Ich behaupte immer, es sei die reinste Wonne in einem Dachgeschoss zu wohnen. Weil man so nah am Wetter lebe und auch an der Sonne. Heute muss ich meine Meinung allerdings entschieden revidieren, denn wenn überhaupt keine Sonne da ist und man stattdessen bloß mit einem stundenlangen Sirenen-lauten Regenprasseln auf den schrägen Fenstergläsern Vorlieb nehmen muss, obwohl doch eigentlich Frühling sein sollte, dann ist das keine Wonne, sondern scheiße. Um es etwas rosiger zu formulieren: Serien-Wetter im Mai, und überhaupt, Vorfreude ist schließlich die schönste aller Freuden. Das Warten auf wärmere Tage lässt sich derzeit immerhin mit einer Handvoll sehnlichst erwarteter Serien füllen. Und zwar mit solchen, die auf absurde Art und Weise reingehen wie Butter, dabei aber mächtig provokant/verstörend/nervig sind:
Girlboss
Was habe ich mich damals auf die Erscheinung von Sophia Amorusos Autobiographie „Girlboss“ gefreut, in dem sie erklärt, wie sie es vor gar nicht allzu langer Zeit schaffte, einen einfachen eBay-Shop in ein Millionen-Imperium namens Nasty Gal zu verwandeln. Klingt ja erst einmal atemberaubend. Ist auch, bloß war was Buch so amerikanisch-salopp daher geschrieben, dass ich es kaum bis zum Ende schaffte. Nun ist aber die zu großen Teilen auf dieser wahren Begebenheit basierende Serie GIRLBOSS mit Brittany Robertson in der Hauptrolle angelaufen. Ein bisschen wie ein Unfall ist das. Man erträgt zuweilen kaum, was man sieht und hört, kann aber beim besten Willen nicht wegschauen. Vielleicht ist gerade das auch irgendwie das Gelungene und Authentische an der Serie. Sophia kommt in dieser ersten Staffel nicht sonderlich gut weg, ist die größte Nervensäge des Jahrhunderts, frech und vor allem geil auf Geld und Macht. Und dann wieder ganz zerbrechlich. Ein Mädchen auf der Suche, wenn man will. Aber vor allem ziemlich stark. So ganz die Wahrheit erzählen wollten die Producer (bis jetzt) jedoch nicht: Das vermeintliche Nasty Gal-Wunderland hat nämlich ein paar Leichen im Keller zu verzeichnen: Feminismus und Frauenrechte etwa werden im Unternehmen eher klein geschrieben, noch 2015 gab es mächtig Stress weil vier schwangere Mitarbeiterinnen widerrechtlich gekündigt wurden. 2016 dann verließ Sophia Amoruso das sinkende Schiff, das inzwischen Insolvenz anmelden musste und aufgekauft wurde.
Dear White People
Mit der Satire-Serie Dear White People habe ich mich erst vor Kurzem verschwestert, aktueller Status Quo: Folge 4. Angefangen hat diese Liaison mit dem traurigen Beitrag eines rassistischen Arschlochs, das, wie der Musikexpress berichtete, lauthals vermutet, diese kleine US-amerikanische Serie würde einen „Genozid an der weißen Rasse bewerben“. Der dazugehörige Tweet wurde tausendfach geteilt, der aufgeklärte Bürger zeigt sich schließlich gern ekelerregend besorgt. Welcome to Vollpfosten-Land. In Wahrheit will „Dear White People“ nämlich mit viel Hirn, Charme und satirischem Fingerspitzengefühl für mehr Toleranz und Aufklärung sorgen, im besten Fall sogar für einen Dialog, der über Netflix hinaus geht. Das gelingt anhand von Alltagsbeispielen ganz gut: Black Facing etwa scheint noch immer kein No-Go zu sein, wenn es um das perfekte Kostüm geht.
13 Reasons Why
An 13 Reasons Why (dt. Tote Mädchen lügen nicht) scheiden sich die Geister. Die auf dem gleichnamigen Bestseller basierende Serie wird zu gleichen Teilen gelobt und gescholten, obgleich sie durchweg als verstörend gilt. „Du hast keine Ahnung, was es heißt, ein Mädchen zu sein“ – um diesen Leitsatz dreht sich im Grunde alles und nichts. Es geht um sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, Liebe, Eifersucht und Freundschaft. An einer High School. Der Wahnsinn des Alltags mündet gleich zu Beginn im Selbstmord der Schülerin Hannah Baker, deren Geschichte nun von hinten aufgerollt wird: Auf sieben Kassetten erklärt sie in 13 Abschnitten, warum sie sich das Leben genommen hat. Und vor allem: Wer Schuld daran ist. Ich empfehle Amelies Artikel zur Serie.