Liebe Leser*innen,
manchmal fragen wir uns, wie viel Nähe zu euch gesund ist, welche Gedanken geteilt gehören und wo Privatsphäre unbedingt vonnöten ist. Seit sieben Jahren schon lassen wir euch an Vielem teilhaben, das zu unserem Leben gehört, in Worten und Bildern und nicht immer ist der Drahtseilakt zwischen Nahbarkeit und Seelenstriptease ein leichtes Spiel, es wird sogar stetig komplizierter. Anders würden wir es vermutlich gar nicht wollen, denn wo Herz drin steckt, übermannen Gefühle mitunter jede Professionalität. Man müsste nämlich eigentlich meinen, uns seit mittlerweile eine mächtige Elefantenhaut gewachsen. Weil wir aber ganz normale Menschen sind, funktioniert das Aneignen von Mutanten-Kräften nur sehr bedingt und wenn man so will, sind einige Kommentare für uns sowas wie grünes Kryptonit für Superman, mit dem einzigen Unterschied, dass wir keine Heldinnen sind und damit so gut wie ausgeliefert. Dieser Tage bleiben uns also nur ein paar wenige Möglichkeiten: Wir könnten zum Beispiel auf Durchzug schalten, oder Jane Wayne abschalten oder einfach sämtliche Gedankengänge freischalten. Zunächst war ersteres geplant, aber dann kam die Sonne. Und ein guter Freund, der schon zu Schulzeiten mein persönlicher Wolverine war. Er besitzt offenbar die Kraft, mich zu regenerieren und braucht dafür für gewöhnlich nicht mehr als strenge Worte.
Ich saß also da, am ersten von drei Tagen Mallorca, einer von uns wurde 30, die Stimmung war genau so warm wie das Wetter, nur meine nicht, die war mehr als mies. Mein Körper hatte mir kurz vor der Abreise den Stinkefinger gezeigt und mich zur Ruhe gezwungen, so sehr wie das erste und letzte Mal nach Lios Geburt. Ich wollte trotzdem mit, aber vor allem weg. Weil ich irgendwann selbst nicht mehr wusste, was richtig ist und was falsch, wo Kritik an dem, was wir mit Jane Wayne geschaffen haben berechtigt und wo sie bescheuert ist. Also habe ich von vorn angefangen und unsere Geschichte von Beginn an erzählt, den wachsamen Ohren des Wolverines, der zwischendurch sehr sauer wurde. Vor allem auf mich, weil ich dem kapitalistischen System unterliege, weil ich Chanel mag und nicht auf Geld scheiße. Wo die Nike sei, die vor Rage beim Reden spuckt, wenn sie über das Sozialsystem schimpft und über Leute lacht, die auf Festivals duschen, fragte er. Die sitzt vor dir, antwortete ich, jetzt selbst erhitzt und dennoch in vollem Bewusstsein darüber, dass diese Provokation beabsichtigt und vielleicht als einzige wirklich hilfreich sein würde. Denn plötzlich war da wieder ein Wille. Und eine Meinung. Es ist nämlich so:
Als wir 2010 Jane Wayne gründeten, waren wir noch grün hinter den Ohren, unbedarft und auch etwas unwissend. Wir wussten bloß, dass man einen Job haben muss, um die Miete zu zahlen, dass wir Mode mögen und das Schreiben, nicht aber, was hinter der Branche steckt, dass Kleidung grün sein kann und der Alltag Gift für die Welt. Dieses Bewusstsein schlich sich erst mit Mitte 20 auf unseren Radar, also änderten wir das Konzept. Weg von reiner Lobhudelei auf den schönen Schein, hin zu mehr Themen-Diversität. Wir wollten mehr sein als ein Abziehbild der Modemagazine, wir wollten eine Stimme haben, Feminismus wieder populär machen und über Literatur und über Liebe reden, über gesunde und gute Alternativen und das Leben. Das wollen wir bis heute. Dennoch haben wir uns dazu entschieden, Teil eines Systems zu bleiben, das uns nur überleben lässt, wenn zwei Ebenen miteinander vereint werden: Die Kommerzielle auf der einen und die Non-Profit auf der anderen. Heuchlerisch finden manche das – Kolumnen zu tippen, einen Fair Friday einzuführen und etliche lokale, kleine Labels zu unterstützen, um am Ende freudig Liaisons mit Marken wie Mercedes Benz einzugehen. In erster Instanz verstehe ich die Kritik, womöglich geht sie mir deshalb so nah. Aber diesen Text schreibe ich nicht, um mich dafür zu entschuldigen, sondern um mit aller Kraft für jede Entscheidung einzustehen, die wir getroffen haben und auch in Zukunft treffen. Abgesehen davon, dass dringend klar werden muss, dass ohne profitable Kooperationen weder Geld noch Zeit bliebe, um sich der guten Seite der Medaille anzunehmen und dass ich zudem die streitbare Position vertrete, dass Boykott weniger bringt als Veränderungen von innen heraus (H&M!), ist die Realität, die sich auf Jane Wayne widerspiegelt vor allem meine eigene, unsere Realität. Man kann sich als Leser*in entweder in ihr wiederfinden oder sie, ganz bestimmt auch zurecht, als abstoßend empfinden und ihr den Rücken kehren. Aber hier wird sie bleiben. Warum?
