Können Männer und Frauen wirklich keine Freunde sein?

20.06.2017 Wir, Leben, Gesellschaft, Kolumne

Der effekthascherische Titel dieses Textes, nämlich „Können Männer und Frauen wirklich keine Freunde sein?“ kann an sich ja schon nicht ernst gemeint sein. Eine Quatschfrage ist das, und Heidenei, was soll überhaupt diese plötzliche Herumreiterei auf normierender Geschlechterordnung? Nicht sehr 2017, ganz genau. Und dennoch, so schwant mir, haben wir es bis heute nicht gänzlich geschafft, uns von zu großen Teilen relativ offensichtlich reinsozialisierten Befangenheiten zu emanzipieren. Mädchen gegen Jungs, Rosa gegen Blau, Hollywood, Pipapo. Das weiß ich allerspätestens seit ich mit dem besten Freund einer Freundin zum Tennisspielen verabredet bin.

Aber ich fange zunächst ganz vorn an: Grob geschätzt saßen in meiner Grundschulklasse etwa 15 Jungen und vier Mädchen. Nur Annemarie wurde meine Vertraute, mit der ich in den Pausen Zahnspangen aus Alufolie bastelte. Zu meinem Geburtstag lud ich demensprechend fast ausschließlich männliche Klassenkameraden ein. „Ach Gottchen“, kommentierte diesen Umstand damals die brüskierte Bekannte meiner Mutter, während sie ebenso mitleidig wie energisch ein paar Schlücke Mineralwasser hinterher kippte, um das Glas alsbald wie eine Kampfansage auf den Tisch zu knallen. Als müsse da dringend interveniert werden. Dabei macht man, wenn man klein ist und es nicht anders kennt, für Gewöhnlich gar keinen Unterschied zwischen Pipimann und Mumufrau. Nichtsdestotrotz gehörte ein homosoziales Umfeld bis zur Ehe und sogar darüber hinaus Jahrhunderte lang zum guten Ton. Erst mit Anfang des 20. Jahrhunderts verschwammen innerhalb von Freundschaften die Geschlechtergrenzen. Ist es also möglich, dass wir noch immer dabei sind herauszufinden, wie das überhaupt funktioniert?

„Between men and women there is no friendship possible. There is passion, enmity, worship, love, but no friendship.“ – Oscar Wilde.

Auch auf dem Gymnasium blieb der prozentuale Anteil meiner weiblichen und männlichen Freunde jedenfalls ähnlich unausgewogen. Möglicherweise Zufall, vielleicht auch Gewöhnung. Denn ich hatte zwar Superbestefreundinnen, aber eben vor allem Martins, Daniels und Philipps um mich herum. Wir fuhren heimlich mit dem Rad nach Holland, tauschten Musik, hörten uns zu, flickten gebrochene Teenager-Herzen mit Bier und ersoffen Sommer für Sommer in Festival-Schlamm. Bloß gefummelt haben wir nicht. Kein einziges Mal. Wir waren nicht mehr und nicht weniger als gleichberechtigte Kumpanen. Das konnten die anderen natürlich nicht wissen. Und so kam es, dass nicht Wenige irgendwann munkelten, mein engster Freund rupfe heimlich an Sie-liebt-mich-sie-liebt-mich-Blättern. Und überhaupt fanden einige, ich nutze das Wohlgefallen der Jungs zu meinem Vorteil. Uns dämmerte demnach schnell, dass Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen mitunter einer sehr genauen Beobachtung unterliegen und gemeinhin sogar bis heute als exotisch gelten. Nicht nur, dass man sich als außenstehende Person mit der automatisierten Annahme, da müsse früher oder später auf jeden Fall was gehen, in einer ignoranten Zone der Heteronormativität bewegt, nein, man schürt außerdem Unsicherheiten, die überhaupt erst durch Fremdeinwirken entstehen. So war das auch mit dem Tennis.

