Ich habe mir diesen Sommer etwas besonderes ausgedacht: Mir selbst und der Familie eine richtige Freude machen, mit einem ausgedehnten Heimaturlaub. Denn wo geht es schon entspannter zu als bei Mama auf dem Sofa? Der Weg in die Lübecker Bucht dauert keine vier Stunden gen Nord-Westen, also gesagt getan, ich freute mich auf dieses „damals-Gefühl“ und schneckenlahme Spaziergänge durch die Altstadt. Nur: Was macht man eigentlich, wenn das Zuhause, wie man es kannte, im Grunde gar nicht mehr existiert? Zumindest nicht so wie in all den lebhaften Erinnerungen. Und was, wenn du dich selbst eben auch verändert hast? Fünf Jahre sind kein Pappenstiel und haben es geschafft, mein Verständnis von einer waschechten Heimat noch einmal gehörig auf den Kopf zu stellen. Berlin ist jetzt „Zuhause“. Der Nazi auf dem Fahrrad aber, sah das ein wenig anders.
„Geh zurück nach Afrika, wir wollen euch hier nicht!“. Es war ein sonniger Vormittag, irgendwo In einer ruhigen Lübecker Wohnstraße. Mir war so etwas bis dato noch nie passiert. Opfer einer rassistischen Beleidigung zu werden, meine ich. Wie sich das anfühlt, kann man sich kaum vorstellen. Das weiß ich, weil auch ich erst jetzt gemerkt habe, dass nichts in meiner Lebenswelt, kein gelesenes Buch, keine Doku und kein Gespräch mich je auf dieses Gefühl hätte vorbereiten können. Das hat mit unüberlegten Aussagen oder Fragen wie „Darf ich deine Haare anfassen?“ und „Du kannst sicherlich gut tanzen“ gar nichts mehr zu tun. Der Mensch auf diesem Fahrrad hat mir binnen eines Satzes nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Identität als schwarze deutsche Frau aberkannt – und das vor dem Haus, in dem ich groß geworden bin. Heimelig fühlte es sich dort jetzt irgendwie gar nicht mehr an. Und die leise Ahnung, dass in Berlin alles viel besser für mich läuft, auch, weil wir so etwas fort noch nie passiert ist, beschleicht mich seither mit jedem Tag ein Stückchen mehr.
Während des Heimaturlaubs hingegen gab es vermehrt Situationen, in denen ich mich vorsichtiger bewegte oder etwas unsicher war, was ganz eindeutig damit zusammenhängt, dass mich die Menschen hier viel eindringlicher mustern und permanent neugierig in meine Richtung schauen. Der Nazi auf dem Fahrrad ist ein Schwein, keine Frage, aber viele hier im Norden sind das nicht. Sie sind womöglich einfach nicht auf das bunte Potpourri von Nationalitäten eingestellt, sie sind Menschen wie mich nicht gewöhnt, kennen wenig Diversität. Und starren deshalb vielleicht ein Fünkchen länger auf tiefbraune Locken. Dass mich diese eine besagte unangenehme Begegnung aber tatsächlich mit einer konstant festsitzenden Angst im Nacken durch die Altstadtstraßen hat laufen lassen, damit hätte ich nicht gerechnet. Ausgerechnet als ich eine Pause brauchte vom stickigen Berlin, wünsche ich mich fest zurück in die grauen Häuserschluchten von Neukölln. Herrje.
Bedenke ich noch einmal diesen Moment auf dem Gehweg, fühlt es sich ganz klassisch nach „hätte ich mal was gesagt“ an und dann ärgere ich mich über mich selbst. Vielleicht reagiere ich beim nächsten Mal schon klüger oder schlagfertiger, ich hoffe es. Schmerzlich bewusst ist mir jedenfalls geworden, dass solche Erlebnisse für viele Menschen den Alltag bestimmen und ich mich sehr glücklich schätzen kann, von so einem Vorfall bisher nur einmalig überrascht worden zu sein. Mehr denn je ist mir zudem bewusst, dass ich mich in Berlin in meiner ganz persönlichen herrlichen Blase bewege, die prall gefüllt ist mit Toleranz, Akzeptanz und Liebe, die ein einheitliches Bildungsniveau und ähnliche Lebensbedingungen vorweist. Genau so wenig wie der ultrarechte Radler, ist auch mein soziales Umfeld wenig repräsentativ für das Land, in dem wir leben. Es gibt noch viel zu tun, zu verstehen und diskutieren. Und wir müssen noch so viel reden. Vor allem miteinander. Genau das hätte ich womöglich tun sollen, gerade jetzt, wo die weltpolitische Lage einen überaus dankbaren Nährboden für Rassismus und Hetzte bietet. Gerade deshalb dürfen wir wirklich nicht länger auf Durchzug schalten, auch wenn es manchmal schwer fällt der Dummheit die Stirn zu bieten. Ob es nun der motzende Opi im Bus ist oder eine rassistische Äußerung auf Facebook – Durch bloßes Ignorieren machen wir es vielleicht nicht schlimmer, aber eben auch auf gar keinen Fall besser. Wir sollten Rassismus jeglicher Art also unbedingt auf der Agenda behalten, auch dann, wenn er uns persönlich gar nicht betrifft. Damit wir ihn nicht nur bekämpfen, sondern ihm den Garaus machen können.