Brain Blah //
Es ist Sommer, lasst die Rollen frei.

17.05.2017 Wir, Leben

Ich bewundere Menschen, die viel Sport treiben wirklich sehr, so ist das gar nicht. Diese enorme Form von Selbstdisziplin muss man ja erst einmal aufbringen, und Crunchies – pardon Chrunches – Kniebeugen und Klimmzüge, ich meine, Spaß macht das alles zu Beginn doch nun wirklich nicht, man muss vielmehr erst Blut riechen, dann den inneren Schweinehund erlegen und vor allem dran bleiben, bis eines Tages der Rausch einsetzt und jede Anstrengung zur Wonne wachsen lässt. Aber Freunde, ich fragte mich dieser Tage, ob das denn wirklich alles sein muss. Es geht, so die These, ja kaum mehr um Gesundheit als viel eher um den perfekten (Achtung-Scheiß-Wort-Alert) Beach Body.

Ich lese ja nunmal auch diverse Blogs und Magazine und mein Gott, statt den Frühling mit Wohlwollen und offenen dürren oder dicken, aber zumindest eigenen Armen zu begrüßen, bricht seit Wochen allerorts Hysterie aus. Die einen fressen nur noch die Hälfte, andere verballern jeden lauen Maiabend im Gym und beinahe alle drehen am Rädchen, mobben sich selbst vor dem Spiegel und verzweifeln an Idealvorstellungen, denen so gut wie niemand, der nicht allein zwischen Fotos und Filtern existiert, standhalten kann. Sogar Knie werden gehasst, weil über Knien nunmal Haut und vielleicht auch ein gesunder Fettmantel hängt, ohne gehts ja nicht, außer wir säßen bloß zur Zierde da, mit ausgestrecktem, strammen Bein natürlich.

Ihr werdet jetzt vielleicht sauer und denkt „Du hast ja gut reden mit deinem bescheuerten 36er-After-Baby-Body (Alert!), aber darum geht es längst nicht mehr. Der krankhafte Selbstoptimierungswahn nimmt schließlich seit Jahren keine Rücksicht mehr auf Konfektionsgrößen. Und wir alle sind mitunter selbst Schuld daran, nicht bloß die bösen Hochglanzmagazine, deren Authentizität ohnehin in den Photoshop-Sternen steht und deren Diätpläne den Verkauf ankurbeln, auch Instagram samt Facetune und Konsorten befeuern eine Realität, die keine ist. Wir und auch sämtliche sogenannte Influencer, räkeln uns also regelmäßig im Bikini, was meines Erachtens gut und schön ist, Körper sind wahrlich was Tolles. Aber vergessen dabei freilich niemals, den Bauch einzuziehen und die Luft anzuhalten, die Arme straffend in die Luft zu schwingen oder auf den Zentimeter genau zu justieren, aus welchem Winkel das Bäuchlein in der optischen Senke verschwindet. Was sich daraus ergibt, ist die weit verbreitete Illusion, niemand, der ausreichend schlank sei, besäße auch nur ein einziges Röllchen. Weshalb auch die Schlanksten der Schlanken stetig ein Stückchen näher in Richtung Muskel-Drill schippern, während alle anderen daneben stehen und sich fragen, warum das Universum so gemein war, ihnen überhaupt eine scheiß Rundung und dehnbares Gewebe zu verpassen. Das ist ein bisschen krank, vor allem, weil die meisten von uns froh sein können, eben nicht krank und sogar in Besitz eines funktionierenden Mechanismus zu sein, aber Gier liegt nunmal in der Natur des Menschen. Wir sind uns generell niemals gut genug, außer wir haben die Weisheit und allumfassende Zufriedenheit mittlerweile aus Kübeln geleckt.

Das Dilemma reicht zu allem übel noch viel weiter: Denn wo Wissen nicht mehr hilft, scheint jede Vernunft verloren. Was soll man denn tun, wenn man sich astrein im Klaren darüber ist, nicht mehr ganz beisammen zu sein, darüber, dass eigentlich alles ok, die Medien übergeschnappt und Body Shaming pervers ist, wenn die eigene Unzufriedenheit und damit der Drang nach sozialen Vergleichen zugleich so tief sitzt, dass keine Gehirnzelle der Welt sie zu fressen imstande ist. Womöglich müssen wir uns hin und wieder zu unserem eigenen Glück zwingen und ganz bewusst aus der Comfort Zone heraustreten, um zu bemerken, dass Menschlichkeit stets liebenswürdiger bleiben wird als Makellosigkeit. Vielleicht müssen wir anderen dabei helfen, klar zu sehen, indem wir das nächste Mal ausnahmsweise selbst alles hängen lassen, wenn jemand auf den Auflöser drückt. Mut zur Hässlichkeit sozusagen, die in Wahrheit keine ist, sondern bloß Realität. Ganz sicher aber müssen wir alle mal klar kommen. Chillt doch endlich, will ich uns allen auf den dehnungsbestreiften Oberschenkel tättowieren. Und lasst die Rollen frei! Denn wir haben doch nur diese einen. Aber vor allem einen Sprung in der Schlüssel, der schnell ausfindig zu machen ist und damit im Grunde fast besiegt sein dürfte. Die gute Nachricht lautet nämlich: Glück wird weniger durch objektive Verhältnisse als durch deren subjektive Wahrnehmung determiniert. Das zeigt ein Beispiel aus den USA sehr gut. Da hatte man eine Journalistin gebeten, sieben Tage lang ein Foto ihres Körpers mit dazugehörigen Gedanken rüberzuschicken. Montags fand sie sich noch supi, sie trug ihren Lieblingsrock, hatte ausgiebig geschlummert und eine gesunde Speise verköstigt. Mittwochs schon ging es bergab. Fett fühlte sie sich, auch wegen der Nudeln zum Mittag.

