückgestecktem Haar fotografieren. Weil ich der Meinung bin, ohne den dunklen Haarrahmen um das Gesicht mangele es meinem Kopf an Volumen. Dem Hinterkopf sowieso, der ist rein faktisch platt wie eine Flunder. Und überhaupt, viel zu asymmetrisch sähe ich dann aus. Dabei mag ich Kurzhaarschnitte grundsätzlich viel lieber und so sehr, dass ich immer wieder gewillt bin, in spontanen Anfällen von Veränderungswahn selbst zur Schere zu greifen. Wie Jemima damals.
Long hair. Don’t care. Going for the mom-who-had-a-tough-year-who-doesn’t-feel-like-brushing-her-fucking-hair look. pic.twitter.com/6DXZZDfLM3
— Jemima Kirke (@jemimakirke) 21. Oktober 2015
Bloß kommt es nie dazu. Wegen der festgefahrenen Ansicht, ich bräuchte all das Haar, um ich zu sein, ganz dringend sogar. Gut, das klingt pathetisch. Aber ihr wisst, was ich meine. Ohne Haar keine Party. Und mir schwant, damit bin ich nicht allein. Dabei haben unsere Nasen, Augen, Münder und vielleicht sogar Ohren doch wirklich ein bisschen mehr (Selbst)Liebe verdient. Also, was jetzt? In meinem Fall bestimmt kein Zapzerap, bloß des Zaperaps wegen, das würde am Ende ohnehin nur Tränen bringen. Schließlich habe ich mühsam wachsen lassen, was da gerade vor sich hin baumelt. Aber sollte ich bald wieder in Kurzhaar-Neid verfallen, werde ich mir ausnahmsweise ganz genau überlegen, was dagegen sprechen würde. Echte Zuneigung gegenüber der Zotteln oder nur ein verqueres Ego, das endlich in die Ecke geschmissen gehört.