Gleichberechtigung: Kein wirkliches Thema im Bundestagswahlkampf, oder? Jein.
Vor kurzem bat mich eine französische Bekannte um Hilfe: Sie hatte den Auftrag bekommen, für ein feministisches französisches Magazin einen Artikel über das Thema ‚Gleichberechtigung im deutschen Bundestagswahlkampf 2017‘ zu schreiben. Was mir denn dazu einfallen würde, wollte die Bekannte wissen. Und ich musste tatsächlich erstmal überlegen: Ist Gleichberechtigung überhaupt ein Thema für Merkel, Schulz & Co? Jein. Denn so richtig in den Vordergrund stellte es aber keine der Parteien, weder CDU und SPD, noch Grünen, FDP, CSU oder der Linke. Was aber nicht heißt, dass es nicht mal hier und da sporadisch auftauchte und für Diskussionen sorgte.
Mit Bikinis gegen Burkas
Da war zum Beispiel die Plakatkampagne („Trau dich, Deutschland!“) der AfD. Eines der Motive zeigte zwei Frauen in Bikinis am Strand, dazu den Slogan „Burkas? Wir steh’n auf Bikinis“. Erstaunlich, wie die Freiheit der Frau immer einzig und allein durch nackte Haut erkämpft werden soll. In der FDP widmet man(n) sich derweil lieber der Befreiung der Männer: Die ‚Liberalen Männer‘ wollen gegen die böse böse „Genderideologie“ kämpfen und klarstellen, wer hier die eigentlichen Opfer sind – Männer nämlich. Tatsächlich durfte FDP-Chef Christian Lindner kürzlich hautnah erleben, was für viele Frauen zum Alltag gehört: Sexismus! Während der Sat.1-Wahlsendung ‚Wahl 2017‘ fragte Moderator Claus Strunz die Linke Katja Kipping ganz unverblümt, ob sie den ebenfalls anwesenden Lindner und seinen „Dreitagebart“ nicht „toll“, den Politiker „heiß“ finde. Kipping, zu recht irritiert, antwortete: „Ich verarbeite noch, dass zum ersten Mal bei einem Mann vor allem über das Äußere gesprochen wird. Früher haben wir uns immer beschwert, wenn das bei Frauen der Fall war.“ Das Ganze sei zwar ein interessantes Phänomen, „doch ich überlege, ob das nun die Gleichstellung ist, die ich wollte.“ Mh, vielleicht ist das die Gleichstellung, die die ‚Liberalen Männer‘ wollten?
Die CDU setzt beim Thema Gleichstellung lieber auf den Promi-Bonus und ließ Lena Meyer-Landruth auf Instagram verkünden, sie würde Angela Merkel wählen „weil sie Frauen die Vision gibt, alles werden zu können“. Jetzt müsste nur noch jemand der CDU erklären, dass bei der Bundestagswahl Parteien und nicht Personen gewählt werden und sie das doch bitte an die frisch rekrutierten Promis (darunter auch Sophia Thomalla) weitergeben möge. Dafür hat die CDU aber einfach keine Zeit, schließlich muss sie sich über ein Wahlplakat der SPD aufregen: „Wer 100% leistet, darf nicht 21% weniger verdienen“ steht darauf, ein Hinweis auf die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. „Irreführend“ finde das die CDU, schließlich sei der Gender Pay Gap in Wahrheit wesentlich geringer. Vielleicht sollte sie sich mal dieses Video zum Thema anschauen.
Der deutsche Justin Trudeau
Die SPD ihrerseits ist damit beschäftigt, Martin Schulz als eine Art deutschen Justin Trudeau zu präsentieren (nur ohne Disney-Prinz-Frisur): „Für den SPD-Teil der zukünftigen Bundesregierung, der von mir geführt wird, kann ich jetzt sagen: gleiche Anzahl Frauen, gleiche Anzahl Männer“ verkündete Schulz im März 2017 – damals, als die Umfragen noch glauben ließen, dass so etwas wie ein Machtwechsel in Deutschland wirklich möglich sei und der #schulzzug vermeintlich unaufhaltsam gen Kanzleramt raste. Außerdem will die SPD eine fixe Frauenquote für Vorstände. Für ihre eigene Führungsetage gilt diese Parole aber offensichtlich nicht: Die ehemalige Generalsekretärin Katarina Barley ist nun Familienministerin, ihr Nachfolger heißt Hubertus Heil (der, man erinnere sich, schon einmal recht erfolglos SPD-Generalsekretär war). Und so präsentiert die Führungsriege der SPD sich heute: Generalsekretär, Parteivorsitzender, Kanzlerkandidat, Bundespräsident, Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Außenminister. Willkommen im Herrenclub.
Und die Grünen? Nun ja, die haben sich eines ihrer wichtigsten Gleichberechtigungs- und Gleichstellungsthemen von Merkel und der CDU klauen lassen, bevor der Wahlkampf überhaupt richtig losging: die Ehe für alle. Aber hey, Kopf hoch: Solange die CSU an der Regierung beteiligt ist, wird es kein Ende des Ehegattensplittings geben – und den Grünen bleibt zumindest dieses Thema.
Zum Weiterlesen:
Wie schneiden die verschiedenen Wahlprogramme beim Thema Gleichberechtigung ab? Eine Analyse gibt es bei Edition F und dem deutschen FrauenratDer Twitter-Account @frauenstimmen ruft zum Wählen und Mitmachen auf und sammelt Infos über die Parteien sowie deren Haltung zur Gleichberechtigung. In der Berliner Erklärung fordert ein überparteiliches Bündnis aus Frauenverbänden und Parlamentarierinnen mehr politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einsatz für Gleichberechtigung.