Die französische Künstlerin Orlan greift zu drastischen Maßnamen, um den gesellschaftlichen Umgang mit weiblichen Körpern zu thematisieren: Ihr eigener Körper wird zum Rohmaterial.
Ein bisschen sieht die Orlan aus wie eine fleischgewordene Cruella de Vil – die Künstlerin und die Disney-Bösewichtin teilen das auffällige schwarz-weiße Haar. Doch von Orlans Frisur wandert der Blick schnell zu ihrem Gesicht, zu den zwei Beulen an ihren Schläfen, über den Augenbrauen. Die hat Orlan sich als Teil einer Performance einpflanzen lassen, es handelt sich um Silikonimplantate. Denn im Zentrum von Orlans Kunst steht der eigene Körper, den sie mit Hilfe plastischer Chirurgie verändert. Carnal Art (deutsch: körperliche oder fleischliche Kunst) nennt sie das und schreibt in ihrem Carnal Art Manifesto:
“Carnal Art is self-portraiture in the classical sense, but realised through the possibility of technology. It swings between defiguration and refiguration. Its inscription in the flesh is a function of our age. The body has become a ‘modified ready-made’, no longer seen as the ideal it once represented […] As distinct from ‘Body Art’, Carnal Art does not conceive of pain as redemptive or as a source of purification. Carnal Art is not interested in the plastic-surgery result, but in the process of surgery, the spectacle and discourse of the modified body which has become the place of a public debate.”
Der Körper, ein Schlachtfeld
Den Unterschied zwischen der von ihr begründeten Carnal Art und der bekannteren Body Art, die ebenfalls den menschlichen Körper als Material benutzt, sieht Orlan darin, dass letztere auf Ausdauer und Schmerztoleranz setzt. Bei ihrer Carnal Art hingegegen, so erzählte die Künstlerin es dem Guardian, gehe es um „Freude und Sinnlichkeit“. Eine durchaus irritierende Aussage, ist Orlan doch gerade dafür bekannt, ihren eigenen Körper im Namen der Kunst umoperieren zu lassen.
Sie stellt plakativ das in den Mittelpunkt, wovon die westlichen Gesellschaften besessen sind: den menschlichen Körper. Um genauer zu sein: den weiblichen Körper. Denn weibliche Körper sind ein Schlachtfeld, und das auf vielen Ebenen. „My body is my software“ sagt Orlan über sich und pickt sich aus der Kunstgeschichte und Mythologie ikonographische Frauengestalten heraus. Anfang der 1990er hat sich die Künstlerin nach und nach Merkmale dieser Frauenfiguren in ihr Gesicht hineinoperieren lassen, zum Beispiel die Stirn von Leonardo da Vincis Mona Lisa oder das Kinn von Sandro Botticellis Venus. Die Operationen selbst inszenierte sie als musikalisch untermalte Video-Performances, während derer sie nur örtlich betäubt war und Gedichte vortrug.
Die Grenzen des guten Geschmacks
Das alles geht an die Grenzen des guten Geschmacks und natürlich kann man fragen, ob die Verschandelung des eigenen Körpers noch Kunst ist. Immerhin setzt Orlan sich immer wieder Operationen aus. Ihr geht es aber dabei nicht darum, zu zeigen, was plastische Chirurgie heute alles leisten kann – im Gegenteil. Ihr geht es um die Schönheitsnormen, die der Chirurgie zugrunde liegen, darum, dass Frauen sich operieren lassen, um einem bestimmten Ideal zu entsprechen. Dem Guardian sagte Orlan: „[…] my goal was to be different, strong; to sculpt my own body to reinvent the self. It’s all about being different and creating a clash with society because of that. I tried to use surgery not to better myself or become a younger version of myself, but to work on the concept of image and surgery the other way around.” Im Interview mit dem Spiegel erklärte sie: „Es ging mir darum, meinem Gesicht eine zusäzliche Dimension zu geben, mit Bedeutung und Repräsentation zu spielen, die Grenzen verfließen zu lassen.”
Tatsächlich ist Orlans künstlerisches Oeuvre vielfältig und beschränkt sich nicht nur auf die – zu recht – umstrittenen Schönheitsoperationen. Die 1947 als Mireille Suzanne Francette Porte geborene Französin arbeitet unter anderem auch mit Fotos, Skulpturen, Installationen, Videos und Malerei. Ihrer Kunst passt sie dem jeweiligen Thema an, Form und Inhalt sollen eine Einheit bilden. Allen Kunstwerken gemeinsam ist die Kritik an herkömmlichen Schönheitsidealen, daran, wie Frauenkörper gesehen werden. Es geht um die Gewalt, die – vornehmlich – weiblichen Körpern angetan wird, oftmals im Namen von Politik, Religion und Gesellschaft. Ihre Performances reihen sich ein in die Tradition feministischer Künstlerinnen wie Valie Export oder Yoko Ono, die ebenfalls ihren eigenen Körper der Kunst zur Verfügung stellen und den Umgang mit weiblichen Körpern thematisieren. So ließ Orlan sich für die Serie Le Drapé-le Baroque als Verkörperung diverser christlicher Ikonen fotografieren: als Heilige, als Jungfrau.
Gehören unsere Körper tatsächlich noch uns?
Mit ihren Performances zeigt Orlan, wie eng gefasst unsere Vorstellungen von Schönheit und Weiblichkeit sind. Sie durchbricht diese Vorstellungen bewusst und besteht auf dem Recht der Gestaltung des eigenen Körpers, dem Recht darauf, anders zu sein. Orlans Kunst mag in den Augen vieler geschmacklos und extrem sein – das ist sie auch. Gleichzeitig wirft sie jedoch wichtige Fragen auf: Wie weit würden wir für (vermeintliche) Schönheit gehen? Gehören unsere Körper tatsächlich noch uns? Wie können wir unsere eigene Einzigartigkeit anerkennen, akzeptieren und erhalten? Orlan ist sich nicht sicher, ob sie die gängigen Vorstellungen von Schönheit verändern kann, das gibt sie im Guardian-Interview zu. Aber: „[…] I can produce images that are different from those we find in comic books, video games, magazines and TV shows. There are other ways to think about one’s body and one’s beauty.”
Noch bis zum 16. August zeigt der Projektraum La Plaque Tournante in Berlin Orlans Austellung ‚This is my body… This is my software’.