In unserer Reihe Girls Talk sprechen wir immer wieder über Themen, die ausnahmsweise nur uns Frauen ganz allein betreffen. Jedenfalls beinahe. #Breastpeast zum Beispiel, Elvie, die Pillenproblematik, oder Menstruationskappen. Heute ist die Verhütung an der Reihe und zwar aus gutem Grund: Mit ‚Natural Cycles‚ soll die schwedische Physikerin Elina Berglund eine Verhütungs-App erfunden haben, die ab sofort Pille und Kondom ersetzen könnte.
Verhütungs-App sind längst nichts Neues mehr, es gibt sie im Grunde wie Sand am Meer, zehn, zwanzig, dreißig, hunderte. Ist ja auch ein lukratives Geschäft, diese Fähigkeit zum Gebären im Zusammenspiel mit permanenter Lust. Nicht jeder Akt der Liebe oder Begierde soll heutzutage schließlich in einem befruchteten Ei münden. Weil wir zudem langsam aber die Sicher die Nase voll haben von Hormonen oder Kupfer und Kondome selbstredend lebensrettend sind, in einer Langzeitbeziehung mitunter aber auch mächtig lästig werden können, wird das Verlangen nach einer wirklichen Alternative immer dringlicher. Da halfen bisweilen auch Erfindungen wie ‚Persona‘ nicht weiter. Tatsächlich wollen sich nämlich nur die Wenigsten gänzlich auf die Präzision von Hormon-, Kupfer- oder Latex-freien Verhütungsmitteln, die sich ausschließlich auf Mathematik oder Temperaturmessungen stützen, verlassen. Nur, wer besonders wagemutig oder dem Kinderwunsch insgeheim nicht völlig abgeneigt ist, traut sich an die gängigen natürlichen Verfahrensweisen heran. So ist das auch bei mir. Obwohl ich meine Kupferspirale und die damit verbundene sinnflutartige Periode inklusive tagelanger Krämpfe aus des Teufels Folterkämmerlein verteufle, ebenso sehr wie all die vorangegangenen hormongepeitschten Pillen-Jahren, fehlte es mir für das Umsatteln auf Mutter Natur stets an Leichtsinn und Vertrauen in die Kraft der regelmäßigen Zyklen. Ich war also ganz Ohr, als eine Freundin mir dieser Tage von Natural Cycles berichtete – der Hoffnungsträgerin unter den Neuerfindungen, die bereits von mehr als 100.000 Frauen genutzt wird. Aber was genau steckt dahinter?
„Ich wollte meinem Körper eine Pause von der Pille gönnen, aber ich habe keine gute Form der natürlichen Verhütung gefunden. Also habe ich den Algorithmus einfach selbst geschrieben.“
– Berglund im Gespräch mit WIRED.
Auf den ersten Blick scheint Natural Cycles nicht viel anders zu machen als sämtliche Konkurrenzprodukte. Anhand eines Thermometers wird der Progesteronwert im weiblichen Körper bestimmt, der bekannter Weise Aufschluss über den Eissprung gibt. Ein Mal am Tag muss demnach zur etwa gleichen Uhrzeit die Körpertemperatur überprüft und in die App eingetragen werden, die wiederum nach etwa fünf Wochen gelernt haben soll, wie unser Uterus tickt. Hierzu wird ein eigens von Elina Berglund geschriebener Algorithmus verwendet, den die Co-Gründerin während ihrer Arbeit bei der Europäischen Organisation für Kernforschung entwickelte. Und genau jener soll um einiges verlässlicher sein als alles bisher auf den Markt Gebrachte. Diverse Studien ergaben einen Effektivitätsrate von 99,5% – Erstmals steht eine App der Pille in Punkto Sicherheit also in nichts nach. Jedenfalls wenn man den Machern selbst Glauben schenkt. Dafür spricht jedenfalls ein überraschender Schritt vom TÜV Süd – der hat Natural Cycles jüngst als erste Verhütungs-App weltweit offiziell zertifiziert. Mitunter auf der Grundlage einer klinischen Studie, welche die Daten von mehr als 4.000 Frauen zwischen 20 und 35 Jahren erfasste. Innerhalb eines Jahres kam es dabei zu insgesamt zehn Schwangerschaften an eigentlich „grünen“ Tagen.
Nun ist der menschliche Körper aber keine Maschine, ziemlich komplex und längst nicht allumfassend berechenbar. Was passiert also, wenn es zu Temperatur-Schwankungen kommt? Nach durchfeierten Nächten zum Beispiel, Alkoholkonsum, sportlichen Eskapaden oder hitzigen Stunden im Grippebett? Darüber zerbrechen sich derzeit auch Ärzte den Kopf. TECHBOOK hat bei Dr. med. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, nachgefragt:
„Eine App, die darauf nicht vorbereitet ist und die wesentliche Gründe für Temperaturschwankungen nicht abfragt und einbezieht, ist als hochgradig unsicher anzusehen.“
Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich Berglund gegen die Kritik wehrte. Selbstverständlich würde die App Temperaturschwankungen erkennen, egal, welchen Grund sie haben – dem Super-Algorithmus sei dank. Ebenfalls nicht außer Acht zu lassen sei an dieser Stelle zudem der Fakt, dass andere natürliche Verhütungen eine Fehlerquote von 25 hätten und zwar nicht zuletzt aufgrund oft fehlerhafter händischer Eingaben. Laut Berglund liegt die Fehlerquote bei Natural Cycles hingegen bei gerade einmal 0,7. Zum Vergleich: Die Pille liegt bei 0,9 – es werden also 9 von 1000 Frauen trotz Pille schwanger.
Tja, und was machen wir nun aus diesen durchwachsenen, aber immerhin hoffnungsvollen Erkenntnissen? Ist nun ein Freudenfest angebracht oder vehemente Skepsis? Was tun? Probieren statt studieren? Abwarten? Oder zur Abwechslung mal aufs Ganze gehen? Ich bin mir selbst noch nicht sicher, aber ich würde mir von ganzem Herzen wünschen, dass das hier groß wird. Auch, damit finanziell weniger privilegierte Frauen einen besseren Zugang zur Verhütungsmethoden bekommen. 5,40 € pro kostet die App pro Monat. In Großbritannien könnten die Kosten künftig womöglich sogar von den Kassen übernommen werden.
Alle Infos zu Natural Cycles findet ihr auf der offiziellen Website.