Als ich ungefähr acht Jahre alt war, machte mir ein Junge aus der Parallelklasse einen Heiratsantrag. Das war ganz leicht. Wir hatten uns in einem Heuhaufen auf der Wiese vor dem Haus versteckt, weil er, nennen wir ihn doch einfach Hansjürgen, bald von seinen Eltern abgeholt werden sollte. Die Ehe schien da nur der nächste logische Schritt zu sein, denn wenn man verheiratet ist, so dachten wir, würde man uns endlich als Erwachsene anerkennen und bis in alle Ewigkeit Gameboy spielen und Cola trinken lassen. Ich kramte also ein Haargummi aus der Hosentasche, das Hansjürgen alsbald um meinen Finger wickelte, der schnell rotblau anlief, aber das machte nichts, schließlich duftete die Ackerluft mit einem Mal verlockend frisch nach Freiheit. Händchenhaltend richteten wir uns auf, um der Mutter von Hansjürgen und meiner eigenen die frohe Botschaft zu überbringen. Am Ende half alles nichts. Eine halbe Stunde später marschiere ich noch immer ledig gen Zähneputzen.
Die Jahre vergingen und mit ihnen mindestens drei missglücke Versuche meinerseits, um jemands Hand zu bitten. Weder Otto, noch Erik oder Rasputin wollten mich zur Frau nehmen. Nur einer begründete seine Entscheidung mit meiner einnehmenden Zahnspange, die anderen beiden fühlten sich laut eigener Aussage in ihrer durch Disneyfilme geprägten Ehre gekränkt.
Bäh, Mädchen machen keine Heiratsanträge, hieß es damals. Und ich wage zu behaupten, dass die Allgemeinheit bis heute eine sehr ähnliche Meinung vertritt. Ich natürlich nicht, ich bin ein moderner Mensch, emanzipiert bis ins Mark, selbstsicher und stürmisch. Weshalb ich mit der Volljährigkeit ohnehin beschloss, niemals überhaupt jemanden zu ehelichen. Dachte ich zumindest. Bis ich neulich Abend – nach einer Zankerei, die sich um lange Fahrradreisen quer über die Seidenstraße kreiste – fluchend im Badezimmer verschwand, um eine halbe Stunde später mit einem aus Waschlappenfetzen gebastelten Verlobungsring, dem ich selbstredend einen zweidimensionalen Diamanten mithilfe von rotem Nagellack verpasst hatte, zurück Richtung Wohnzimmer zu kriechen. Scheißerer als gerade kann ich den Typen gar nicht finden, sagte ich mir im Stillen, und wenn ich ich sogar jetzt vor Liebe platze, dann soll es wohl so sein, im besten Fall für immer. Des Wahnsinns schwanger nahm ich nun denn all meinen Mut zusammen und ging auf die Knie, den Waschlappenring fest im Griff, um zum großen Finale anzusetzen: „Hier, den hab ich dir gebastelt, weil du so doof bist und trotzdem toll und ein bisschen auch aus Langeweile“, flötete ich beschämt und in mich selbst einknickend. Weil ich mir nicht nur reichlich „Wie werde ich ihn los in zehn Tagen“ vorkam, sondern noch dazu an meiner eigenen Erwartung gescheitert war. Chance verpasst und den Zonk gezückt. Vielleicht war ich zu feige, es zu wagen, womöglich aber auch einfach zu unmodern. Ersteres hätte ich mir irgendwann verziehen, letzteres kann ich noch immer nicht fassen. Weil es so wahr ist. Oder?
Hatte sich dank Hollywood etwa ganz unbemerkt das klassische Rollenbild des flehenden, aber doch heldenhaften, mutigen und zugleich hoffenden Mannes in mein Hirn eingepflanzt, der seiner Auserwählten nach etlichen Höhen und Tiefen den dicksten Stein von allen überstülpt, an abgefahrenen Orten oder in hochemotionalem Momenten? Zu allem Übel halten die Highlights der Filmindustrie meiner Jugend bis auf wenige Ausnahmen sogar die passende Erklärung für diese sehr einseiige Form der Brunst parat: Der Mann galt (oder gilt?) gemeinhin als Schlingel, der gezähmt werden muss, was einen Heiratsantrag zum ultimativen Liebesbeweis macht. Würde man den Spieß mir nichts dir nichts umdrehen, laufe man Gefahr, am Ende den vorprogrammierten Scheidungs-Salat zu haben und vorher ja auch irgendwie bloß ein halbgares Commitment. Jasagen kann schließlich jeder, aber Fragen, das machen bis dato nur jene verliebten Herzensritter, die wirklich und wahrhaftig das gesamte Paket wollen. Soweit jedenfalls die antiquierte, verkehrt herum sexistische Annahme. Und tatsächlich: Ich müsste lügen, würde ich nun behaupten, einen ähnlichen Gedankenstreich hätte mein Hirn mir in diesem erst kühnen und dann kläglichen Moment keineswegs gespielt. Im Grunde war es sogar ganz genau so. Meiner eigenen Zuversicht war ich mir aus dem Nichts heraus mehr denn je im Klaren (obwohl ich bis zum Waschlappen noch nicht ein einziges Mal über eine Verlobung nachgedacht hatte), was mir aber ganz spontan an meiner fixen Idee fehlte, war so etwas wie eine Bescheinigung der Gegenseite, für die ein Ja als reine Antwort nicht ausgereicht hätte. Die Vorstellung eines aktiven Jas gefiel mir plötzlich viel besser. Weil ich eine Frau bin? Und am Ende vielleicht überhaupt kein bisschen emanzipiert? Nein. Und an dieser Stelle möchte ich plötzlich aufatmen. Denn Heiratsanträge sind keineswegs Männersache. Sondern (beinahe) Menschensache.
Wenn überhaupt, dann will zum aktuellen Zeitpunkt also, dass mein Freund irgendwann derjenige ist, der um meine Hand anhält, und zwar nicht weil er ein Mann und ist und eine Frau, sondern weil wir wir sind. Mit einer gemeinsamen Geschichte, einer gemeinsamen Vergangenheit und gemeinsamer Zukunftsmusik. Das musste ich aber erstmal kurz verdauen, vor lauter emanzipatorischer Dauerbeschallung. Es geht hier gar nicht um Rollenbilder, es geht um persönliche Historie, die im Zweifel dann eben in einem veralteten Rollenbild mündet. Und das darf sie auch! Eine bewusste Entscheidung ist das, eine, die mein Bauch zwar zuerst, aber im Namen meines Hirns getroffen hart.
Ganz anders war das zum Beispiel bei Lorelei, die traute sich zum Ende der letzten Staffel Gilmore Girls nämlich doch noch, ihrem „Luke“ einen Antrag zu machen. Ein waschechter Skandal brach los, der sämtliche Dorftanten schließlich dazu veranlasste, in mitleidigen Gefühlen gegenüber Lukas zu ersaufen, schließlich hatte man ihn um seine Mannesehre betrogen. Ein lächerlicher Beigeschmack. Sollten wir doch eigentlich vielmehr in Wut ertrinken. Wegen der Religionen, Rassisten, Institutionen und Konservativen, die sich bis heute anmaßen, der Liebe einen Riegel vorschieben – sofern sie denn nicht in das eigene, diskriminierende Rollenbild passt.