Immer dann, wenn ich eigentlich viel zu viel zu tun habe, denke ich gerne sehr ausdauernd und tiefgründig nach. Das kann über alles Mögliche sein, meistens schweife ich auch ab und tauche erst wieder gefühlte Stunden später in der Realität auf. Ich glaube, durch dieses ständige Nachdenken fällt es mir eher leicht, Dinge aus einer anderen Perspektive und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Für mich ist das nicht anstrengend, sondern wohltuend und beruhigend.
Ich glaube, eine ganz wichtige Zutat für diese Denkprozesse ist, dass mir dieses Abtauchen nur in Situationen gelingt, in denen ich mich wohlfühle. Diese Art des Denkens ist nicht wie eine Matheaufgabe, die man strukturiert von vorne bis hinten durcharbeitet, sie ist eher ein zufälliger Prozess und das macht es so schön unplanbar und ehrlich.
Manchmal laufen mir Menschen über den Weg, die ähnlich wie ich, regelmäßig ihren Gedanken freien Lauf lassen und sich dabei aber mit Themen und Fragen auseinandersetzen, die so ganz anders sind, als der Inhalt meiner Tauchgänge in die Tiefgründigkeit. Ich finde es so spannend und beeindruckend, wenn diese Menschen zulassen, dass man sie dabei begleitet, wenn sie ihre Gedanken und Emotionen offenlegen. Offen mit seinen Gedanken und Fragen umzugehen, ist eine sehr intime und verletzliche Sache, sich darüber lustig zu machen, unglaublich einfach. Wenn man es aber für sich schafft, die Angst vor der drohenden Bloßstellung durch Dritte auszuschalten, kann dabei etwas so wunderbar naives und wahnsinnig reifes gleichzeitig herauskommen.
Genau so verhält es sich mit einem Podcast, den ich vor kurzem für mich entdeckt habe: Vanessa und Caspar, die beiden Hosts, stellten sich die Frage, was passieren würde, wenn sie ein Buch, das allgemein hin als für Kinder geschrieben wahrgenommen wird und das sie beide schon lange begleitet, wie eine heilige Schrift behandelten. Sich dem Text also so zu nähern, wie andere die Bibel oder den Koran lesen und deuten. Und das machen die beiden auch, jede Woche wird ein neues Kapitel untersucht und analysiert. Und ja, bei genanntem Text handelt es sich um die Harry Potter-Reihe. Und ja, das ist ernst gemeint, auch wenn es (siehe oben) allzu leicht ist, das Unterfangen, dem sich Vanessa und Caspar stellen, zu verspotten. Doch die beiden nehmen J.K. Rowlings Geschichte mit auf eine andere Ebene. Sie lesen Harry Potter nicht nur wie Belletristrik für Kinder und junggebliebene Erwachsene, sondern wie einen konstruktiven, für das eigene Leben inspirierenden (und deswegen „heiligen“) Text.
Vanessa und Caspar erschaffen mit „Harry Potter and the Sacred Text“ einen wirklich guten Philosphie-Podcast für Erwachsene, der einem Denkimpulse und neue Sichtweisen eröffnet und zwar weit über das Potter-Universum hinaus, das hier vor allem als Vehikel dient, wie die beiden schon in der ersten Ausgabe sehr deutlich machen. Für mich wird meine kindliche Harry Potter Erfahrung um eine erwachsene Meta-Ebene bereichert und das empfinde ich als überraschend positiv und angenehm. Ich fühle mich gleich zuhause und umsorgt – und kann, wie in der Einleitung schon geschrieben, in dieser Wohlfühlumgebung ganz offen und frei auf intellektuelle Entdeckungsreise gehen. Und zu entdecken gibt es viel, immerhin behandeln die beiden einen anspruchsvollen Themenkatalog. Jede Folge hat ein Überthema mit ordentlich Tiefgang, mit dabei unter anderem „Scham“, „Einsamkeit“, „Großzügigkeit“, „Furcht“ oder „Freundschaft“. Und jedes Mal nimmt man neue Gedanken, neue Einsichten und Inspiration mit.
Was ich für mich daraus außerdem mitnehme, ist ein weiterer Reminder, dass ein voreiliges Urteil die Gefahr mit sich bringt, etwas Wunderbares zu verpassen. Halt und Orientierung zu finden funktioniert manchmal über die einfachsten Herangehensweisen. Dinge, die man noch nicht kennt, nicht einfach zu unterschätzen. Die Erkenntnis, dass man nicht unbedingt immer ein Sachbuch lesen muss, um sein Leben mit Weisheit zu bereichern und neu zu reflektieren. Und dass nicht nur der vermeintliche Ernst des Lebens, sondern auch all das, was einem Freude bereitet und vordergründig „nur Unterhaltung“ zu sein scheint, eine ganz unerwartete Tür zu einer anderen Welt aufmachen kann – und zwar ganz ohne, dass man sich dafür anstrengen oder darauf hinarbeiten muss. Es darf einem nur nicht peinlich sein, im Herzen ein Potter-Fangirl zu sein. Because who isn’t.
Alle Podcasts von Harry Potter and the Sacred Text gibt es hier zu hören.
Abonnieren kannst du das Ganze über iTunes, Stitcher und Soundcloud.
Collage: Stremplerart & haute-vanity.