Ich lebe nicht rundum nachhaltig und deshalb ist auch Jane Wayne keine Fair-Alles-Plattform. Ich versuche bloß, vieles, ja sogar mehr denn je, richtig zu machen. Stück für Stück. In meinem Ermessen. Was genau ich mache, um nicht tatenlos dabei zuzusehen, wie die Menschheit in ihrem eigenen Müll ersäuft, tut an dieser Stelle nichts zur Sache. Viel wichtiger ist es gerade, ehrlich mit alldem umzugehen, was mich zu einem typischen Opfer der allgegenwärtigen Doppelmoral macht, getreu dem Motto Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein: Ich fuhr zum Beispiel lange Zeit ein richtig fettes Auto, einen Jeep, in den unser Kanu und auch Zelte passten, während Sarah noch heute von einem Hof und einer G-Klasse träumt, dessen Kofferraum vollgeladen sein soll mit Pflanzen für den eigenen Garten. Nach 18 Jahren Vegetarismus beiße ich mittlerweile etwa alle zwei Monate in einen Guacamole-Ziegenkäse-Burger, der größer ist als meine sowieso schon echt groß gewachsene Hand. Und manchmal, nachdem ich auf der Terrasse dabei zugesehen habe, wie wieder einmal jemand die Freifunk-Antenne neben unserem Solar-Panel neu ausgerichtet hat, zähle ich im Kopf zusammen, wie viel Miete ich spare, weil mir finanzielle Freiheiten wichtiger sind als Dielenböden und Flügeltüren, und lasse das übrig gebliebene Geld ganz anti-idealistisch bei Gucci auf dem Tresen liegen. Hin und wieder aber auch bei Mango. Mein ganzes Leben ist somit ein dilemmatischer Drahtseilakt. Zwischen menschlichem Makel, einem Gehirn, das es eigentlich besser weiß, guten Vorsätzen, regelmäßigen Aussetzern, Realismus und irrationaler Freude über Kleinigkeiten und modische Kinkerlitzchen, über Kooperationen mit Firmen, deren Produkte ich selbst konsumiere und über Unterstützer*innen, die auf den ersten Blick womöglich (wie von euch angeprangert) das Patriarchat befeuern, auf den zweiten aber ganz schön viel dagegen tun.
Die Kernfragen werden dabei immer bleiben: Bin ich lieber Teil der Veränderung, oder warte ich im Stillen auf Besserung? Mache ich mich lieber angreifbar, indem ich kleine Schritte in die nachhaltige Richtung mache oder sonne ich mich in einfacher Egalität, weil ohnehin niemand viel mehr von mir erwartet als Plattitüden und pinke Pumps? Jeweils letzteres natürlich. Aber wie dem auch sei, mit der Summe meines Handelns und Nicht-Handelns bin ich nicht besser oder schlechter als der Durchschnitt, der moralische Appelle in den allermeisten Fällen von einem Apple-Produkt aus ins Internet raus schickt, um sich trotz eklatanter selbstverschuldeter Gräuel an Natur und Mensch zumindest ein bisschen besser zu fühlen. Ich bin damit sozusagen der Stereotyp unserer Generation, die von Heilung träumt, aber das Gegenteil lebt. Fehlbar, gut im Verdrängen, ein Arschloch, wenn man so will. Aber eben ich. Ein Ich, das im besten Fall mit jedem Tag ein wenig genügsamer, gelassener und grüner wird, es aber längst noch nicht ist.
