Kaum ein anderes Beauty-Thema hat euch hier in den vergangenen Wochen so sehr interessiert wie unsere „No Make-Up“-Erfahrungen. Grund genug, auch unsere Redakteurin Elina um einem Selbsttest zu bitten und ihre Eindrücke nach Nike, Julia Koch und Julia Korbik mit euch zu teilen. Bittesehr:
So sehr ich den Schönheitskram auch liebe, so sehr freue ich mich auch regelmäßig in der Woche, meiner Haut und mir Ruhe zu gönnen. Sich einfach mal den „wichtigeren Dingen“ im Leben zu widmen, was Verrücktes zu wagen, ganz ungeschminkt den Fuß vor die Tür zu setzten und nicht entscheiden zu müssen, ob Rot, Pink oder Nude für den Tag mein Lippenbegleiter wird oder ob man seine Wimpern eher XXXXL füllig und geschwungen oder überdimensional Spider-lang haben möchte. Ich weiß, ich weiß first world problem und so. Zu meiner Verteidigung sei gesagt: Mein Alltagslook bestehlt lediglich aus Wimperntusche, einer leichten Foundation oder einer BB Cream und Blush. Mehr nicht. Ok, manchmal Glow aus der Tube, aber das war es dann wirklich auch schon. Aber nun ja, beruflich beschäftige ich mich eben mit all den Schönmachern dieser Welt und ganz nebenbei erwähnt, schminke ich mich wirklich furchtbar gerne – und das meine ich tatsächlich so, denn all die Farben landen auf meinem Gesicht, weil ICH es will, weil mir Mascara ein gutes und wohliges Gefühl gibt. Jetzt höre ich schon eure Stimmen: So ein bisschen Farbe macht dich selbstbewusster? In gewisser Weise und wenn ihr das so haben wollt, schon. Und das soll nicht bedeutet, dass ich mich selber ganz ohne hässlich finde, ich verstecke mich auch nicht hinter Make-up, ich unterstreiche nur die guten Sachen in meinem Gesicht. Aber damit war für eine Woche lang Schluss:
Ich habe Spaß an Wässerchen, Seren und Tiegelchen und obwohl ich mich nicht als eine Schmink-Tussie bezeichnen würde, ist mir aufgefallen, dass ich meine vier Wände für offizielle Termine, sei es mit Freunden, Kunden oder anderen wichtigen Veranstaltungen meines Lebens, nicht ohne Mascara und Co. verlasse und dass, seit ich das erste Mal mit unschuldigen 13 Jahren einen Kajalstift in der Hand hielt. Gut, die Postbotin oder der Bäcker nebenan kennen meine ungeschminkte Wahrheit und natürlich, eine Handvoll enger Freunde ebenfalls – das wars dann aber auch schon. Bitte nicht falsch verstehen: Im Urlaub, Schwimmbad, am See etc. bin ich selbstverständlich nackt im Gesicht.
Aber spätestens seit Alicia Keys das No-Make-up Thema auf den Tisch gelegt hat, kreist es auch in meinem Kopf versteckt seine Bahnen und ich frage mich immer häufiger: Wann gab es denn das letzte Mal Situationen, in denen ich Menschen, allen voran Frauen, bei offiziellen Veranstaltungen getroffen habe, die ungeschminkt waren? Lassen wir Alicia Keys und Nike Jane außen vor. Ich meine jetzt so ganz ohne alles, nicht einmal im skandinavisch schönem No-Make-up Look und roten Lippen, ohne einen Hauch Mascara, ohne einen Hauch Concealer oder Augenbrauenpomade.
Bewusst kann ich mich an keines dieser Events erinnern und beschloss auch deswegen einen Selbsttest zu wagen, mit folgenden Fragen in meinem Kopf: Fällt der ungeschinkte Look bei Kunden-Terminen überhaupt auf? Wie verändert sich meine Haut und wie werde ich mich fühlen?
One week without Make-up. Komme was wolle. Naturschönheit olé olé!
Samstag.
Erster Tag. Ich liege krank im Bett. Auf Schminke habe ich sowieso keine Lust, aber raus muss ich trotzdem. Einmal quer durch Friedrichshain, ein wichtiges Paket abholen. In einem Game Shop. Ich raffe mich auf, auch wenn mir alle Knochen schmerzen, die Nase tropft und der Schädel brummt und so tigere ich los – und zwar so wie mich Mutternatur geschaffen hat. O H N E Make-up. Heute ist mir alles egal, an der Kassenschlange müsste ich eigentlich lange warten, mich lässt aber ein junger Typ vor. Ob er Mittleid mit mir hat oder sich in meinen müden, aber äußerst natürlichen Look verliebt hat? Ich weiß es nicht, schnappe mir mein Paket und zische ab.
Sonntag.
Keine gesundheitliche Besserung in Sicht. Ich schlafe den ganzen Tag. Es gibt minus 10 Gründe für Make up. Für ein Foto bin ich zu schlapp. Tolle Versuchswoche. Klappt ja super.
Montag.
