Meine gute Freundin A berichtete mir am Wochenende von einem Artikel, den sie neulich gelesen hätte. Das Thema: Die blöde Waage. Nicht das Sternzeichen war gemeint, nein, sondern dieser fiese Unruhestifter mit der digitalen Anzeige, der uns permanent vor Augen hält wieviel Knödel und Kuchen wir in letzter Zeit denn so vertilgt haben. Oder eben nicht. Beim längeren Sinnieren über die Sinnhaftigkeit dieser Marotten-Pflege legte ich irgendwann die Stirn in Runzeln. Und zwar nicht nur, weil Zahlen mir per se stets unsympathisch waren, sondern auch, weil ich feststellen musste, wie überflüssig das Betreten einer quadratischen Welt, in der das eigene Körpergefühl auf so etwas wie einen BMI reduziert wird, doch ist. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber in der Regel bringt uns diese Art der numerischen Gewissheit ja viel häufiger emotionalen Regen als Sonnenschein.
Wer gesund ist, sollte sich im Grunde viel eher auf das eigene Spiegelbild verlassen und selbigem vertrauen können, auf den Tastsinn (zwei Hände voll Po, juhu!) und die persönliche Empfindung. Ist das Gewicht nicht ohnehin Schall und Rauch, schon allein, weil Körper so verschieden sind, genau wie Proportionen? Ich habe zum Beispiel zwei Freundinnen, die ein und dieselbe Kleidergröße tragen. Bloß wiegt eine von ihnen laut eigener Aussage sechs Kilo mehr als die andere, weshalb schonmal Panik ausbricht. Ich war live und in Farbe dabei, als beide einst nebeneinander standen, mit identischer Figur, und die angeblich Schwerere plötzlich dem irrationalen Hirngespinst erlag, sie sähe im Vergleich zur „Bohnenstange“ ja superduper breit aus. Ich sah das nicht. Niemand sah das. Aber die Waage wusste es ja besser!
Ein vergeblicher Kampf ist das, einer, indem Zahlen fälschlicherweise als aussagekräftigster Fakt von allen betrachtet werden. Als sei auf das Gewicht in N geteilt durch die Erdbeschleunigung in m durch s² mehr Verlass als auf ein solides Augenpaar. Ich denke: Eine Gleichung kann zumindest in diesem Fall niemals eine wertvollere Realität abbilden als jene, die wir zweifellos spüren und bestaunen können. Wie schade es doch ist, dass ein kleines Anzeigenfeld tatsächlich immer wieder dazu imstande scheint, binnen weniger Sekunden an unserem Selbstwertgefühl zu rütteln. Weil die ausgespuckte Zahl plötzlich wichtiger wird als das Körpergefühl zum Beispiel, oder, das gibt es ja auch, kleine Mücken der Unsicherheit durch wenige Gramm oder Kilos mehr als erwartet plötzlich zu fetten Elefanten der Erschütterung erwachsen. Jetzt werd aber mal nicht so pathetisch, denkt ihr jetzt vielleicht. Aber ich weiß, wovon ich spreche. Ich hatte nämlich selbst mal einen Waagen-Nagel im Kopf und das ist gar nicht lange her.
Als Aldi eines schönen Wintertages so ein neumodisches Teil mit Fettanteilberechnung und allem Pipapo bewarb, schlug ich zu. Kann ja nicht schaden, dachte ich. Am Abend desselben Tages zeigte die Waage 12 Kilo weniger an als vor dem Beginn meiner Schwangerschaft. Scheiße, dachte ich. Vielleicht bist du wirklich ein bisschen zu dünn geworden. Ich aß und aß und aß. Und schaute vor ein paar Wochen, wenige Monate später also, ein weiteres Mal auf die rot blinkenden Zahlen. 7 Kilo mehr. Scheiße, dachte ich jetzt. Du kleines Mopsi! Es gab zwei Tage Salat zum Mittag, dann bemerkte ich meinen Vogel. Hätte ich die Waage nämlich nicht vorliegen gehabt und diese neue Zahl, die meinen Körper plötzlich einzuordnen versuchte, wäre mir zwar weiterhin aufgefallen, dass mehr Busen da ist und mehr Becken und mehr Bein und Arm, aber ich wäre eben keineswegs auf die Idee gekommen, dass an diesen neuen Kurven irgendetwas falsch sein könne. Was ich vor dem Besteigen der 5-in-1 Personenwaage sah, fand ich nämlich prima: Eine von Liebe und Pasta genährte gesunde schlanke Frau eben. Danach sah ich nur noch Wabbel. Dabei sollte ja klar sein, dass man sich innerhalb von 30 Sekunden keinen Wanzt anfressen kann. War es aber nicht. Diese vermaledeite Psychologie! Dieser Irrsinn! Schluss damit.
Waagen wiegen nunmal was sie wollen, aber selten was sie sollen. Was sie zu einwandfreien Werkzeugen der Selbstgeißelung macht, die zuweilen sogar krank machen können. Klar sagen Waagen auch die Wahrheit. Aber eben nicht die Ganze. Sie lassen vielmehr das Wichtigste außen vor, nämlich alles, was nicht messbar ist. Liebe und Lust und Lachfalten zum Beispiel. Sie sind, grob überschlagen, also mehr Feind als Freund. Und trotz integrierter Mathematik unberechenbar. Wäre die Waage also ein Mensch, stünde sie sehr einsam und verlassen da. Das geschähe ihr, meiner Meinung nach, sehr Recht – wer will schon mit jemandem Vorlieb nehmen, der ständig nur tadelt und immer nur dann gut zu dir ist, wenn du parierst und funktionierst? Ich jedenfalls nicht. Deshalb popelte ich gestern Abend zumindest schonmal sämtliche Knopfzellen aus dem Hinterteil des schwarzen Geräts – Bis der Sperrmüll irgendwann kommt und hinfort trägt, was erst gar nicht hätte einziehen brauchen.
Und wie sieht es bei euch aus? Habt ihr eine Waage? Liebt oder hasst ihr sie? Wiegt ihr euch oft, selten oder nie?