Die Isländerin Thordis Elva war 16 und das erste Mal verliebt. Ihr damaliger Freund und sie wollten auf dem jährlichen Christmas Dance den Status ihrer Beziehung für alle anderen sichtbar machen. Thordis, so sagt sie, war zu der Zeit im Übergang vom Leben eines Kindes zum Leben einer jungen Frau. Den ersten Freund der Öffentlichkeit vorzuführen, war dabei natürlich ein wichtiges Symbol.
Thordis fühlte sich an diesem Abend „unsterblich“ und „wie das glücklichste Mädchen der Welt“. Die Nacht des Christmas Dance und ihr neu gewonnenes Selbstbewusstsein aber führten zu folgenschweren Ereignissen, die sie nicht hatte kommen sehen. Neun Jahre später hat sie nun ein Buch über ihre traumatische Erfahrung geschrieben. Und sie hat es nicht allein geschrieben, sondern zusammen mit dem Mann, der sie in der besagten Nacht in ihrem eigenen Bett vergewaltigte. Thomas Stranger, ihr damaliger Freund, ihre erste große Liebe. Der Mann, der eigentlich Teil ihres magischen Abends werden sollte.
Der TED Talk aus dem vergangenen Jahr, der dem Buch (Ich will dir in die Augen sehen, kann hier vorbestellt werden) vorausging, ist wahnsinnig intensiv und dabei sehr beklemmend. Die Situation, dass Opfer und Täter, beide Parteien einer Vergewaltigung, respektvoll nebeneinander stehen und ruhig, wenn auch emotional, ihre Gefühle der Nacht und die psychisch sehr belastende Achterbahnfahrt der folgenden neun Jahre beschreiben, ist einfach absurd. Er fühlt sich so falsch an, dieser Moment, den die beiden auf der TED-Bühne teilen. Und doch sind ihre Worte auf eine seltsame Art und Weise erleichternd, auch für den Zuschauer. Man fühlt vor allem Menschlichkeit, wie man sie so selten erlebt, pur, rein und unverfälscht. 20 Minuten, die mir Gänsehaut beschert und die mich zu Tränen gerührt haben. 20 Minuten die zeigen, dass nichts unmöglich ist. 20 Minuten die zeigen, dass nicht so mächtig ist wie die Wahrheit.
Die Geschichten beider Personen sind aber nicht nur aufgrund des Mutes, den sie aufbringen so berührend, sondern vor allem deswegen, weil jede von uns Thordis hätte sein können. Und so schwer es auch ist sich das einzugestehen, auch für Thomas kann man Verständnis aufbringen. Er ist kein Monster, kein schlechter Mensch, kein Mann ohne Gefühle und Empathie.
Thordis spricht in diesem Zusammenhang von „Labels“, die Opfer der Gruppe der Opfer und Täter der Tätergruppe zuordnen und sie dementsprechend branden. Aber: „Wie sollen wir herausfinden, was in unserer Gesellschaft Gewalt produziert, wenn wir uns weigern, die Menschlichkeit in jenen zu sehen, die diese Gewalt ausüben?“
Wenn auch nur mit einem einzigen Satz bedacht, ist Vergebung und Verzeihung für mich persönlich das wichtigste Thema des Vortrags. Es sind diese Sätze, die mich am meisten mitnehmen und von denen ich mir wünsche, etwas für mein eigenes Leben zu konservieren. Als würde sie der potenziellen Frage eine Antwort vorwegnehmen wollen, erzählt Thordis, dass sie Thomas in einem ersten Brief schrieb: „Ich möchte Vergebung finden.“
„Tief in mir realisierte ich, dass dies mein Weg raus aus meinem Leiden ist, denn egal ob Thomas meine Vergebung verdient oder nicht, ich verdiene Frieden. Die Zeit der Scham musste vorbei sein.“
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