Vergangenen Freitag bin ich 27 Jahre alt geworden und sehr nachdenklich. Ich meine, Geburtstage sind nun wirklich das Letzte, an dem man sich in eine komplizierte Gedankenwelt verkrümeln und über das Leben sinnieren sollte, aber irgendwie könnten sie auch nicht perfekter dafür geeignet sein. Bin ich als Kind noch morgens aufgewacht und habe freudenstrahlend gedacht „Heute ist mein Tag!“, denke ich heute „Heute ist mein Tag?“ und möchte am liebsten liegenbleiben. Wann sind Jahrestage eigentlich so verdammt anstrengend geworden?
Vielleicht, seit ich mein Gefühlschaos durch äußere Höflichkeit und angemessene Fröhlichkeit überstimmen muss. Seit es mir herzlich egal ist, ob und was ich nun geschenkt bekomme, wenn ich mir eigentlich nur mehr Zeit wünsche. Für Frieden. Für meine Träume. Für mich selbst.
Ich bin meinem Geburtstag jedes Jahr so dankbar, weil er mich zwingt, das Vergangene zu rekapitulieren. Dabei ist das gar nicht so negativ, wie es jetzt vielleicht klingt, es ist eher eine positive Frustration. Es ist wie ein Geschenk an mich selber, ein Fahrplan für das kommende neue Jahr.
Mich erdet dieser Versuch eines Neustarts unheimlich und ich bringe meine Prioritäten wieder in die richtige Ordnung, denn die werden im Laufe des Jahres gerne mal undurchsichtig und fransen weg. Ich schöpfe Kraft daraus, mich zu fragen, was ich hätte für mich selber besser und anders machen können. Das Fazit dieses Prozesses ist jedes Jahr dasselbe und es wird immer deutlicher und verständlicher:
Ich habe vergangenes Jahr zu wenig von dem gemacht,
was ich mir insgeheim wünsche und erträume.
Ich bleibe nicht ewig auf diesem Planeten und genau genommen habe ich keine Zeit zu verschenken. Zu viele Optionen bei zu wenig Zeit – oder zumindest denke ich das. Ich schlage mich unendlich viele Stunden damit rum, gesellschaftlichen Vorstellungen gerecht zu werden, erfolgreich zu sein und irgendwie (möglichst ohne groß anzuecken) durchzukommen, während mein Leben natürlich trotzdem individuell und mit möglichst perfekter Außenwirkung daherkommen soll – dabei bin ich am besten immer fleißig und immer zufrieden. Zwar rede ich mir regelmäßig ein, dass es nicht so ist, aber: Ich fühle mich oft gefangen in meiner selbstaufgelegten Limitierung, die nicht einmal davon kommt, dass ich mir gewisse Dinge nicht zutraue, sondern einfach daher, dass ich immer weiter versuche, der Welt gerecht zu werden. Und einer Welt obendrein, von der ich nicht einmal weiß, ob es sie so, wie ich sie sehe, überhaupt gibt, geschweige denn, was sie denn nun eigentlich von mir erwartet.
Ich wünsche mir mehr Kraft zur Selbstverwirklichung. Und vor allem mehr Zeit, die ich meiner Meinung nach auch habe oder haben sollte. Ich weiß eigentlich sehr genau, was ich möchte und habe auch das Durchhaltevermögen und die Selbstsicherheit, mir diese Dinge zu holen, aber wovon ich vor allem und allen voran spreche, ist emotionale Selbstverwirklichung. An meinem Geburtstag meine ich meinen eigenen Schmerz ganz deutlich fühlen zu können – für all die vielen Stunden, in denen ich mich selbst emotional vernachlässigt habe, in Situationen, in denen ich mich eigentlich so gebraucht hätte. Ich verlange von mir, immer stark zu sein und Prioritäten nach Vernunft und Verhaltenskodex (wessen eigentlich? Den der Welt?) zu ordnen. Es bleibt kaum Platz für Traurigkeit, Energielosigkeit, Reboots und Verarbeitung. Je älter ich werde, desto mehr spüre ich, wie ich mich mit diesem Verhalten selbst verletze. Mit 80 oder 90 werde ich auf mein Leben zurückblicken und mich sicherlich nicht daran erfreuen, dass ich immer alles vorbildlich, vernünftig und pünktlich gemacht habe, sondern vor allem an den Momenten, in denen ich echtes Glück und Freude empfunden habe. Und wenn das zu sehr nach Kalenderspruch klingt, sage ich es nochmal anders: Ich würde mich als alte Frau an genau den Dingen erfreuen, denen ich wohlmöglich aktuell die niedrigste Priorität in meinem Leben gebe. Es wird Zeit, genau das endlich zu ändern.
Ich habe mir noch nie so viel Stärke wie jetzt gewünscht, mutig genug zu sein, das zu ändern. Ich wünsche mir mehr ehrliche und glückliche Momente mit mir selbst: Denn es gibt niemandem, dem ich das mehr schulde.