Mon Dieu, ich sehe aus wie einer aus dem Game Shop: Wie Pille, Palle, alle prall, drei Tage wach. Ich überlege meinen Arbeitsmittelpunkt für heute komplett ins Home Office zu verlegen, mich einzuschließen und diesen Anblick niemandem außer mir und meinem Freund zu gewähren. Ich fühle mich unwohl, meine Haut ist fahl, schlapp und alles andere als frisch. Also starte ich mit meiner feuchtigkeitsreichen Morgenroutine in der Hoffnung, dass meine neueste Beauty Entdeckung, der Jaderoller, die Misere ausbügeln kann. Mir gelüstet es nach etwas Blush und ein wenig Concealer, um das fehlende Wohlgefühl zu vertuschen. Mein Kundentermin verläuft so: Sie sieht mich mitleidig an und fragt mich, ob alles in Ordnung sei. Ich: „Ja, bin nur erkältet,“ und denke: Halloooooo, ich bin NUR ungeschminkt, du bist doch selber eine Frau und weißt wie das ist.
Dienstag.
Mascara ist wie Wasabi und macht alles ein bisschen besser! „Himmelherrgott, ist eigentlich doch nicht so schwer, nimm‘ dir ein Beispiel an all den Naturschönheiten, die sich ganz und gar mehr als selbstbewusst und dazu auch noch oben ohne präsentieren.“ Ich bin schlecht drauf und fühle mich irgendwie miserabel. In meinem Gesicht findet man helle Wimpern, dunkle Augenschatten und einen Pickel auf dem Kinn. Mir fehlt nur ein kleiner Klecks Mascara, dazu macht mir die trockene Schnupfennase zu schaffen.
Mittwoch.
Vamp, wo bist du hin? Mein Gesicht ist flach, hat keine Tiefen und meine Augen leuchten nicht. Ich brauche dringend einen Ego-Boost und verpasse mir ein paar Wellen. Natürlich versorge ich seit Tag eins des Tests täglich meine Haut mit vielen Vitaminen, vermeide Schokolade und Milchprodukte, gehe rechtzeitig ins Bett und pflege ordentlich, um am nächsten Morgen einen wachen und gesunderen Glow zu bekommen. Eigentlich bin ich schlecht darin, gebe mir aber trotzdem mühe. Langsam gewöhne ich mich auch daran, mein wahres Ich der Welt zu präsentieren und treffe mich zur Feier des Tages mit einer Ex-Kollegin. Sie begrüßt mich mit einem: „Du siehst irgendwie anders aus!“ Wie anders? Anders scheiße? Anders gut? Anders was?
Donnerstag.
Glow on point, wie der Beautyblogger so schön sagt. Der vierte Tag ganz ohne Malereien startet mit einer erstaunlich guten Laune. Rollern, viel Serum und Zink – ihr wisst schon, wegen der Erkältung – hat Wunder bewirkt. Meine Haut ist wie ausgewechselt, rein und ebenmäßig wie schon lange nicht mehr und vom entzündeten Vulkan vom Dienstag ist auch keine Spur mehr. Ja, ja ich wusste es ja selber so ein bisschen: Wer nichts drauf packt, muss auch nichts mit Schmackes wieder runter schrubben. Auf extrem reinigende Mittelchen habe ich die letzten Tage verzichtet, nur eine milde Waschcream landete abends auf meinem Gesicht, ich trank viel Wasser und schlief ganze acht Stunden pro Tag und wurde belohnt. Halleluja!
Freitag.
Endspurt, last day Natürlichkeit adé, adé. Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Millimeter oberflächlich, freue mich aber auf meine Mascara, die mir am Ende der „Sieben Tage Freiheit“ doch ein klein bisschen mehr Definition im Gesicht verpasst. Außerdem bin ich super drauf, weil meine Haut seit wirklich langer Zeit nahezu perfekt ist.
Fazit: Eigentlich dachte ich, die ganze No-Fucking-Make-up Angelegenheit wird zeitsparender, man könnte morgens mindestens 10 bis 15 Minuten länger dösen, sich noch einmal Richtung Traumwelt wenden. Da habe ich mich wohl geschnitten. Tatsächlich verbrachte ich mehr Zeit abends und morgens im Bad als gedacht, um den Teint mit guter Pflege zu stillen, trockene Stellen auszubalancieren und Rötungen zu verjagen. Ruck, zuck funktionierte hier leider nichts, dafür gab es aber mehr Me-time, die ich mir seit gefühlt einer Ewigkeit nicht mehr gegönnt habe. Dieser Test war also Fluch und Segen zugleich.
Eine Sache ist mir dabei aber außerdem noch aufgefallen: Schminken macht echt manchmal wirklich Spaß – oder wie seht ihr das?
Nachtrag: Wir möchten hier keinesfalls jemandem auf den Schlips treten und sind uns im Klaren darüber, dass Make-Up in vielen Fällen ein wahrer Alltagsretter sein kann. Unsere Versuchsreihe soll als Denkanstoß verstanden werden, dazu ermutigen, sich nicht erst im Badezimmer einzusperren, um das Haus zu verlassen und eine Diskussion eröffnen, die spannend, vielfältig und längst überfällig ist.