Fakt ist aber: Auf jedem einzelnen Bild sah die Autorin exakt gleich aus. Die Attraktivitätsschwankungen fanden ausschließlich in ihrer subjektiven Wahrnehmung statt. Es ist also durchaus allerhöchste Eisenbahn, nicht nur von Body Postive zu faseln, sondern Body Neutralism zu leben. Das ewige Vergleichen über Board zu werfen und damit zu beginnen, sich zu fragen, wie wir uns selbst, ganz unabhängig vom herrschenden Körperbild, am liebsten haben. Dann ist auch Extremsport okay, sogar für den Kopf. Aber glaubt mir bitte, allglatte Körper sind die ultimative Alpha-Ausnahme, die es zu lieben, aber nicht zu neiden gilt: Selbst Gigi Hadid ist nach Pasta und Pesto ein kleines, süßes Hängebauchschwein. Ich habs mit eigenen Augen gesehen.

19 Kommentare

  1. Tati

    Mmmmh lecker Crunchies. Die sind besser als Crunches. Da hat wohl die Naschkatze aus dir gesprochen (auch ein guter Freund des Schweinehundes). Much love für den Freudschen in Zeile 2 :).

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      1. Tati

        Unterstreicht nur deinen Punkt (dem ich uneingeschränkt Recht gebe). Darauf erstmal eine Limo und ein ein Selfie auf Instagram #nofilter #vonuntenmitDoppelkinn

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  2. lisi ledbetter

    body neutralism – das, genau das. es soll einfach wurscht sein. da hast du absolut recht, nur dann hört die vergleicherei auf. wunderbar geschrieben und auf den punkt gebracht. BRAVO!

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  3. Anne

    Ich liebe dich Nike!
    Der Text spricht mir aus der Seele und ich frage mich oft allenernstes : „Habt ihr nicht mehr alle Tassen im Schrank da draußen?“
    Alle gehen ins Gym und essen nur noch Salat (was eigentlich garnicht mal so super ist für den Körper, denn der braucht ja mehr als ein paar Grüne Blätter ohne Nährstoffe ;)).
    Ich bin ja absolut pro-selbstliebe, auch wenn ich manchmal am schreibtischsitzend an mir runter schaue und die speckrolle am Bauch sehe und denke „oh man“.
    Aber wenn interessierts? Niemanden!! 🙂
    Ich finde es so schade, dass so wenige Mädels rausgehen können, ohne an sich selbst rumzumäkeln und sich mit anderen vermeintlich besser gebauten und dünneren oder was weiß ich zu vergleichen.
    Es ist nicht wichtig ob ich dünn bin oder super trainiert, es ist wichtig, dass ich gesund bin.
    Ich bin froh, dass ich gesund bin und es mir gut geht. Und ich liebe es eben in der Sonne zu sitzen und Schokoladeneis von Werner’s Eisdiele zu schlecken. Weil das nun mal einfach besser schmeckt als Zuckerfreier und Kalorienarmer Schokoeisersatz. Und ohne Fritten und andere Kartoffelige Dinge bin ich einfach nicht so glücklich und gut gelaunt wie ich es bin. 🙂
    Ich freu mich tierisch über deinen Beitrag und würde am liebsten in die Hände klatschen vor lauter begeisterung.
    So – und da nun die Sonne rausgekommen ist, werde ich mir nachher noch ein Schokoeis holen. 😉

    Liebst, Anne
    https://einfachanne.wordpress.com

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  4. elena

    Noch heute morgen war ich joggen und hab bis zum Mittagessen nur leichte Kost zu mir genommen. Wollte mich mal daran versuchen, das ein oder andere Kilo zu verlieren. Dann gab es nach der Suppe erstmal zwei Kugeln Schokoladeneis und schwupps hab ich einen längst überfälligen Text mit ganz viel Kreativität und Ideenreichtum geschrieben. Somit tut mir nicht nur das Joggen gut (obwohl ich meinen Ansatz des Abnehmens von heute Morgen schon total bescheuert finde), sondern auch das Schokoeis <3 Kommt doch letztendlich immer auf die richtige Balance an.

