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Weg mit den Waagen!

10.07.2017 Kolumne, Wir, Leben

Meine gute Freundin A berichtete mir am Wochenende von einem Artikel, den sie neulich gelesen hätte. Das Thema: Die blöde Waage. Nicht das Sternzeichen war gemeint, nein, sondern dieser fiese Unruhestifter mit der digitalen Anzeige, der uns permanent vor Augen hält wieviel Knödel und Kuchen wir in letzter Zeit denn so vertilgt haben. Oder eben nicht. Beim längeren Sinnieren über die Sinnhaftigkeit dieser Marotten-Pflege legte ich irgendwann die Stirn in Runzeln. Und zwar nicht nur, weil Zahlen mir per se stets unsympathisch waren, sondern auch, weil ich feststellen musste, wie überflüssig das Betreten einer quadratischen Welt, in der das eigene Körpergefühl auf so etwas wie einen BMI reduziert wird, doch ist. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber in der Regel bringt uns diese Art der numerischen Gewissheit ja viel häufiger emotionalen Regen als Sonnenschein.

Wer gesund ist, sollte sich im Grunde viel eher auf das eigene Spiegelbild verlassen und selbigem vertrauen können, auf den Tastsinn (zwei Hände voll Po, juhu!) und die persönliche Empfindung. Ist das Gewicht nicht ohnehin Schall und Rauch, schon allein, weil Körper so verschieden sind, genau wie Proportionen? Ich habe zum Beispiel zwei Freundinnen, die ein und dieselbe Kleidergröße tragen. Bloß wiegt eine von ihnen laut eigener Aussage sechs Kilo mehr als die andere, weshalb schonmal Panik ausbricht. Ich war live und in Farbe dabei, als beide einst nebeneinander standen, mit identischer Figur, und die angeblich Schwerere plötzlich dem irrationalen Hirngespinst erlag, sie sähe im Vergleich zur „Bohnenstange“ ja superduper breit aus. Ich sah das nicht. Niemand sah das. Aber die Waage wusste es ja besser!

Ein vergeblicher Kampf ist das, einer, indem Zahlen fälschlicherweise als aussagekräftigster Fakt von allen betrachtet werden. Als sei auf das Gewicht in N geteilt durch die Erdbeschleunigung in m durch s²  mehr Verlass als auf ein solides Augenpaar. Ich denke: Eine Gleichung kann zumindest in diesem Fall niemals eine wertvollere Realität abbilden als jene, die wir zweifellos spüren und bestaunen können. Wie schade es doch ist, dass ein kleines Anzeigenfeld tatsächlich immer wieder dazu imstande scheint, binnen weniger Sekunden an unserem Selbstwertgefühl zu rütteln. Weil die ausgespuckte Zahl plötzlich wichtiger wird als das Körpergefühl zum Beispiel, oder, das gibt es ja auch, kleine Mücken der Unsicherheit durch wenige Gramm oder Kilos mehr als erwartet plötzlich zu fetten Elefanten der Erschütterung erwachsen. Jetzt werd aber mal nicht so pathetisch, denkt ihr jetzt vielleicht. Aber ich weiß, wovon ich spreche. Ich hatte nämlich selbst mal einen Waagen-Nagel im Kopf und das ist gar nicht lange her.

Als Aldi eines schönen Wintertages so ein neumodisches Teil mit Fettanteilberechnung und allem Pipapo bewarb, schlug ich zu. Kann ja nicht schaden, dachte ich. Am Abend desselben Tages zeigte die Waage 12 Kilo weniger an als vor dem Beginn meiner Schwangerschaft. Scheiße, dachte ich. Vielleicht bist du wirklich ein bisschen zu dünn geworden. Ich aß und aß und aß. Und schaute vor ein paar Wochen, wenige Monate später also, ein weiteres Mal auf die rot blinkenden Zahlen. 7 Kilo mehr. Scheiße, dachte ich jetzt. Du kleines Mopsi! Es gab zwei Tage Salat zum Mittag, dann bemerkte ich meinen Vogel. Hätte ich die Waage nämlich nicht vorliegen gehabt und diese neue Zahl, die meinen Körper plötzlich einzuordnen versuchte, wäre mir zwar weiterhin aufgefallen, dass mehr Busen da ist und mehr Becken und mehr Bein und Arm, aber ich wäre eben keineswegs auf die Idee gekommen, dass an diesen neuen Kurven irgendetwas falsch sein könne. Was ich vor dem Besteigen der 5-in-1 Personenwaage sah, fand ich nämlich prima: Eine von Liebe und Pasta genährte gesunde schlanke Frau eben. Danach sah ich nur noch Wabbel. Dabei sollte ja klar sein, dass man sich innerhalb von 30 Sekunden keinen Wanzt anfressen kann. War es aber nicht. Diese vermaledeite Psychologie! Dieser Irrsinn! Schluss damit.

