Ihr werdet mit dem Kopf schütteln, aber: Ich gehe nicht gerne ins Kino. So ein dunkler Kinosaal, klebrige Popcorn Rückstände auf den Fingern und dieses eklige Müdigkeitsgefühl danach, ist so gar nichts für mich. Auch jeden neuen Film zu gucken; ein schwieriges Thema. Sonntagabend gibt es Tatort, ganz einfach. Ist aber eben mal nicht Sonntag, es regnet und ein Film soll die Zeit vertreiben, diskutiere ich mindestens eine halbe Stunde mit einem Freund über das, was im Fernsehen laufen soll, während es Netflix und Co keinesfalls leichter machen. Ich kann mich nie entscheiden und will dann am liebsten immer etwas, was ich schon kenne, was ich so auf mich einrieseln lassen kann, dass ich eh schon heiß und innig liebe. Wenn ich dann gar nicht mehr weiter weiß, bin ich meistens mutig und setze alles auf eine Karte: Wie wäre es mit Jersey Shore?
Ok. Das muss ich jetzt irgendwie erklären, ganz von vorne, sonst denkt jeder, ich habe einen absoluten Spleen, bin der Geschmacklosigkeit verfallen und habe einen Faible für schlechte, amerikanische Reality TV. Ups, da habt ihr mich. Ich bin auf einem guten Weg aus der Sucht, die mich schon seit meiner frühen Jugend begleitet, aber fühle mich immer noch wie magisch hingezogen zu Formaten frei von Inhalt, voll von Youngstern am Ende oder am Anfang ihrer Karrieren, produziert von Menschen, die sich SallyAnn Sansano oder Adam DiVello nennen.
Ganz harmlos ging es los mit Laguna Beach – The real California. Oh so real. Minderjährige Jugendliche werden begleitet, wie sie sich verlieben, zerstreiten, Mamis Geld auf den Kopf hauen oder einfach ein total coolen High School Dasein fristen, alle versammelt um all American Girl Lauren Conrad, ihres Zeichens Martha Steward unserer Generation und so sehr Kalifornien, dass man es sich kaum vorstellen kann. Ganz harmlos eben. Das Wort bingen gab es 2010 noch nicht, aber ich war trotzdem voll drin. Das ging so gut rein. Das hatte so wenig Inhalt und vor allem: Was hatten die es alle gut! Eine Handvoll Cuties mit einem Surfbrett unterm Arm, alle gehen zur Pedicure und werden auf unheimlich süße Art und Weise zum Prom eingeladen. All’ das, was offensichtlich in meiner eigenen Jugend fehlte, wollte ich auf einmal täglich um mich herum. Als alle Staffeln vorbei und durch waren, ging es dann von vorne los. Immer und immer wieder. Ich war hooked. Völlig neben der Kappe, schaute ich mir jede Staffel mehrfach an und war wie beseelt, als dann endlich The Hills als Nachfolger rauskam. Sechs Staffeln geschriebene Reality für kleine Mädchen wie mich, voll von geplatzten und Fleisch gewordenen amerikanischen Träumen. Plötzlich wollte ich Handtaschen tragen und Haarbänder und einen Freund mit dem ich mich streiten kann, nur damit er mir zur Entschuldigung 20 langstielige Rosen in knallrot überreicht. High Heels, high Hopes.
Ach MTV, was hast du nur mit mir gemacht? Als wäre das nicht alles schon schlimm genug, als wäre das nicht schon die Ausgeburt der kalifornischen Hölle in meinem Jugendzimmer da in der Glotze, war das ja nur die Spitze des Eisbergs. Über die Jahre kamen da noch weitere Griffe ins Klo dazu, Sachen wie Jersey Shore oder MTV Real world: Alles Sendungen, die Big Brother in absolut nichts nachstehen, in denen sich alle maßlos die Kante geben, sich danach entweder prügeln oder gegenseitig verführen und kein Problem dabei haben, alles auf Kamera aufzeichnen zu lassen. Warum tut man sich das an? Unangenehm war es mir noch nie, zuzugeben dass ich eine starke Neigung zu schlechtem, gescripteten, amerikanischen Versionen vom RTL 2 Vormittagsprogrammen habe, dass ich mich irgendwie darüber amüsieren kann, wie sich Snookie und JWow im Tequila-Rausch die Kleider vom Leib reißen und am Strand ihre Liebe fürs Leben treffen. Dabei ist es so richtig leicht abzuschalten, das kann man sich geben ohne auch nur ein Fünkchen seiner Gehirnaktivität zu beanspruchen. Dabei wirken realen Probleme und das echte Leben so unglaublich weit weg. Popkultur vom Feinsten. Ist doch irgendwie ok, oder nicht? Ist es in Ordnung, sich so etwas reinzuziehen und sich gleichzeitig als kultiviert, gebildet und emanzipiert von außen zu betrachten? Geht das überhaupt noch? Geht’s noch?
So ein anderes, bewusst inszeniertes Leben anzuschauen, lässt neben dem kurzzeitigen verlassen des eigenen Kosmos auch zu, sich über kurz oder lang über andere Lebenswelten hinwegzusetzen. ICH würde sowas ja nie machen, was sind DIE alle oberflächlich, DAS würde ich nie vor der Kamera sagen. Aber liegt die eigentliche Perversion nicht dann in der fortlaufenden Selbstbeweihräucherung des Rezipienten? Oh ja, ich bin was viel Besseres als die. Big Brother? Jungle Camp? Ich? Niemals würde ich das gucken. Ach Jersey Shore – das schaue ich doch nur zum Spaß. Genau. Nur zum Spaß. Und ein kleines Bisschen zur Alltagsflucht.
Ich kann leider immer noch nicht von mir behaupten, genannte Formate in Gänze abzulehnen. Es ist ja alles irgendwie unterhaltend und für den Moment ein herrlicher Zeitvertreib. Im Nachhinein aber fühlt es sich an, wie nach einem Menü von McDonalds: Ganz kurz war es gut, so richtig und danach bekommt man irgendwie Bauchgrummeln und ein unbehaglichen Völlegefühl stellt sich ein. Vielleicht ist das aber auch der Grund, weshalb beide; Junk Food Ketten und Reality TV Formate so erfolgreich sind: Sie sind gut, so für den Moment. Wohltuend für die Seele, ganz kurz. Fast Food Entertainment. Balsam für die Seele und dabei so furchtbar seelenlos, aber vielleicht gar nicht so schlimm, in Maßen, in geringen Dosen und ab und an. Kann man Mal machen. Genügend reflektiert versteht sich. Manchmal ertappe ich mich also auch heute noch dabei, wie ich durch oben genannte Show-Formare zappe. Da muss ich ganz ehrlich mit mir sein. Jersey Shore geht grad nicht mehr. Jede Staffel zwei Mal zu wiederholen, ist dann eben doch genug.