Mit dem Hashtag kam der Hype. Vielleicht war es sogar andersherum, womöglich wurde die Faszination für das moderne Nomadentum auch im selben Augenblick wie der Laptop mit kabellosem Internetzugang und das Freelancen geboren, wahrscheinlich ist der gefühlt vermehrte Drang nach Freiheit sogar erst der (digitalen) Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft geschuldet. Ganz bestimmt sogar. Sucht man auf Sozialen Plattformen nach #Vanlife, ersäuft man mittlerweile jedenfalls in knapp eineinhalb Millionen Bildern, die das Leben auf engstem Raum in einer grenzenlosen Welt romantisieren wie man es eigentlich bloß von der Vergangenheit gewohnt ist. Während viele von uns immerhin mit Filtern und Mode ihre Sehnsucht nach einer Zeit stillen, die man als Mittzwanziger ausschließlich aus Erzählungen kennt, leben andere längst ihren Traum. Als Neo-Hippies, wenn man so will. Und machen uns dabei ganz schön neidisch. Aber ist der #Vanlife Style tatsächlich erstrebenswert oder in Wahrheit nicht viel mehr eine gute Idee, die an der Realität scheitert? Wir haben zwar keine Antwort, aber eine leise Vermutung.
Zurück zum Anfang. Im Jahr 2011 gab Foster Huntington seinen Job als Designer bei Ralph Lauren und seine Wohnung auf, kaufte sich einen Bus und fuhr los. Seither verbringt er seine Tage ganz genau so wie er will: Mit anderen Durchreisenden, mit Abenteuern, vor allem aber mit Freisein. Huntington war der Erste, der das damals noch wenig bekannte Instagram mit dem Hashtag #HomeIsWhereYouParkIt vertraut machte, erfand aber auch #LiveSimple und, genau, #VanLife. Er gilt somit als Godfather moderner Social-Media Nomaden – und scheint bis heute sehr wonnevoll; ein Ende ist nicht in Sicht: „Ich habe mich regelrecht reingesteigert in diesen Gedanken, dass man zum glücklich sein viel weniger braucht, als man denkt. Meine Generation ist ja noch aufgewachsen in einer Gesellschaft, in der es heisst „kauft Dinge, dann werdet ihr glücklich sein“, aber das geht ja schon allein deshalb nicht, weil wir ganz sicher weniger Geld haben werden, als die Generation unserer Eltern. (ArtBerlin)“. Gedanken, in denen sich die Generation Y schnell wiederfindet. Nicht Wenige liebäugeln mit der großen Erfüllung durch Selbstentfaltung und ziehen das stressfreie Treibenlassen fernab des kapitalistischen Hamsterrades dem regelmäßigen Pay Check zumindest gedanklich vor. Sich Krumm machen für Geld, das einzig dem Konsum und Kompensieren verlorener Momente gilt, gerät im Sauseschritt aus der Mode. Stattdessen spricht man von Selbstständigkeit und zeitlich begrenzten Projekten, von minimalistischen Lebenskonzepten und Escapism. Und verdient genau damit im besten Fall auch noch den Unterhalt, den man für #TheSimpleLife braucht. So auch Foster Huntington. Der 1988 in Portland geborene Künstler profitiert von seinen Fotografie- und Videoarbeiten und dem dazugehörigen Blog, den er unter anderem mit allem füttert, was das Busleben birgt. Win-Win sozusagen. So kann der Traum tatsächlich wahr werden.
Emily King und Corey Smiths Version des Vagabundentums sieht recht ähnlich aus. Gearbeitet wird nicht wenig, aber immer mit dem Laptop auf dem Schoß – im Rücken mal Meeresrauschen, mal Baumkronen und Berge. Auf ihrer Website Where is my office now? dokumentiert das Paar sein Leben „on the road“, zeigt Rezepte, die auch auf elektrischen Herdplatten zum Gaumenschmaus avancieren und gibt nützliche Camping-Tipps. Natürlich gibt es auch einen Instagram-Account, der gleichermaßen als Marketing-Tool wie Einnahmequelle funktioniert. Am meisten Likes bekommen jene Bilder, die Emily im Bikini oder verschlafen zwischen Bettlaken zeigen. Hier wird vielleicht am deutlichsten, dass Anhänger der #VanLife Bewegung nicht mit klassischen Aussteigern über einen Kamm zu scheren sind, wenngleich sich ihr selbstgewähltes Leben im Kern womöglich einzig und allein durch die Art der Selbstinszenierung unterscheidet. David Giess etwa fordert: „Bitte tut mir einen Gefallen und verbringt eure gewonnene Freiheit mehr außerhalb der Karre, wo immer ihr gerade auch sein mögt, und weniger in oder um euer Gefährt herum, um euer Abenteuer Social-Media-mäßig möglichst eindrucksvoll in Szene zu setzen. Danke!“ Durchaus verständlich. Vielleicht aber auch wein wenig streng. Denn für jeden noch so ungezwungenen Tag im Van müssen Opfer gebracht werden, das liegt nunmal in der Natur der Sache. Oder, um es ganz einfach auszudrücken: Jeder Hippie muss mal Pipi.
Mit mangelnden Hygienemöglichkeiten ist es aber noch nicht getan. Permanent müssen Wassertanks aufgeladen werden, fließendes Wasser ist Luxus. „Man sollte sich also im Vorhinein klarmachen, was so ein Vorhaben wirklich bedeutet. Dass es zudem ziemlich eng werden wird an den regnerischen und kalten Tagen. Dass Wildcampen nicht überall gerne gesehen ist, schon gar nicht direkt an einem Traumstrand, mit den Wellen direkt vor der Nase. Dass Pannen, Einbrüche oder sonstige Stolpersteine auch immer zu dieser Art von Abenteuer dazugehören. Und dass ihr viel Zeit mit Dingen verbringen werdet, die euch daheim um einiges schneller von der Hand gehen würden.“ Wer sich informiert, merkt also ganz schnell: #VanLife zeigt nur die halbe Wahrheit. Dass es niemals ganze ohne Arbeit geht, nicht ohne Streit wegen all der Nähe, und: Nicht mit Kindern im Gepäck? Genau jene sind jedenfalls kein fester Bestandteil des ersichtlichen Hypes.
Und trotzdem will ich nicht aufhören zu träumen. #VanLife mag zwar nur für die Allerwenigsten denkbar und eine echte Alternative für immer sein, aber doch verbirgt sich dahinter mehr als ein durchgefilterter Like-Garant. Ganz viel kollektive Sehnsucht zum Beispiel. Nach mehr Freiheit, mehr Sein, mehr Natur und mehr Bewusstsein. Manchmal reicht vielleicht schon das Betrachten anderer Lebensentwürfe aus der Ferne aus, um zu bemerken, dass der eigene Plan längst aus dem Ruder geraten ist. Dass es Zeit ist, was zu ändern. Umzudenken, im Kleinen wie im Großen. Und dann wird so eine Auszeit im Bus vielleicht wirklich irgendwann greifbar, für einen Monat oder gar ein ganzes Jahr. Als wir jung waren ist schließlich noch immer genau jetzt.