Er und ich, wir trafen uns also auf einer Party wieder, es folgte ein Drink. Alle guckten. Wir quatschten weiter, über das Leben, die Liebe und gute Lieder. Wie man das eben so macht, wenn man merkt, dass da eine potenzielle Freundschaft keimt. Weil man sich mag. Und mehr nicht. Es folgte noch besagte Verabredung zum Tennis und das war dann irgendwie zu viel. Was mein Freund davon halten würde, fragte mich eine entfernte Bekannte erwartungsvoll geiernd und den nächsten großen Skandal witternd, noch bevor ich allein ins Taxi hüpfen konnte. Na was er denn wohl davon zu halten hätte, konterte ich wenig schlagfertig. „Also ich würde meinem Mann das ja nicht erlauben,“ flötete die Frau mit doppelter Cocktailkirsche daraufhin hastig, ganz so, als bestehe überhaupt kein Zweifel daran, dass ich nach zwei Spiel-Sätzen nicht nur um einen Sport-Partner, sondern vor allem um eine romantische Liaison reicher sein würde. Bescheuert, denkt man jetzt vielleicht. Wäre da nicht die Wissenschaft, die eine sehr ähnliche Sprache zu sprechen scheint. Die Studie der University of Wisconsin etwa ist nur eine von vielen, die belegen will, dass in sogenannten „Cross-Sex-Friendships“ nur überaus selten ausschließlich platonische Gefühle zugange sind. In den meisten Fällen sei es der männliche Part, der insgeheim doch noch auf ein schwärmerisches Happy End hoffe. Nun denn. Eine Freundschaft ist und bleibt glücklicherweise eine hochgradig individuelle Angelegenheit, die schwer an Studien zu messen ist.

Ich hätte also durchaus unberührt mit den Augen rollen können, tat aber das Gegenteil. Am nächsten Tag rief ich erst eine Freundin an, um ganz sicher zu gehen, dass ich in der Nacht zuvor tatsächlich nicht den Anschein erweckt hatte, jemanden vernaschen zu wollen, und dann schließlich auch meinen Freund. Um etwas zu erklären, das keiner Erklärung bedurfte. Am Ende wurde ich nur ausgelacht. Für ein Hirngespinst, das mir jemand eingepflanzt hatte, der noch nicht einmal meinen Nachnamen kennt. Erst also Erleichterung. Ist ja doch alles ok und 2017. Dann aber wurde ich doch noch stutzig.

Wann hatte ich als quasi-Erwachsene eigentlich zuletzt einen neuen Freund gewonnen, den ich nicht schon seit Ewigkeiten kenne? Einen männlichen, meine ich. Einen, der nicht irgendein Kumpel irgendeines festen Freundes war oder ist? Einen, mit dem ich wirklich niemals knutschen wollte. Keinen blassen Schimmer. Trotzdem können Männer und Frauen können natürlich sehr wohl sehr gut miteinander befreundet sein. Ab einem einem gewissen Zeitpunkt kommt es oftmals bloß erst gar nicht mehr dazu. Und zwar vielleicht vor allem, weil (noch) immer irgendwer denkt, du denkst oder der andere könnte denken, dass du denkst, dass einer denkt.

11 Kommentare

  1. Imke

    Danke für deinen Text. Ich sehe es wie du, meistens machen es andere Menschen mit ihren Vermutungen komplizierter als es ist. Ich selbst hatte immer viele männliche Freunde. Meinen besten nun seit 12 Jahren und es gab nie auch nur einen Moment zwischen uns, in dem es in eine andere Richtung hätte gehen können. Klar wurde bei mir auch schon aus Freundschaft Liebe, aber das eine schließt das andere ja nicht kategorisch aus.
    Liebe Grüße imke