Wir durchlaufen also auch mit Jane Wayne (weil Jane Wayne nunmal eine persönliche Plattform ist) seit Jahren eine Entwicklung. Eine, die manch einem nicht radikal genug ist. Man sollte sich zwar nicht an anderen messen und dennoch frage ich mich dann: Macht ihr Lauten denn wirklich alles richtig? Nein, aber zumindest keine Werbung für das Falsche. Treffer versenkt. Strenge Radikalität widerstrebt mir trotz allem aus vielerlei Gründen auch weiterhin, ganz zu schweigen davon, dass sie uns nicht nur finanziell den Kopf kosten sondern auch den Budget-Hahn für Autorinnen und freie Texte zudrehen würde, so viel Ehrlichkeit muss sein. Jetzt könnte man natürlich sagen: Hört auf zu jammern und lasst Jane Wayne doch einfach sein! Keine kluge Lösung, wenn man mich fragt. Was wäre die Alternative? Realistisch und fernab jeglicher Aussteiger-Träume betrachtet, in einem anderen Hamsterrad mitmischen etwa, an dem dann zwar nicht ich selbst, aber andere drehen würden. Ich will gerade wirklich vieles, aber das ganz bestimmt nicht. Ich will vor allem weiterhin mit Agenturen und Menschen arbeiten, die ich schätze, mit Sarah an allererster Stelle, ich will mit ihr und euch und den großen Brands im Gepäck wachsen, mit Kunden in den Dialog treten, Köpfe von Führungskräften umkrempeln, kleine Labels und gute Projekte unterstützen können, weiter zuhören, eure persönlichen Nachrichten beantworten und über Themen schreiben, die mir am Herzen liegen. Vor allem aber will ich weiterhin auf eigenen Beinen stehen, jeden Tag das womöglich Einzige tun, was ich kann, nämlich tippen, ich will meinem Sohn trotz meiner womöglich naiven Berufswahl Sicherheit bieten, Träume erfüllen und weder auf meine Eltern noch auf irgendeinen Mann angewiesen sein. Das alles ermöglicht mir Jane Wayne. Das ermöglicht ihr uns und dafür ich bin euch zutiefst dankbar.
Gerade erreiche ich nichtsdestoweniger einen Punkt, an dem ich mich zwangsläufig fragen muss, bis zu welchem Grad ich mich dem Donnerwetter von einer Handvoll Fremden, die zwingend nur von Außen bewerten und beurteilen können, überhaupt aussetze, wenn ich selbst, vielleicht auch einzig wegen der Innenperspektive, weiß, dass der Weg, den wir gehen, für uns persönlich der richtige ist? Weil Jane Wayne ohne skeptische Stimmen aus der Vergangenheit heute längst nicht so leuchten würde. Weil es nunmal wichtig ist, dazuzulernen. Ich selbst musste im letzten Jahr vor allem eines lernen: Dass man es nicht allen recht machen kann. Aber dafür all jenen, die ein bisschen so ticken wie wir. Deshalb planen wir gerade einen mittelgroßen Relaunch (ihr merkt es sicher schon an unserem kleinen Sommerloch), der in gewisser Weise auch einen Neuanfang kennzeichnen soll. Unser Abenteuer soll schließlich so wunderbar weitergehen wie bisher und dabei nicht nur uns gefallen. Also her mit den Ideen, Anregungen und Verbesserungswünschen! Nur so viel wird schon verraten: Jane Wayne wird nicht mehr rosa, aber immer noch kunterbunt sein.
Puh, Wolverines, das war lang.
Eure Nike