Kürzlich fiel mir eine Studie in den Schoß, in der es hieß: Immer mehr Menschen auf der Welt meditieren. Große Firmen wie Google und Facebook engagieren sogar Coaches, die den Mitarbeitern das Entspannen und Schweigen in stressigen Situationen sowie „mindful lunches“ (Mittagspausen in Stillschweigen) nahebringen sollen. Seltsam, dachte ich, vor ein paar Jahren bekam jeder, der sich mit Meditation beschäftigte entweder einen Emo- oder einen Eso-Stempel aufgedrückt. Und heute steht Meditation im Zenit seines Hypes.
Ich muss gestehen, früher konnte ich mit Meditation so richtig gar nichts anfangen. Ganz im Gegenteil: Ich nahm mir jede Kleinigkeit zu Herzen, ließ mich schnell stressen und in Situationen hineinziehen, von denen ich eigentlich nichts wissen wollte. Schauplatz dieser Unentspanntheit war vor allem meine letzte Beziehung.
Im vergangenen Jahr erreichte ich den Punkt, an dem ich derart genervt von dem Ganzen war, dass ich einen Schlussstrich daruntersetzte, ein Ticket nach Bali buchte und mich verciaote. Ich hatte mir vorgenommen, nicht mehr über Exfreunde, Lover und Affären nachzudenken, alles hinter mir zu lassen, runterzukommen und neue Energie zu tanken. Festplatte löschen, rebooten, neu starten.
Auf Bali angekommen, checkte ich in einem bescheidenen Hotel ein, das mich eine Woche vorher auf seiner Internetseite damit lockte, einen DER Gurus des Landes vor Ort zu haben und man sich aus der Hand lesen, Meditationsübungen und das Leben erklären lassen konnte.
Alles klar, ich hatte noch nie zuvor so etwas gemacht. Weil ich mir, offen gesagt, nicht so richtig vorstellen konnte, dass ein einziger Indonesier mein gesamtes Leben in Ordnung bringen könnte. Aber was blieb mir anderes übrig. Ich wollte weg, da war ich nun. Um 11 Uhr hatte ich meinen ersten Termin bei dem besagten Guru. Aufgeregt war ich – eigentlich nur weil ich nicht wusste, was mich erwartete. Hätte ich gewusst, was mich erwartete, wäre ich noch viel aufgeregter gewesen.
Ich öffnete die Tür einer großen Hütte. Etwa vier Zimmer passten dort rein, dachte ich noch, als meine Gedanken vom unverschämt guten Aussehen eines Mannes unterbrochen wurden. Goldbraun gebrannt, dunkles, leicht gewelltes Haar, strahlend braune Augen, weißes T-Shirt. An mehr erinnere ich mich nicht, außer dass er sagte: „Hallo, I’m your Guru! My name is Richard, but everyone calls me Dick.“ Stopp mal! Das Leben wollte mich doch jetzt endgültig verarschen: Bin ich gerade allen Ernstes zwölftausend Kilometer weit vor jeglichen Thematiken geflohen, die auch nur im Entferntesten Männer betreffen, um hier vor einem scharf aussehenden Dick zu stehen?! Oookay, durchatmen, ist vielleicht nur ein Test, dachte ich. War es nicht. Ich kam erst wieder klar, als er mir erzählte, dass er verheiratet sei und sieben Kinder habe. Buddha sei Dank!
Während ich im Geiste noch die Möglichkeiten durchging, wie um alles in der Welt Dick zum offiziell anerkannten Spitznamen von Richard werden konnte, hatte er mich im Geiste schon komplett durchleuchtet. Ich sei ungeduldig, gutgläubig, gestresst – und verspannt dazu. Gut, sind wir das nicht alle? Ich glaubte immer noch nicht so richtig an das alles. Aber ich gab dem Ganzen eine Chance. Bei der ersten Sitzung analysierte er mich, erklärte mir, was Meditation sei, wie ich schon mal üben könne und was wir bei den nächsten sechs Sitzungen machen würden.
Wir praktizierten die Achtsamkeitsmeditation, bei der es darum geht, sich auf ein Geräusch, ein Gefühl, einen Geruch zu konzentrieren und alle Gedanken, die einem dazu einfallen, zuzulassen ohne sie als positiv oder negativ zu bewerten. Andere Gedanken werden dabei komplett ausgeschlossen. Wir meditierten in den Sitzungen in der Hütte und draußen, im Schneidersitz und im Stehen, zu Gong-Klängen und zum „Oooommmm“. Anfangs war es schon etwas befremdlich, doch ich kam relativ schnell rein und merkte, wie ich buchstäblich runterfuhr. Am vierten Tag löste ich mich endgültig von jeglichen Hemmungen und Beklemmungen und freute mich sogar richtig auf die Meditation. Denn ich wusste, nun hab ich alles verstanden, konnte vollkommen loslassen und mich durch und durch entspannen. Jap. Entspannt hab ich mich. Vielleicht einen Ticken zu sehr.
