Auch wenn ich euch nun gerne einen wahnsinnig romantischen Einstieg mit verträumten Anekdoten aus meiner Gründungsphase vor drei Jahren präsentieren würde; die Wirklichkeit hinter dem Unterfangen, ein eigenes Magazin zu gründen, war alles andere als glamourös. Kein lauer Sommerabend mit Freunden am See unter Lampions, keine wunderbar seichte Plauderei darüber, was der Welt noch fehlt und somit auch keine stimmige Geschichte, wie aus aus einer Unterhaltung wie jener das Projekt meines Lebens entstand.
Nein, die Sache hat ganz anders angefangen: Nämlich mit mir, halb durch den Wind, halb aufgekratzt, auf dem kalten Steinboden in der Küche meiner Wohnung sitzend. In meinem Schlafanzug noch dazu, mit einer dem Anlass angemessen hektisch aufgerissenen Packung Oreos in Händen. Nervöse Zuckerzufuhr im Ausnahmezustand. Die Entscheidung war gerade gefallen. Wir, also mein Freund und ich, gründen nun also ein nachhaltiges und veganes Printmagazin – mit dem Namen Vegan Good Life. In Zeiten, in denen der Printmarkt wimmernd am Boden liegt, während gleichzeitig die Kioske in Neuveröffentlichungen ertrinken, die zu 95 Prozent kein Mensch braucht, bei einem Anteil an Veganern in der deutschen Bevölkerung von weniger als 3 Prozent. Ich war völlig durch den Wind und sah mich schon in drei Monaten den Arbeitslosenantrag ausfüllen und meine gesamte Familie nach Geld fragen. Und weil das nicht genug war, beschlossen wir gleich noch, dass unsere erste Ausgabe in drei Monaten erscheinen sollte. Meine Vorkenntnisse: Null. Größe des Teams: 2. Motivation: Überzeugung und Herz.
Aber: Wie gestaltet man ein Magazin? Wie kommt es ins Zeitschriftenregal? Wie verkauft man Anzeigen? Wollen wir das überhaupt? Wie soll man die Auflage kalkulieren? Wie stellen wir eine gleichbleibend hohe inhaltliche Qualität sicher? Wer haftet, wenn was schiefgeht? Vertriebswege? Firmierung? Steuerrecht? Webseite programmieren? Irgendwann wird einem schwindelig bei dem Versuch, all das aufzuzählen, was man noch nicht kann oder noch nicht weiß, sich aber dringend aneignen muss, wenn man ein solches Projekt wirklich stemmen will. Genau so ging es mir auch, denn ich hatte auf fast keine meiner vielen Fragen eine Antwort.
Warum der ganze Wahnsinn?
Dafür wusste ich eine Sache ganz genau: Ich wollte Veränderung. Ich wollte Nachhaltigkeit und Veganismus aus der Reserve locken und gleich mit aus der angestaubten Öko-Ecke holen. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, um eine Idee voran zu treiben, an die ich glaube und deren Zeit ich als gekommen ansah. Und ich habe überlegt, was ich tun kann, um genau das zu erreichen. Was bringen wir an den Tisch? Wie sind wir am effektivsten? Sollen wir demonstrieren gehen? Sollen wir Flyer verteilen? Oder ist es nicht am sinnvollsten, das was man am besten kann, so einzusetzen, dass es auf das übergeordnete Ziel einzahlt? Ist es nicht vielleicht auch klug, etwas zu machen, dass einem nicht nur Purpose gibt, sondern einen auch kreativ und ästhetisch ausfüllt, um die Motivation hoch zu halten, um einen langen Atem zu ermöglichen?
Mit Erics Hintergrund als Fotograf und Redakteur, mit meiner frühen Verbindung zur Modewelt, die ich als Model in Mailand mit allen Ups und Downs durchlebt habe, mit unser beider Auge für Gestaltung und stimmiges Brandbuilding, mit unserer gemeinsamen Leidenschaft für Wort, Bild und Konzept wollten wir ein Magazin machen. Und wir sollten genau das Magazin machen, das auch nur wir machen können. Ohne Kompromisse.
Investorengespräche, Rechtsstreits und ein Happy End
Bevor ich diese frühe Erkenntnis mit der grade erschienenen vierten Ausgabe wirklich komplett habe in die Tat umsetzen können, mussten wir erst durch einige schwere Zeiten und einige Täler ziehen. Ich wünsche mir nichts davon zurück, will die Lektionen und Lernerfolge aber auch nicht missen. Was zwischen Oktober 2014 (unserem Gründungsmonat) und Februar 2015 (dem Erscheinungsdatum der ersten Ausgabe von Vegan Good Life) passiert ist, ist für mich im Rückblick sehr unscharf, alles ging viel zu schnell. In weniger als 3 Monaten haben wir drei Gespräche mit eventuellen Investoren und potentiellen Partnern geführt – und uns dreimal dagegen entschieden. Wir haben völlige Entscheidungshoheit einem schnelleren Wachstum und erhöhter Reichweite vorgezogen. Wir haben eine GmbH gegründet (was wir heute so nicht mehr machen würden), zwei volle und einen fast-Rechtsstreit überstanden und uns im Alleingang Design, Druckvorstufe, Buchhaltung, Vermarktung und Verkaufsstrategien beigebracht. Denn hatte ich es schon gesagt? Wir sind nur zu zweit. Außer einer überschaubaren Schar handverlesener Freelancer (die natürlich auch alle betreut werden möchten) kommt alles von zwei Schreibtischen, aus zwei Köpfen und vier Händen.
Viel ist passiert in so kurzer Zeit. Seit Ausgabe 4 ist Vegan Good Life komplett werbefrei. Wir haben das schönste Papier. Wir haben mehr Seiten, wo andere Hefte von Ausgabe zu Ausgabe einen Bogen weniger drucken müssen. Wir sind bilingual, deutsch und englisch in einem Heft und versenden deswegen in die ganze Welt. Wir haben unsere Vertriebswege aus nachhaltigen Beweggründen radikal dezimiert, sind jetzt aber viel sinniger und effektiver aufgestellt. Wir haben uns unabhängig gemacht vom wankelmütigen Zeitschriftenmarkt, den wir einmal komplett durchgespielt und dann für völlig defekt befunden haben. Und wir beweisen jeden Tag, dass es an „unserem Ende“ des Spektrums Raum für eine vegane Publikation gibt – arty, weit draußen, fashion, weird und anders. Und auch wenn es vielleicht etwas komisch klingt, wenn ich das selbst so schreibe: Die Gestaltung, die Haptik, die Typografie, die Bildstrecken – ab und zu fällt mir es mir schwer zu begreifen, dass wir etwas produzieren, das so eine hohe Wertigkeit mit sich bringt, an dem es nicht mehr viel gibt, was ich noch verändern möchte und mit dem ich mich angekommen fühle.
Heute kann ich sagen: Ich habe das Magazin erschaffen, das ich gerne selbst gekauft und gelesen hätte. Nur gab es das, was wir tun, damals und auch heute eben nicht in dieser Art, abgesehen von unserem eigenen Produkt eben.
Und so zahlt Vegan Good Life auf so vieles ein. Ich habe ihn, den gelebten Aktivismus. Ich produziere Output, der mich erfüllt. Und ich kann etwas erschaffen, das für eine zwar kleine, aber dafür dankbare und sehr stilsichere Zielgruppe einen hohen Stellenwert hat. Das ist sehr viel Wert – auch die viele Arbeit, die Zugeständnisse und den Druck. Ich wollte es ja nicht anders.
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