Ab dem 24. April ist Fashion Revolution Week, beginnend also mit dem Tag, an dem vor vier Jahren über 1000 Menschen bei dem Einsturz einer Textilfabrik ums Leben kamen. Carry Somer, Modedesignerin und Aktivistin, rief in der Folge der Katastrophe eine Kampagne ins Leben, die Menschen aus aller Welt dazu animieren soll, sich mit der Herkunft ihrer Kleidung auseinanderzusetzen.
Als kleines Pilotprojekt gestartet, beteiligen sich mittlerweile jährlich weltweit über 70.000 Konsument*innen und Firmen unter dem Hashtag #whomademyclothes an der Fashion Revolution Week und somit am Dialog zwischen Produzenten, Modefirmen und Endkunden. So soll Bewusstsein geweckt werden für die Auswirkungen der Textilindustrie auf die Menschen hinter unserer Kleidung. Selbstverständlich finde ich das Ganze eine gute Idee, das Wachstum und der Einfluss der Kampagne ist nach so wenigen Jahren beeindruckend und in der Theorie möchte ich am liebsten gleich selbst ein #whomademyclothes Selfie posten. Und dann merke ich, dass wir uns eigentlich nur selbst feiern.
Hintergrund
Am 24. April 2013 stürzte in Sabhar – 25 Kilometer nordwestlich der Haupstadt von Bangladesch, Dhaka – ein Fabrikgebäude in sich zusammen. 1127 Menschen kamen dabei ums Leben. Bei dem eingestürzten Gebäude handelte es sich um eine Textilfabrik, die in der Vergangenheit und zum Zeitpunkt des Einsturzes für über 40 bekannte Modemarken – darunter u.a. KiK, Primark, Adler, C&A, Benetton, Mango und Walmart – Kleidung herstellte. Ursache der Katastrophe: Grobe Fahrlässigkeit der leitenden Mitarbeiter und des Besitzers des Gebäudes, minderwertige Baumaterialien und ungeeignetes Bauland.
Und, die Vermutung liegt nahe: Wohl auch enormer Druck, preiswert und schnell große Mengen billiger Kleidung herzustellen, egal unter welchen Bedingungen. Die Verantwortlichen wurden festgenommen und noch im April 2013 beschloss die Regierung die sofortige Schließung von 18 Textilfabriken (und weiteren 100 bis Mitte Mai 2013). Dazu kam die staatliche Erlaubnis von Gewerkschaften und Lohnverhandlungen sowie die Erhöhung des Mindestlohns. Der Name des achtstöckigen Gebäudes wurde fortan zum Symbol für unfaire Löhne, unwürdige und unsichere Arbeitsbedingungen und für die dunkle Seite der Modeindustrie: #ranaplaza. Westliche NGOs, Labels, Designer und Konsumenten zeigten sich schockiert – eine Vielzahl von Kampagnen, Protesten und Spendenaufrufen lief an und viele von ihnen bestehen bis heute. Das gilt auch für die internationale Kampagne „Fashion Revolution“, die von Carry Somers gegründet wurde, um eine Diskussion in Gang zu bringen, aufgehängt an der simplen Frage „Who made my clothes?“ Unter dem Hashtag #whomademyclothes können sich Konsumenten beteiligen, indem sie ihr liebstes Kleidungsstück auf links drehen und das eingenähte Label zeigen – um so mitzuteilen, dass sie wissen wollen, wer ihr Kleidungsstück genäht hat.
In der Theorie eine wunderbare Idee
Eine Kampagne, die leicht verständlich ist, die es schafft, Menschen zu motivieren, sich zu Wort zu melden und die eine einfachen Weg anbietet, sich an der Lösung eines riesigen globalen Problems zu beteiligen – das alles finde ich super. Fashion Revolution ist stetig gewachsen, hat sich internationale Relevanz erspielt und die Großen der Modeindustrie mehr oder weniger freiwillig in den Dialog mit einbezogen. Die Aktion hilft, das eigene Konsumverhalten positiv zu hinterfragen, ohne dabei die Verantwortung nur bei den Endkunden selber zu lassen – die Industrie wird in die Verantwortung genommen. All das verdient Dankbarkeit und Respekt, den ich hiermit voll und ganz ausspreche.
Wir feiern den Fashion Revolution Day – und uns selbst
Jetzt kommt das Aber. Eine Sache, die ich erst nicht so richtig verstanden habe und die mir inzwischen arg zu denken gibt, ist der Umstand, dass diese eigentlich so simple und effektive Idee inzwischen ganz schön zweckentfremdet wird – und ich meine keine großen Brands, die sich ein klein bisschen Greenwashing auf die Website holen wollen, obwohl es das durchaus auch gibt. Nein, es sind ausgerechnet die Sternchen der nachhaltigen Blogosphäre, Influencer aus der bunten Welt der Sustainability und auch sonst viele von jenen, die glauben, es sei eine gute Idee, sich an diesem Tag damit zu schmücken, wie verantwortungsvoll sie konsumieren.
Wie viele Selfies ich jedes Jahr sehe von Leuten, die ihren fair gehandelten Bio-Zwirn in die Kamera halten um so nochmal ganz klar machen, dass sie (a) eh schon alles richtig machen und (b) ganz offensichtlich nicht so richtig verstanden haben, worum es eigentlich geht. Denn wenn deine Lieblingsbluse mit Fairtrade-Siegel kommt, GOTS-zertifiziert und Fairwear-auditiert ist, dann brauchst du die Firma ja gar nicht mehr unbedingt so intensiv zu befragen. Klar ist ein Foto von demjenigen, der das faire Stück hergestellt hat, eine schöne Sache – aber der Grundgedanke des Fashion Revolution Days war meiner Meinung nach vor allem der, diejenigen zum Dialog herauszufordern, die sich bisher herzlich wenig über die Herkunft und Umstände ihrer Kleidung geäußert haben. Dazu die Frage „wer hat’s gemacht?“ genau den Firmen zu stellen, die keine wunderschöne Wohlfühlantwort aus dem Ärmel schütteln können.
Ich habe schon drei PR-Anfragen nachhaltiger Unternehmen erhalten, die mir gerne Samples schicken möchten, damit ich sie am 24.4 auf links gedreht auf einem Selfie trage und mein Bild dann natürlich mit der jeweiligen Firma tagge. Ich möchte das aber nicht. Es geht mir an diesem Tag und in dieser Woche nicht um noch mehr Konsum – egal wie fair und eco das Shirt hergestellt ist. Und es geht noch weniger um mich und die Vorzeigbarkeit meines Einkaufsverhalten. Wir verfehlen das Ziel.
Denn was man nicht zu Gesicht bekommt: Das H&M oder Zara T-Shirt, das jeder noch so astreine Nachhaltigkeitsblogger irgendwo im Schrank vergraben hat. Feiern wir uns nicht ein bisschen zu sehr selbst? Für unsere unheimlich aufgeschlossene Neugier, für unseren Effort mit Selfie und Hashtag? Dafür, dass wir wenigsten drüber nachdenken und dafür, dass das dann am Ende auch irgendwie reichen muss? Laufen wir nicht Gefahr, dass die ganze Chose etwas nach elitärer Überheblichkeit aussieht, wenn wir gefühlt auf alle jene herabschauen, die statt einem Ecolabel eines der großen Fast Fashion Häuser zeigen würden (sich aber vielleicht jetzt nicht trauen)?
Free Downloads und Infos, wie man sich 2017 beteiligen kann gibt es hier.
Credits Collage: Fashion Revolution