Denn beim Ausklingen des dritten Oms passierte mir, was mir zuletzt mit sieben passiert ist als unser Nachbar Roland meine Eltern besuchte und ich im Garten am Turnen war. Mir entwischte ein leichter Windstoß. Damals lachten alle. Diesmal nicht. Mein Guru reagiert völlig trocken, verzog keine Miene und sagte mit einer gelassen ruhigen Stimme als wäre das Teil des Meditationsgesangs, das sei total normal und passiere vielen, die sich entspannten. „Ähm, nein! Sowas ist ganz sicher nicht normal, Dick!“, schrie ich innerlich. Bei ihm ging innerlich sicher auch so einiges ab, er lacht und schreit vermutlich noch immer. Aber hey, Selbstbeherrschung ist das A und Om.
Trotzdem war ich froh, als Richard mir am Ende der Sitzung erzählte, dass er für zwei Wochen zu einem Seminar fahre und deshalb sein Vater ihn vertreten würde. Der „Meister“, von dem er alles gelernt hatte und der mit seinen Meditationen sogar Dinge schaffte wie ein 50-jähriges Ehepaar dazu zu bringen endlich das Kind zu bekommen, das sie schon immer wollten, aber nicht bekommen konnten, weil sie eigentlich unfruchtbar gewesen war. Aha. Ich wollte weder wissen, wie er das geschafft hatte, noch warum er mir das erzählte. Ich war ganz frisch Single und auch sehr froh darüber mir keine Gedanken über das Kinderkriegen machen zu müssen.
Am nächsten Tag erschien also Richards Vater. Er war gefühlt einen Meter groß und ich verstand seinen Namen nicht, weil er ihn jedes Mal anders sagte, als ich ihn nachsprach. Nach dem vierten mal des falschen Wiederholens gab ich auf, aber irgendwas in Richtung „Gaurau“ war es, da bin ich mir sicher. Wir meditierten draußen, er sang dazu, man hörte das Meer und ich realisierte später: Es hat geklappt. Ich war runtergekommen und ließ den Shit der letzten Monate endgültig hinter mir. Als ich zurückflog, war mit jeder Faser meines Körpers tiefenentspannt und sehr, sehr glücklich.
Und schon dem Rückweg machte ich mir Gedanken darüber, wie das ganze jetzt in Deutschland laufen würde. Keinesfalls wollte ich das Meditierten hinschmeißen, es hatte mich schließlich wieder zu dem Menschen gemacht, der ich eigentlich war und auch bleiben wollte. Ich las in meinem neuen Buch „Turning the mind into an ally“ von Sakyong Mipham, das ich am Flughafen in Denpasar vor Abflug geschossen hatte, machte mir einen Plan aus dem, was ich auf Bali von Dick und Kaudau – oder wie auch immer der kleine Vater hieß – gelernt hatte und lud, klar, was sonst, haufenweise Apps auf mein iPhone runter. Hallo, 2017!
Ich entdeckte an die tausend Programme, doch meine zwei Favoriten sind bis heute Headspace und 7Mind. Oh, und Insight Timer:
Ein Tipp meiner Freundin Suse, die seit Jahren meditiert und von der ich noch viel lernen kann. Außerdem mache ich mir jetzt immer Meditationsmucke dazu an, wenn ich zu Hause auf meiner Isomatte sitze. Gong-Klänge oder Naturgeräusche. Hört sich super nerdy an, ist es auch. Aber so schalte ich am schnellsten ab und konzentriere mich auf das, was ich höre oder wie ich atme. Ich stehe seither immer morgens eine Stunde früher auf als früher, trink einen halben Liter Wasser und meditiere dann 60 Minuten lang, bevor ich in die Redaktion fahre und arbeite.
Vor ein paar Wochen entdeckte ich in einem Buch übrigens die Nadabrahma, eine Meditation, bei der man schon nachts um 3 Uhr aufsteht, meditiert und den Tagesanbruch dafür nutzt sinnvolle Dinge stressfrei zu erledigen. Ich hab’s ausprobiert, doch aus meinem Ooooom wurde ein Ooooooooomeingott als ich fünf Stunden später total geschockt aufwachte und merkte, dass ich eingeschlafen war. Nicht gerade meine Zeit. Alles andere kann ich jedem wärmstens empfehlen. Namasté, Baby!