Waagen wiegen nunmal was sie wollen, aber selten was sie sollen. Was sie zu einwandfreien Werkzeugen der Selbstgeißelung macht, die zuweilen sogar krank machen können. Klar sagen Waagen auch die Wahrheit. Aber eben nicht die Ganze. Sie lassen vielmehr das Wichtigste außen vor, nämlich alles, was nicht messbar ist. Liebe und Lust und Lachfalten zum Beispiel. Sie sind, grob überschlagen, also mehr Feind als Freund. Und trotz integrierter Mathematik unberechenbar. Wäre die Waage also ein Mensch, stünde sie sehr einsam und verlassen da. Das geschähe ihr, meiner Meinung nach, sehr Recht – wer will schon mit jemandem Vorlieb nehmen, der ständig nur tadelt und immer nur dann gut zu dir ist, wenn du parierst und funktionierst? Ich jedenfalls nicht. Deshalb popelte ich gestern Abend zumindest schonmal sämtliche Knopfzellen aus dem Hinterteil des schwarzen Geräts – Bis der Sperrmüll irgendwann kommt und hinfort trägt, was erst gar nicht hätte einziehen brauchen.

Und wie sieht es bei euch aus? Habt ihr eine Waage? Liebt oder hasst ihr sie? Wiegt ihr euch oft, selten oder nie?

11 Kommentare

  1. Anna

    Ich habe keine Waage, seit Jahren nicht. Ob ich mich von meiner Wohlfühlkleidergrösse 38 gerade der 40 nähere und ob ich die Treppen in den dritten Stock hochkomme, ohne aus der Puste zu kommen, das merke ich auch ohne Waage. Wozu also?

    Für das Körpergefühl meiner Tochter finde ich es ziemlich gut, dass sie die Frage ihrer Kita-Freundinnen „und wieviel wiegst du?“ Einfach mit „Keine Ahnung, wieso?“ Beantworten kann.

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    1. mareike

      Kita-Freundinnen??? Oh Gott, das ist ja grausam! Da bin ich aber glücklich, dass das bei meinen drei Kindern noch nie ein Thema war! Kann mir auch nicht vorstellen, dass das von den Kindern kommt, so ganz ohne erwachsene Vorbilder. Das ist doch kein Kinderthema! Das sollte keines sein!
      Ich bemühe mich sehr bewusst, mich nicht mehr negativ bzw. bestenfalls gar nicht über meinen Körper zu äußern. Ich möchte, dass ein Körper einfach ein Körper ist! Und in jedem Fall schön!
      Die Waage hab ich darum auch entsorgt! Genau aus den von dir genannten Gründen, Nike! Ich möchte mein Glück nicht an Zahlen festmachen. Ich will mir nicht den Tag versauen, weil die Zahl mir nicht passt. Eine gewisse Gewichtsspanne ist doch völlig normal. Und sollte es ungesund werden (egal in welche Richtung), dann spüre ich das doch und würde es wohl tatsächlich deutlich im Spiegel sehen. Wichtig ist das Gewicht wohl nur wenn es um Medikamentendosierungen geht. Dann kann der Arzt ja mal wiegen…
      Wer braucht schon eine Waage zuhause?

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  2. Elena

    Ich habe meine Waage vor etwa drei Jahren weggeworfen. Seitdem lebe ich nach dem Prinzip: Wenn die Lieblingsjeans zwickt, dann eben mal wieder mehr bewegen und auf das ein oder andere Stück Kuchen verzichten. Wenn die Lieblingsjeans ein bisschen lose wird, kann ich mir definitiv Nachschlag gönnen. Damit fahre ich eigentlich ganz gut und weiß auch ganz ohne Zahl, wann ich mal wieder langsamer tun sollte.

    Als ich vor einigen Wochen beim Frauenarzt war und mich wiegen musste, habe ich extra betont, mich interessiert die Zahl nicht und sie solle sie mir doch nicht sagen – ist ja nur für die Ärztin wichtig, nicht für mich. Die Arzthelferin hat es aber dann extra betont, wie viel ich wiege.. Ich meinte nur, ach das war mal weniger, aber ist auch okay. Sie hat mich dann ziemlich dreist von oben bis unten gemustert und die Augenbrauen hochgezogen. Was solls, zu dem Zeitpunkt hat meine Lieblingsjeans supergut gesessen – das lasse ich mir von ein paar Zahlen nicht vermiesen. Im Moment zwickt sie ein bisschen, dafür gab es heute statt Kuchen eben eine Nektarine 😉