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  5. Maren

    So ein grandioser Text! Ich finde es immer sehr beachtens- und bewundernswert wie wenig ernst du dich selbst nimmst und deine so richtige und wichtige Stellungnahme zu diesem Thema in die Welt schreist.
    Ich hoffe, viele werden es dir gleichtun, denn das einzige was zählt ist die Gesundheit und das eigene Glück.

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  6. Sassi

    Liebe Nike,

    Vielen Dank für diesen Text!
    Ich bin ohnehin ein großer Fan von dir, deinen schlauen Gedanken und deinem Schreibstil, und war einmal ganz Fangirl-mäßig aus dem Häuschen, als du eines meiner Fotos auf Instagram kommentiert hast – aber das ist eine andere Geschichte.

    Falls Du ihn noch nicht gesehen hast, möchte ich dir (und allen anderen Lesern) den Film Embrace empfehlen! Es handelt sich um einen australischen Dokumentarfilm, mitproduziert von Nora Tschirner, in dem genau dieses Thema ganz einfühlsam behandelt wird. Leider lief er nur am vergangenen Donnerstag in ausgewählten Kinos.
    Es wirklich komplett hinrissig und verschwurbelt, wie wir uns selbst quälen, weil wir unrealistische Schönheitsideale haben, uns mit Photoshop-Models vergleichen, uns selbst optimieren wollen und generell nie gut genug zu sein scheinen. Selbst mit dem Wissen über die realitätsfremden Erwartungen an sich selbst und den eigenen Körper, schafft man es selten bis nie, diese komplett zu ignorieren. Noch schlimmer wird das Ganze dann durch das sogenannte Fat oder Skinny Shaming, Frauen können sich oftmals nicht mal gegenseitig unterstützen… aber das führt jetzt soweit.

    Danke auf jeden Fall.
    Weiter so 🙂

    PS: Ab heute nicht Schlechtes mehr über den eigenen Körper sagen! Nur noch die positiven Dinge betonen. Wir sind schön! 🙂

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  7. Maren

    Wow so eine tolle Attitude und Ausstrahlung! ❤️Wünsche mir auch ein back to the basics: mehr Natürlichkeit und weniger 0815immerdasselbe. That’s why I’m here…
    (Die Menschen waren im Durchschnitt nicht unglücklicher / fetter / ungesünder als es noch keine foodtrends und gyms gab)

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  8. KeS

    Gute richtige Worte! Danke dafür! Leider glaub ich häufig an Realitätsverlust der Menschheit-warum schauen alle auf Andere, deren äußere Erscheinung und meinen sich vergleichen zu müssen? Klar, das ist es, was wir zuerst wahrnehmen. Alle jungen, wunderbaren Instagram-User/Magazin-Leser/Blogger etc. sollten sich nen Ast freuen gesund zu sein! Das das gut ist und ein Privileg wird wahrscheinlich erst bewusst wenn man krank wird oder täglich mit Krankheiten zu tun hat (Cellulite, Schlabberärmchen, Röllchen = nicht krank). Enjoy yourself-it could be worse ☀️

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  9. Mareike

    Recht hast du!
    Trotzdem würde ich gern wissen wo der schöne Bikini her ist…Der könnte auch richtig gut meine Rollen betonen. 😉

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  10. Anna

    Ich mag deine Texte immer sehr gerne und finde es auch toll, dass du immer für Selbstliebe plädierst- Aber ich frage mich manchmal, warum ihr nicht einen Schritt weiter geht und Diversität der Körper auch in eurem Blog zeigt? Die Mode, die vorgestellt wird, ist in der Regel auf einen bestimmten (sehr schlanken) Typ Körper zugeschnitten. Ihr habt doch so eine große Reichweite und ein tolles Team, da findet sich doch sicher auch mal was anderes. Zb Richtung Plus Size (würghs, der Begriff).

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  11. Roma

    Mein Tipp: Alle ganz oft in die Sauna gehen! Die Dosis Realität tut sehr gut, denn da existieren keine Topmodels, sondern Menschen jeder Ausprägung.

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  12. Anna

    Super Artikel und wichtiges Thema, wer noch einen Schritt weitergehen will, dem empfehle ich diverse Bodypositivity Accounts auf Instagram (zB chooselifewarrior, bodyposipanda, mindsetforlifeltd). Denn es ist eine Sache, wenn schlanke Menschen mit ein bisschen natürlichem Bauchspeck sich verunsichert und unwohl fühlen. Wirklich dicke Leute haben nochmal mit Diskriminierung und Stigmata in ganz anderen Dimensionen zu kämpfen. Für die sind dann btw solche Bilder wie das oben auch etwas lächerlich: wer wirklich dick ist hat Rollen und Speck in egal welcher Körperhaltung. Ich fände es wirklich super, wenn ihr dieses Thema hier auch noch vermehrt aufgreifen würdet, denn ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass die Diätkultur und -industrie dahinter eines der größten Krankheiten der heutigen Zeit ist und die mentale Gesundheit so unglaublich vieler Menschen dadurch ruiniert wird.

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