Liebe Nike,
ich weiß gar nicht, wie ich das jetzt richtig erklären soll, ohne irgendwem krumm zu kommen. Aber ich mag Mode so richtig doll, seit ich klein bin. Klein war ich aber in einem noch kleineren Dorf und da bin ich nach dem Studium auch wieder hingegangen, aus tausend Gründen. Meine Freunde hier treiben vor allem Sport in ihrer Freizeit. Du warst ja auch gerade in den Bergen, deshalb weißt du vielleicht, was ich meine. Wir quatschen über dies und das, aber wenn es um Ästhetik geht, bin ich ein einsamer Wolf. Wenn ich rote funkelnde Schuhe trage (meist 2ndHand), denken die alle, ich spinne. Frauen, die sich für Mode und Einrichtung interessieren, sind für die meisten hier schlichtweg oberflächliche Idioten. Eigentlich weiß ich ja, dass Interessen verschieden sind, aber manchmal fühle ich mich so unter Druck gesetzt und falsch, dass ich selbst denke, dass ich irgendwie ein bisschen dämlich sein muss. Aber Schönes habe ich gern um mich. Auf eine relativ gesunde und nicht konsumwahnsinnige Weise, wie ich finde. Alle paar Monate etwas Neues, mehr muss es gar nicht sein. Verstellen will ich mich deshalb nicht. Da musste ich an euch Janes denken. Ihr mögt ja auch Mode, aber ich glaube, ihr seid überhaupt nicht dumm. Was sage ich denen also demnächst, um mich zu verteidigen?
Eine Antwort wäre toll.
Eure Rebecca.
Liebe Rebecca,
du heiliger Bimbam, am liebsten würde ich jetzt einen Kaffee mit dir schlürfen, das da oben klingt ja wie ein Auszug aus meinem eigenen Leben. Vor allem, weil sich im Grunde ja gleich drei Fragen zwischen deinen Zeilen verstecken: Ist es ok, sich für vermeintliche Oberflächlichkeiten zu interessieren? Schließen sich Hirn und ein Faible für Mode automatisch aus? Und wie erkläre ich das alles jetzt dem Rest der Welt? Schwierig. Aber lass es mich kurz versuchen.
Wenn dir mal wieder einer blöd kommt, dann kontere doch bitte zunächst mit einer ganz simplen Frage. Zum Beispiel: Je höher die Absätze, desto kürzer die Hauptsätze – ja, nein, vielleicht? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, lassen sich dann zumindest schonmal Spekulationen über den Intellekt deines Gegenübers anstellen. Darüber, wie weltoffen, aufgeklärt oder engstirnig die jeweilige Person eigentlich selbst so durchs Leben läuft.
Schon alleine die Diskussion über die Vereinbarkeit von modischem Interesse und Intellekt wurde schließlich aus dem Patriarchat geboren. Unsere Gesellschaft ist tragischerweise bis heute der Meinung, kluge Frauen trügen per se keine Blümchenkleider und sollten sich außerdem lieber um das Füttern des Hirns, statt des Kleiderschranks bemühen. Sexismus? Check. Ein Mann darf nämlich alles tragen. Sein optisches Auftreten gilt, wenn man so will, als komplett andere Baustelle als seine geistige Leistung. Bei uns scheint das ominös anders zu sein. In ihrem Essay “ Why can’t smart women love fashion“ schreibt Chimamanda Ngozi Adichie etwa:
„I had learned a lesson about Western culture: Women who wanted to be taken seriously were supposed to substantiate their seriousness with a studied indifference to appearance. For serious women writers in particular, it was better not to dress well at all, and if you did, then it was best to pretend that you had not put much thought into it. If you spoke of fashion, it had to be either with apology or with the slightest of sneers. The further your choices were from the mainstream, the better. The only circumstance under which caring about clothes was acceptable was when making a statement, creating an image of some sort to be edgy, eclectic, counterculture. It could not merely be about taking pleasure in clothes.“
Um es noch deutlicher zu machen: Wenn sich zehn Vorstandsvorsitzende zum Rudelschauen der Bundesliga verabreden, nickt die Masse bloß verständnisvoll bis gerührt über so viel Sports- und Teamgeist. Dabei obliegt das kollektive Bällejagen doch keineswegs einem tieferem Anspruch. Ist aber ok. Denn ein Hobby hat bekanntlich rein gar nichts mit der Fähigkeit zum Denken gemein. Diskutieren Frauen hingegen über Mode, wird’s kompliziert. Was vielleicht Jahrhunderte alten Schemen zugrunde liegt, in der Frauen gerne als Zierpflanzen betrachtet wurden (ein Phänomen, das natürlich noch heute existiert). Und menschliche Deko hüllt man nunmal in Kleider. Erwartungen hegt man ihnen gegenüber allerdings nicht. Bloß sind wir inzwischen im 21. Jahrhundert angelangt und das Tragen von Kleidung erfolgt mittlerweile hoffentlich selbstbestimmt. Die Absätze-Hauptsätze-Rechnug sollte für den modernen Menschen also längst hinfällig sein.