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  3. Eva

    Ich habe mit 15 Jahren (also vor 10 Jahren) die wohl unter den Top 5 der Lebens vereinfachenden Entscheidungen getroffen mich nie wieder zu wiegen. Der Kommentar mit der Kita ist schon krass…hat gerade einen throwback ausgelöst zu Schulzeiten, wo man sich das auch gefragt hat und man sich verglichen hat. Was für ekelhafte Kommentare über Mädels gesagt wurden die nicht der Norm entsprachen (Boah die wiegt bestimmt über 60kg, und hat sich gerade eine Leberkassemmel gekauft)

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    1. Mila

      Interessant, dass du 60 kg nennst, da ich vor einiger Zeit irgendwo gelesen habe, dass männliche Teilnehmer einer Umfrage angeblich kundgetan hätten, dass 60 kg für sie die Gewichtsgrenze für eine schlank-attraktive Frau wären. Ich konnte diesen Quatsch gar nicht glauben – aber offenbar gibt es diese No-go-Zahl (????). Wtf!!

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      1. Anna

        Na dann ist doch die Frage, welche Frau Männer attraktiv finden, die so etwas sagen?

        Meiner sagt es jedenfalls nicht und auch vor ihm hatte ich ab dem Zeitpunkt, an dem ich zufrieden mit mir selbst und meiner Figur war (also nach der Pubertät) und das auch ausgestrahlt habe, immer genug „Verehrer“.

        Ich habe immer zwischen 60 und 70 kg gewogen, bei absolut durchschnittlicher Körpergröße.

        Halte ich daher für Quatsch.

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  4. Maren

    Auf jeden Fall weg mit der Waage! Wenn ich wirklich daran interessiert bin (z.B. weil ich mir Kleidung kaufen oder anfertigen will), finde ich per Maßband raus, wie der Stand der Dinge grad so ist. Und ob sich was verändert hat. Das passiert so 2-3 Mal im Jahr und dieses „Veränderungen feststellen“ hat zuletzt gar nicht funktioniert, weil ich mir einfach nicht gemerkt hatte, was die alten Zahlen waren. Das fühlt sich schon ziemlich viel besser an, als alle paar Tage auf die Waage zu steigen und mich – egal, ob’s rauf oder runter ging – in jedem Fall mies und irgendwie falsch zu fühlen.

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  5. Sabrina

    Mit etwa 16 war ich mit meinen Freundinnen im Ski-Urlaub und wir haben uns je eine 1kg-Tüte Haribo Goldbären gekauft und diese genüsslich verschlungen.

    Nach diesem Urlaub habe ich mich entschieden nie wieder die Wage zu betreten! Beim Frauenarzt kneif ich meine Augen zu damit ich die böse Zahl nicht sehe!

    Ich merk ja wohl auch ohne Zahl ob ich mich wohl fühle oder nicht!

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  6. Carla

    Schlimmste Erinnerung an meine Grundschulzeit (eig hatte ich die wunderbarste Kindheit- auch zur Schule bin ich immer gerne gegangen, vielleicht sticht diese Erinnerung daher so stark heraus):
    Meine Mathelehrering wollte uns zeigen wie viel eine Tonne ist. Eig. eine schöne Idee so „lebensnaher“ Unterricht- Problem war nur, dass dafür jeder in der Klasse vor der gesamten Klasse auf eine Waage steigen musste (Ich betone: MUSSTE) und dann laut sein Gewicht ansagen sollte. Ich war schon damals größer und schwerer als meine Klassenkameraden. Das war mir bis dahin eig. egal, nachdem ich aber in besagter Stunde über 45kg ansagte, wollte mir in der darauffolgenden Pause einer meiner Klassenkameraden seinen Roller nicht mehr ausleihen, denn der sei nur für bis zu 50kg belastbar und ich ja offensichtlich fast zu schwer, da wolle er kein Risiko eingehen.

    Ich war damals 10 Jahre alt. Seit nunmehr 18 Jahren ist da leider immer eine Stimme in meinem Kopf die mir sagt es wäre wichtig was für eine Zahl die Waage anzeigt und eben nicht wie ich mich mit meinem Gewicht fühle…

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  7. Ava

    Ich hatte jahrelang Essstörungen und als ich mir die abtrainierte, gehörte das Wegschmeissen der Waage für mich iwie dazu. Komischerweise halte ich damit seither mein Gewicht – besser als zu Zeiten, in denen ich mich mehrmals täglich wog. Und das ist schon 2 Jahrzehnte her…
    Seitdem esse ich intuitiv, das kann Schlagsahne sein oder auch drei Tage nur Gurkensalat, aber nicht fürs Gewicht, sondern weil es mich gelüstet.

    Was bin ich froh, dass ich das Thema los bin…

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