In der Regel meide ich es ja, die Worte „Verzicht“ und „Nachhaltigkeit“ in einem Satz zu nennen, weil ich verhindern möchte, dass eventuell Interessierte auf dem Absatz kehrt machen. Aber natürlich ist es so, dass man als Veganerin und als Vertreterin von nachhaltigem Konsum nicht mehr alles machen möchte (und kann) wie vorher. Objektiv gesehen gibt es deshalb natürlich auch Dinge, auf die ich verzichte – nur, und da beginnt das Missverständnis, macht mir das meistens nichts aus.
Deshalb finde ich das oft negativ besetzte Wort „Verzicht“ nicht stimmig. Fakt ist, dass ich sehr viel weniger konsumiere, kaufe und vor allem: Inzwischen überhaupt gar nicht mehr haben will. Es ist, als wäre mir eine Last von den Schultern genommen, eine künstlich erzeugte Abhängigkeit von Produkten und Werbeversprechen. Über dieses Gefühl bin ich so dankbar, weil es sich viel leichter lebt, wenn man einmal eine klare Entscheidung getroffen hat und sich konsequent daran hält. So viele Menschen verfallen in schiere Panik, wenn sie dies oder jenes auf einmal nicht mehr machen können, dürfen oder sollen. Sei es nun das Rauchverbot, Verzicht auf Autofahren in der Stadt, ein Veggie-Day in der Kantine, Lebensmittelunverträglichkeiten oder eben eine völlig tierfreie Ernährung. Ich kenne diese Panik überhaupt nicht mehr, ich bin extrem gelassen geworden und weiß genau: Am Ende funktioniert das schon, wenn man sich nur darauf einlässt.
Als Kind war verzichten für mich schwer. Vielleicht weil ich – aus meiner kindlichen und im Gegensatz zu anderen immer noch privilegierten Situation heraus – ständig das Gefühl hatte, verzichten zu müssen. Markenlebensmittel, die Miss Sixty, die Puma-Sneaker – eben diese Kleinigkeiten, die manche Kinder bekommen haben und andere eben nicht. Meine Familie war sicher nicht arm, das Geld war aber trotzdem immer knapp, besonders als meine Schwester und ich kleiner waren. Nein, ich habe kein Trauma davongetragen und ja, wahrscheinlich war diese konsumregulierende Erfahrung im Endeffekt einfach nur wertvoll für meine Entwicklung. Was ich aber bis heute noch so nachfühlen kann wie damals, ist das Gefühl, nicht all das tun zu können, was andere tun. Zu merken, dass man eben nicht angesagt ist, wenn man nicht das richtige Äußere mitbringt. Zu merken, wie schwer es ist, nicht mit der Masse mit zu schwimmen und deswegen immer irgendwie eine Außenseiterposition einzunehmen. Zu merken, dass man all die shiny things aus der Werbung nie besitzen wird, dass Geld leider so ganz und gar nicht unwichtig ist. Mit dem Veganismus und der Nachhaltigkeit lebe ich manchmal gefühlt ähnlich wie damals und alle schütteln sowieso nur den Kopf und finden diese ganzen Einschränkungen „super anstrengend“. Was jene, die sich aber im Verzicht nie üben werden wohl vielleicht nie selbst erfahren, welche Stärke, welch inneres Gleichgewicht und wie viel Frieden sich aus dem sogenannten „Verzicht“ ergeben kann. Als Kind habe ich das natürlich nicht gesehen. Heute verstehe ich viel mehr.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kontext hilft. Sich über Missstände zu informieren hat mich total geerdet, meine Wahrnehmung von Konsum und dem Einfluss von Werbung auf mein Wohlbefinden ist so sehr sensibilisiert, dass ich mittlerweile glaube, dass dieser übermäßige Konsum krank macht. So banal es klingt, aber man muss nicht alles haben. Und das fühle ich tatsächlich auch genauso. Wenn ich irgendwo auf dem Land bin und es dort kein veganes Gericht, sondern nur Menüs mit Fleisch oder Fisch gibt, dann esse ich auch mal Kartoffeln mit Gemüse und Salz, ohne Soße. Wenn gerade Rüschen am Ärmelende angesagt sind und es keine nachhaltige Alternative gibt, dann kann ich vielleicht einfach in dieser Saison nicht mitmachen. Man kann beides überleben. Wir nehmen uns, unsere Wünsche und Vorstellungen und ja, Gelüste, einfach manchmal zu wichtig.
Es führt mir meine Freiheit vor Augen, zu beobachten, wie stark viele Menschen um mich herum an Strukturen und Gewohnheit gebunden sind. Ich sehe so viel verpasstes Entwicklungs- und Wachstumspotential. Na klar, ich mag schöne Dinge, ich lebe nicht in einer kargen Wohnung, ich trage Nikes, ich kaufe Kosmetik und trage Kleidung, in der ich mich wohl fühle. Das alles ist für mich wichtig, aber ich bin nicht abhängig davon. Vielleicht ist es genau das, was ich gelernt habe: Verzichten ist keine Bürde, sondern eine Chance, unabhängig und frei von künstlich erzeugten Bedürfnissen zu sein. Ich habe mir durch ein sozialeres Kaufverhalten ein Stück Selbstbestimmung und damit einen großen Batzen inneren Frieden zurückerobert – und ich bin nicht bereit, das wieder herzugeben. Auch nicht für Soße auf meinen Kartoffeln.
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