Der effekthascherische Titel dieses Textes, nämlich „Können Männer und Frauen wirklich keine Freunde sein?“ kann an sich ja schon nicht ernst gemeint sein. Eine Quatschfrage ist das, und Heidenei, was soll überhaupt diese plötzliche Herumreiterei auf normierender Geschlechterordnung? Nicht sehr 2017, ganz genau. Und dennoch, so schwant mir, haben wir es bis heute nicht gänzlich geschafft, uns von zu großen Teilen relativ offensichtlich reinsozialisierten Befangenheiten zu emanzipieren. Mädchen gegen Jungs, Rosa gegen Blau, Hollywood, Pipapo. Das weiß ich allerspätestens seit ich mit dem besten Freund einer Freundin zum Tennisspielen verabredet bin.
Aber ich fange zunächst ganz vorn an: Grob geschätzt saßen in meiner Grundschulklasse etwa 15 Jungen und vier Mädchen. Nur Annemarie wurde meine Vertraute, mit der ich in den Pausen Zahnspangen aus Alufolie bastelte. Zu meinem Geburtstag lud ich demensprechend fast ausschließlich männliche Klassenkameraden ein. „Ach Gottchen“, kommentierte diesen Umstand damals die brüskierte Bekannte meiner Mutter, während sie ebenso mitleidig wie energisch ein paar Schlücke Mineralwasser hinterher kippte, um das Glas alsbald wie eine Kampfansage auf den Tisch zu knallen. Als müsse da dringend interveniert werden. Dabei macht man, wenn man klein ist und es nicht anders kennt, für Gewöhnlich gar keinen Unterschied zwischen Pipimann und Mumufrau. Nichtsdestotrotz gehörte ein homosoziales Umfeld bis zur Ehe und sogar darüber hinaus Jahrhunderte lang zum guten Ton. Erst mit Anfang des 20. Jahrhunderts verschwammen innerhalb von Freundschaften die Geschlechtergrenzen. Ist es also möglich, dass wir noch immer dabei sind herauszufinden, wie das überhaupt funktioniert?
„Between men and women there is no friendship possible. There is passion, enmity, worship, love, but no friendship.“ – Oscar Wilde.
Auch auf dem Gymnasium blieb der prozentuale Anteil meiner weiblichen und männlichen Freunde jedenfalls ähnlich unausgewogen. Möglicherweise Zufall, vielleicht auch Gewöhnung. Denn ich hatte zwar Superbestefreundinnen, aber eben vor allem Martins, Daniels und Philipps um mich herum. Wir fuhren heimlich mit dem Rad nach Holland, tauschten Musik, hörten uns zu, flickten gebrochene Teenager-Herzen mit Bier und ersoffen Sommer für Sommer in Festival-Schlamm. Bloß gefummelt haben wir nicht. Kein einziges Mal. Wir waren nicht mehr und nicht weniger als gleichberechtigte Kumpanen. Das konnten die anderen natürlich nicht wissen. Und so kam es, dass nicht Wenige irgendwann munkelten, mein engster Freund rupfe heimlich an Sie-liebt-mich-sie-liebt-mich-Blättern. Und überhaupt fanden einige, ich nutze das Wohlgefallen der Jungs zu meinem Vorteil. Uns dämmerte demnach schnell, dass Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen mitunter einer sehr genauen Beobachtung unterliegen und gemeinhin sogar bis heute als exotisch gelten. Nicht nur, dass man sich als außenstehende Person mit der automatisierten Annahme, da müsse früher oder später auf jeden Fall was gehen, in einer ignoranten Zone der Heteronormativität bewegt, nein, man schürt außerdem Unsicherheiten, die überhaupt erst durch Fremdeinwirken entstehen. So war das auch mit dem Tennis.
Er und ich, wir trafen uns also auf einer Party wieder, es folgte ein Drink. Alle guckten. Wir quatschten weiter, über das Leben, die Liebe und gute Lieder. Wie man das eben so macht, wenn man merkt, dass da eine potenzielle Freundschaft keimt. Weil man sich mag. Und mehr nicht. Es folgte noch besagte Verabredung zum Tennis und das war dann irgendwie zu viel. Was mein Freund davon halten würde, fragte mich eine entfernte Bekannte erwartungsvoll geiernd und den nächsten großen Skandal witternd, noch bevor ich allein ins Taxi hüpfen konnte. Na was er denn wohl davon zu halten hätte, konterte ich wenig schlagfertig. „Also ich würde meinem Mann das ja nicht erlauben,“ flötete die Frau mit doppelter Cocktailkirsche daraufhin hastig, ganz so, als bestehe überhaupt kein Zweifel daran, dass ich nach zwei Spiel-Sätzen nicht nur um einen Sport-Partner, sondern vor allem um eine romantische Liaison reicher sein würde. Bescheuert, denkt man jetzt vielleicht. Wäre da nicht die Wissenschaft, die eine sehr ähnliche Sprache zu sprechen scheint. Die Studie der University of Wisconsin etwa ist nur eine von vielen, die belegen will, dass in sogenannten „Cross-Sex-Friendships“ nur überaus selten ausschließlich platonische Gefühle zugange sind. In den meisten Fällen sei es der männliche Part, der insgeheim doch noch auf ein schwärmerisches Happy End hoffe. Nun denn. Eine Freundschaft ist und bleibt glücklicherweise eine hochgradig individuelle Angelegenheit, die schwer an Studien zu messen ist.
Ich hätte also durchaus unberührt mit den Augen rollen können, tat aber das Gegenteil. Am nächsten Tag rief ich erst eine Freundin an, um ganz sicher zu gehen, dass ich in der Nacht zuvor tatsächlich nicht den Anschein erweckt hatte, jemanden vernaschen zu wollen, und dann schließlich auch meinen Freund. Um etwas zu erklären, das keiner Erklärung bedurfte. Am Ende wurde ich nur ausgelacht. Für ein Hirngespinst, das mir jemand eingepflanzt hatte, der noch nicht einmal meinen Nachnamen kennt. Erst also Erleichterung. Ist ja doch alles ok und 2017. Dann aber wurde ich doch noch stutzig.
Wann hatte ich als quasi-Erwachsene eigentlich zuletzt einen neuen Freund gewonnen, den ich nicht schon seit Ewigkeiten kenne? Einen männlichen, meine ich. Einen, der nicht irgendein Kumpel irgendeines festen Freundes war oder ist? Einen, mit dem ich wirklich niemals knutschen wollte. Keinen blassen Schimmer. Trotzdem können Männer und Frauen können natürlich sehr wohl sehr gut miteinander befreundet sein. Ab einem einem gewissen Zeitpunkt kommt es oftmals bloß erst gar nicht mehr dazu. Und zwar vielleicht vor allem, weil (noch) immer irgendwer denkt, du denkst oder der andere könnte denken, dass du denkst, dass einer denkt.