Eine Woche ist sie bereits her, die Berliner Fashion Week, und während das gesamte Modevolk gerade alle Augen auf Paris und die hohe Schnittkunst des „Chambre Syndicale de la Haute Couture“ richtet, wollen wir heute noch einmal fix zurückblicken und drei Labels hervorheben, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Zum einen Perret Schaad, die nicht bloß mit ihren aus Draht geflochtenen Ohrringen auf sich Aufmerksam machten, sondern vor allem mit ihren Pyrit-farbigem Kreationen, die die Beschreibung „fließende Materialien“ noch einmal selbst auf die Spitze trieben. Zum anderen sahen gab’s da aber auch die Berliner (oder sagen wir: Schweizer) Antwort auf Vetements, nämlich Julia Seemann Kollektion, die uns geradewegs zurück in die 90er katapultiert. Vladimir Karaleev darf an dieser Stelle natürlich nicht fehlen – und genau mit diesem Herren und seinen verdrehten Kreationen fangen wir an:
Vladimir Karaleev //
Inside Out – Upside Down: Vladimir Karaleev setzt auf altbekannte Art und Weise die Regeln der Mode außer Kraft – und zieht wie immer sein eigenes Ding durch: Oberteile einmal umgedreht, Mäntel auf Links getragen, alles schief zusammen genäht und selbstverständlich mit offener Naht versehen. Außerdem setzt der Meister der Dekonstruktion und der Unperfektheit im kommenden Winter auf Karos – und auf Funktionskleidung! Punktuell wird die Architektur des Kleidungsstückes umgearbeitet, wobei die Oberflächen durch abstrahierte Funktionselemente ornamentiert werden. Es ergeben sich Muster aus den verfremdeten Konstruktionselementen, wenn etwa Säume versetzt oder Krägen umgekehrt werden.
Klassische Mäntel, Jacken und Hemden sind aus groben Wollstoffen, wie etwa Bouclé, Tweed oder Wollfell, gefertigt und kontrastieren mit den fließend fallenden Seidenstoffen von Kleidern, Röcken und Hosen der Kollektion. Die Farbpalette bewegt sich von beige-grau zu dunkelgrün und schwarz und wird unter anderem durch ein weiß-blaues Karomuster ergänzt.
Perret Schaad //
Johanna Perret und Tutia Schaad sind das Frauenpower-Team der deutschen Modebranche, Partner-in-Crime und teilen uneingeschränkt die Liebe zu ihrem Label und zu ihrer Familie. Die Mamas jeweils zweier Kinder haben es über Jahre geschafft, sich ihrer Linie treu zu bleiben und trotzdem Saison für Saison ein Ass nach dem nächsten aus dem Ärmel zu schütteln: Mit dem Feinsinn für Details, Materialwahl und Farbkompositionen. Ihr persönliches Zaubermittel für eine erfolgreiche Kollektion: Die Nähe zur Kunst und die Nähe zu den Frauen, für die sie entwerfen. Und so ist die Mode von Perret Schaad mit den Jahren ganz offensichtlich eben auch mit Johanna und Tutia gewachsen, hat sich an die veränderten Lebensumstände angepasst, ist manchmal vielleicht weniger dramatischer als noch vor ein paar Saisons, dafür möglicherweise aber praktischer – ohne funktional zu sein.
So überraschten die zwei nicht nur mit einem aufregend neuen Print, sondern vor allem mit einem fließenden Material, das perfekt mit dem Licht spielte und den typisch fließenden Materialien des Labels noch mal ein Krönchen aufsetzte.
Julia Seemann //
Julia Seemann will viel – und sie kriegt es zurück: Auch international machte die Schweizerin nämlich dank ihrer extrovertierten Herbst/Winter 2017 Kollektion auf sich aufmerksam. Bereits zum zwölften Mal haben sich ELLE und Mercedes-Benz zusammengetan, um internationale Talente der Modeszene zu fördern. In den letzten Jahren sind dabei Newcomer wie Iris van Herpen, Paper London oder Annelie Schubert hervorgegangen – und Julia Seemann darf sich ab sofort in dieser Reihe mit eintragen. Die junge Designerin nimmt es mit ihren Kreationen jedenfalls gekonnt mit Off-White, Vetements und Balenciaga auf: Streetwear trifft Oversized, konstruierte Workwear-Power verschmilzt mit femininen Silhouetten. So viel dürfte feststehen: Von Julia Seemann werden wir ganz sicher noch viel mehr hören.
Die expressiven Entwürfe der H/W Kollektion wurden übrigens unter Mitwirkung des Grafikdesigners Vaughan Oliver gestaltet und verstehen sich als Hommage an die 80er Jahre Dark Wave Band Xmal Deutschland. Die Show wurde begleitet von einer Live Performance des Berliner Techno-Duos Schwefelgelb.
Oversize Silhouetten ziehen sich durch den größten Teil der Herbst/Winter 2017 Kollektion, ironisch gebrochen durch Strass-Schmuck und eng anliegende Stretch-Jersey-Kleider mit Motiven aus der Mythologie. Julia Seemann verbindet wieder in für sie typischer Weise subkulturelle und nostalgische Einflüsse mit geometrischen und minimalistischen Elementen. Auch setzt sie Elemente aus der klassischen Arbeits- und Alltagsbekleidung durch Volumen, Farben, Materialien, Prints und Stickereien in einen neuen Kontext. Dies kommt in breiten Schulterpartien, großen aufgesetzten Taschen, lang geschnittenen Mänteln und Jacken und betonten Taillen zum Ausdruck