Mich beschleicht seit einiger Zeit das dringende Bedürfnis über die Volkskrankheit „Online sein“ zu sprechen. Ich bin nach einschlägiger Selbstreflexion zu der Erkenntnis gekommen, dass ich die sich wiederholende Diskussion über das digitale Zeitalter und seine Social Media Zombies endgültig leid bin. Während sich die einen vor dem neuen Organic Juice Press um die Ecke mit dem Iphone 7+ in der Hand über Instagrams Eintönigkeit echauffieren, führt vor dem Späti eine Horde Zwanzigjähriger eine hitzige, biertrunkene Diskussion über die tatsächliche Ineffizienz von Tinder. Nur wozu das Ganze? Nur um abends im Bett wieder mit dem Handy in der Hand einzunicken, swipend oder scrollend, und es pflichtbewusst beim Hochschrecken auf Flugmodus zu stellen oder es, ganz genau nehmend, aus dem Schlafgemach zu verbannen. Wie sehr halten wir uns eigentlich selbst zum Narren?
Für mich gilt festzustellen: Die Social-Media-Sucht ist längst bis in die schmalste Bettritz angekommen: Ob im Schlafzimmer, in der S-Bahn oder im Fahrstuhl, wenn eh niemand Lust hat nach oben zu schauen. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern allseits bekannt. Während der vernunftbegabte Mensch sich sowohl negativen als auch positiven Aspekten durchaus bewusst ist, schimpft und schimpft und lästert er über all‘ das, was uns das Leben über die letzten Jahre doch auch irgendwie erleichtert hat – wenn man mal ganz ehrlich ist. Ohne den kritischen Blick zu verlieren, ließe sich zum Beispiel die Bündelung und Vereinfachung von Kommunikation und die gegenseitige Befruchtung mit Ideen doch auch mal als positiv hervorheben. Ja, schlicht und ergreifend: Social Media lässt uns auch einander näher sein, das wo und wann wir wollen. Was ist, wenn diese digitale Form von Nähe einfach koexistiert? Wenn neben körperlich realer, einfach auch digitale Nähe funktionieren kann?
Permanently Online Permanently Connected kurz „POPC“ ist eine willkommene Bezeichnung für Teilhaber*innen des digitalen Zeitalters. Ohne zu werten hat der Begriff für mich als Leserin eine eher negative Konnotation. Warum eigentlich?
Weil der Mensch also seine Auszeiten braucht, seine Freiheiten – eben auch offline funktionieren muss wahrscheinlich. Aber tut er das nicht ohnehin? Und hat er sich nicht inzwischen so an das tägliche Einrieseln von Informationen gewöhnt, sodass Digital Detox für ihn den reinsten Stress bedeutet?
So richtig „FOMO“, also Fear Of Missing Out, mäßig? Während das Handy also im Flugmodus im Hotelzimmer liegt, kreisen die Gedanken darum, was einen wohl für Nachrichten erwarten, wenn man sich wieder im W-Lan einloggt, bzw. wohin man scrollen muss, ohne einen Instagram post von xy zu verpassen. Klingt nicht nach Detox. Eher nach Stress. Dem Stress, dem es sich eigentlich zu entziehen galt. Mist.
„Inszenierung ersetzt Spontanität“, „Performance ersetzt Authentizität“ sagt Peter Vorderer in seinen gefühlt 99 Thesen zum Thema „Medialer Lebenswandel“ und brachte mich zum Grübeln darüber, ob es nicht letztendlich um ein Zusammenspiel geht, die neue Form von Spontanität. Oder ob Authentizität einfach gar nicht durch Performance ersetzt werden kann. Ich versuche das jetzt einzusehen und damit umzugehen, dass sich Dinge, Selbstprozesse und Empfindungen sowie Bedürfnisse mit zunehmender Digitalisierung geändert haben. Seit der Ernennung des Smartphones als unseren treusten Begleiter, hört man die meisten nur motzen und Dinge sagen wie „Instagram ist mir viel zu fake“.
Aber was, wenn wir die Plattform eben einfach neu verstehen sollten, als neues Familienalbum eben, ganz á la mein Haus mein Auto meine Mann man Baby, mit eben nur halb inszenierten aber doch realen Bildern, die uns am Ende ein gutes Gefühl geben oder die wir gerne mit Freunden teilen, die auf der anderen Erdhalbkugel leben?
Außerdem: Spaß macht es allemal, auch den reflektiert Konsumierenden, die sehr bewusst mit ihrer Social Media Zeit umgehen. Sonst wären viele schon raus und würden die Handys vom Kaffeeklatsch in die Handtasche verbannen, um von ja keiner Notification abgelenkt zu werden. Gar nicht mal so leicht. Irgendwann ertappt man sich doch auf den Homebutten klickend. Könnte ja was passiert sein.
Meine Wogen haben sich geglättet. Ich bin immer noch latent überfordert von Gruppenchats und 50 Nachrichten pro Minute, habe aber eingesehen, dass Social Media mir, als beschaulicher Teil meiner Freizeitbeschäftigung, schlicht und ergreifend Freude bereitet und ich nichts davon habe, mir selbst einen Riegel vorzuschieben über den ich mich immer wieder hinwegsetze. Natürlich sind Medien und soziale Netzwerke mit Vorsicht zu genießen, aber war das bislang nicht mit allen technischen Neuentwicklungen so? Zu viel ist zu viel. Ob ich nun pausenlos vor der Mattscheibe hocke oder meinen Rechner über Tag und Nacht laufen lasse.
Gestern habe ich ein Instagram Bild geknipst und hatte große Freude daran. Einfach so. Vielleicht werde ich das heute wieder tun, ganz ohne schlechtes Gewissen.