Deshalb hatte auch Chimamanda Ngozi Adichie irgendwann keine Lust mehr, mit der Wahrheit über ihre Leidenschaft hinterm Berg zu halten: „(…) but I no longer pretend not to care about clothes. Because I do care. I love embroidery and texture. I love lace and full skirts and cinched waists. I love black, and I love color. I love heels, and I love flats. I love exquisite detailing. I love shorts and long maxidresses and feminine jackets with puffy sleeves. I love colored trousers. I love shopping. I love my two wonderful tailors in Nigeria, who often give me suggestions and with whom I exchange sketches. I admire well-dressed women and often make a point to tell them so. Just because.“
Genau. Wir dürfen all das lieben. Eben darum. Es ist ja nicht so, als bliebe neben der Mode kein Platz mehr für andere Themen im Kopf.
Aber zurück zu deinen Freunden: Sag ihnen außerdem, dass es sehr wohl wichtig ist, sich für die Lebensstile anderer, außerhalb der eigenen Blase, zu öffnen. Arroganz ist da fehl am Platz.. Genau so wenig, wie man Menschen, die Mode mögen, als dumm abstempeln sollte, sollte man an materieller Ästhetik Desinteressierte als hinterwäldlerisch darstellen. Beides ließe allerhöchstens auf wahre Beschränktheit schließen. Denn „schön“ ist für uns nunmal das, was uns am Herzen liegt. Wenn deine Freunde also gern Skifahren, dann gibt es für sie sicher nichts hübscheres als die Berge. Wenn du selbst aber beispielsweise lieber Bücher liest und dazu Tee aufgießt, dann verspürst du vielleicht eher das Bedürfnis danach, es dir genau dort gemütlich zu machen, wo du ebenjene Tätigkeit ausführst. Auf dem geschwungenen blauen Sofa zum Beispiel. Vielleicht aber auch rote-Schuhe-tragend.
Virginia Woolf sagte einmal ganz passend: „Kleidung hat wichtigere Aufgaben, als uns zu wärmen. Sie verändert unseren Blick auf die Welt und den Blick der Welt auf uns.“ Recht hat sie. Für viele mag ein schwarzer Rollkragenpullover einfach ein schwarzer Rollkragenpullover sein. Du selbst denkst beim Tragen aber vielleicht an existenzialistische Helden und Schriften, an Jean Paul oder Simone De Beauvoir. Du setzt dich in diesem Pullover, ganz pathetisch gesagt, womöglich unter eine Linde, um all deine Gedanken auf ein Blatt Papier zu schreiben. Und ja, wer Mode liebt, weiß, dass sich das in einem Bandshirt wieder ganz anders anfühlen kann. Bei Mode geht es ja immer auch um ein Lebensgefühl oder um einen kulturellen Code oder einen kunstgeschichtlichen Kontext.
Um es auf den Punkt zu bringen: Vielleicht verspürst du gerade weil du Hirn hast, vermutlich sogar ein kreatives Hirn, dieses starke Bedürfnis nach Ästhetik. Weil du kaum anders kannst, als die Welt visuell und emotional in dich einzusaugen. Weil Mode für dich auch Ausdruck von Persönlichkeit ist. Von Haltung. Damit jedenfalls bist du wirklich nicht allein. Selbst die ehrwürdige Ruth Bader Ginsburg trägt noch mit 83 Jahren auffällig exzentrische Spitzenkragen zur Richter-Robe. Und die ist bewiesenermaßen ziemlich sauschlau.
Ganz liebe Grüße,
Nike