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  2. Miki

    Schöner Text.
    Diesem Problem versuche ich derzeit auch nachzugehen. Habe seit kurzem einen neuen Freund, der so gar nicht von meinen ganzen alten platonischen Freunden begeistert ist… wir sind da sehr unterschiedlicher Meinung, ob gemischte Freundschaften funktionieren können oder nicht. Ich sage natürlich ja, er sagt genau dasselbe, wie die Studie aus Wisconsin. Dass diese ganzen platonischen Freunde nur irgendwann auf ihren „Moment“ warten. Das richtige Totschlag-Argument um ihn 100% zu überzeugen, habe ich leider noch nicht gefunden…

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  3. Susi

    Genauso wie ich in manchen Momenten mehr als Freundschaft für meine männlichen Freunde empfinde, hätte ich manchmal auch nicht wenig Lust eine meiner Freundinnen zu vernaschen. Schließlich finde ich die ja alle bombig. Gefühle und Gelüste sind komplex. Aber Gott sei dank ja (meist) kontrollierbar. So überschreite ich gewisse Grenzen nicht und Freundschaft bleibt Freundschaft. Egal mit welchem Geschlecht.

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  4. sandra

    Danke für diese Gedanken !
    denn aktuell beschäftigt mich diese Thema… –> “ Und zwar vielleicht vor allem, weil (noch) immer irgendwer denkt, du denkst oder der andere könnte denken, dass du denkst, dass einer denkt.“ ..

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  5. Rike

    Ich frag mich das auch manchmal. Mein Freund neigt eher zur Annahme, dass Frau und Mann keine Freunde sein können,- aber vermutlich liegt es daran, dass Männer allgemein stärkere sexuelle Impulse haben als Frauen? Und die schlechter kontrollieren können? Oder ist das ebenso fraglich wie die „gemischte“ Freundschaft?
    Ich denke auch, dass es doch nicht schlimm ist mal ein bisschen für einen Freund/ Freundin zu schwärmen, genauso wie es okay ist für seinen Partner/in mal nur freundschaftliche Gefühle zu empfinden!
    Meine Eltern sind nach jahrelanger Freundschaft ein Paar geworden, ein Kumpel hat es bei mir mal probiert, und mit meinem früheren Partner bin ich jetzt befreundet. So bunt ist die Welt.

    Harry und Sally ist mein Nummer Eins Film, wenn ich mal wieder was zum schmunzeln brauche! 🙂

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  6. A.

    Ein echt interessanter Text. Ich selber war schon immer so, dass ich mehr männliche als weibliche Freunde hatte und ich sehe (an mir selber), dass „gemischte“ Freundschaften durchaus funktionieren können. Ich glaub ein Ding, dass sich einfach unterscheidet bzw. wieso Freundschaften zwischen Frauen und Männern bzw. Mädchen und Jungs im Kinderalter problemloser sind ist, dass sie da noch nicht sexualisiert werden. Wie oft wurde mir schon unterstellt ich hätte doch was mit dem oder dem Kumpel am laufen einfach weil wir miteinander lachen können und ungezwungen umgehen.
    Das wichtigste ist, dass die Fronten geklärt sind und jeder weiß woran er ist und dann klappt auch so eine Freundschaft 🙂

    Liebe Grüße

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  7. Sisiphos

    Die Studie liegt absolut richtig: Die Rolle „Platonischer Freund einer Frau“ ist für einen Mann genau solange attraktiv, bis die Option nach dem erhofften „Mehr“ (das kann auch ’nur‘ Sex sein) erloschen ist – zum Beispiel weil die „Freundin“ plötzlich einen Intim-Freund hat, obwohl sie doch immer behauptete, sie bleibe nach dem Scheitern der letzten Beziehung für immer allein und mache sich so gar nichts mehr aus Erotik…

    Heisst im Klartext: Attraktive Frauen wissen das ganz genau und halten sich gerne ein paar Bewunderer, die ihnen bei Bedarf die Löcher zum Bilder aufhängen bohren oder die, wenn gerade Langeweile herrscht oder ein andres Treffen ausgefallen ist, immer schnell zur Stelle sind.

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