Es war Anfang 2016 als ich beschloss, von heute auf morgen die Pille abzusetzen. Und das, obwohl ich die Einnahme selber jahrelang kein Stück hinterfragt hatte. Es gab auch keinen ausschlaggebenden Moment oder noch ein Aha-Erlebnis: Ich wachte einfach eines Tages auf, schaute auf die Pillenpackung neben meinem Bett und dachte mir: Ich glaube nicht, dass das wirklich gut für mich ist.
Zu diesem Zeitpunkt nahm ich die Pille schon über 10 Jahre. Jeden Tag. Ziemlich praktisch fand ich das Ganze, denn ich konnte meine Periode durch die dauerhafte Einnahme ab und zu einfach ausschalten, ich musste mir keine Sorgen über Verhütung machen und meine Tage hatte ich höchstens 72 Stunden lang. Außerdem nahmen die Pille damals zu Schulzeiten alle; es war einfach schick und der weitaus angenehmere Weg, als im Zuge kollektiver Verunsicherung mit dem anderen Geschlecht über Verhütung zu diskutieren. Heute wünschte ich, jemand hätte mich (und uns alle?) mal mehr darüber aufgeklärt, was ich mir da eigentlich jeden Tag so einschmeiße.
Denn nachdem ich mich erst mit fast Mitte 20 ernsthaft mit meiner Periode und den Vorgängen in meinem Körper auseinandersetzte, wurde mir klar, dass ich – und da kann ich für einige meiner Freundinnen gleich mitsprechen – vor allem versuchte das monatliche Phänomen jedes Mal aufs Neue zu ignorieren. Meine Tage zu bekommen, fand ich anstrengend, hinderlich und irgendwie peinlich. Gerade gegenüber männlichen Bettgenossen hatte ich in der Vergangenheit sogar oft das Gefühl, dass ich mich schämen und darauf hoffen musste, dass mein Gegenüber mich genug mochte, um halbwegs vernünftig damit umgehen zu können. Der Gedanke, die Pille – oder den Nuvaring, den ich auch ein paar Mal versuchte – abzusetzen und mich dann mit unregelmäßigen Blutungen, stärkeren Blutungen und Zwischenblutungen auseinandersetzen zu müssen, war für mich so absurd, dass ich einfach nur kopfschüttelnd jeden morgen eine neue Tablette aus der pinken Verpackung nahm.
Bis zu diesem einen besagten Morgen eben, als mir dämmerte, dass ich einen natürlichen Vorgang in meinem Körper erfolgreich versucht hatte in ein strenges Korsett aus Planbarkeit und Unbemerktheit zu zwängen. Und dass sich mein Körper, wenn ich mal ehrlich zu mir selbst war, auch genau so anfühlte. Alles war so abgedroschen, so mechanisch, so nervig. Es kam der Tag X im Monat, den ich mir als fortlaufendes Ereignis unter einem geheimen Namen in meinen Kalender gespeichert hatte, ich warf jedes Mal einen angespannten Blick in die Termine der kommenden Tage und hoffte, dass keiner der folgenden dabei war: Urlaub, Schwimmen, Sauna, Familienfest, Date mit Potential auf mehr oder irgendein anstrengendes Meeting im Job. Für drei Tage habe ich dann zwei verschiedene Größen Tampons mit mir rumgeschleppt, mich irgendwie unsauber und unattraktiv gefühlt und einfach abgewartete, bis alles vorbei war. Weder habe ich mich auch nur ein einziges Mal gefragt, wie es mir eigentlich geht, ob ich mich anders fühle, ob ich andere Bedürfnisse habe oder ob sich meine Emotionen oder mein Körper verändert. Noch habe ich mir Ruhe, Entspannung oder sonst irgendetwas Gutes gegönnt. Dabei passiert im Körper zu diesem Zeitpunkt so viel. Natürlich muss auch nicht der Ausnahmezustand ausgerufen werden, das mache ich heute auch nicht, aber an diesen Tagen ist eben nicht einfach alles genauso wie sonst. Seit ich die Pille abgesetzt habe ist mir das nämlich (schmerzhaft) mehr als klar geworden.
Etwa drei Monate, nachdem ich meinen Körper aus dem hormonellen Korsett entlassen hatte, taten sich erstaunliche Dinge: Ich war weniger traurig, ich hatte mehr Lust auf Sex, ich hatte stärker und länger meine Tage, ich hatte viiiiiiel stärkere PMS, meine Haut verschlechterte sich enorm, meine Haare glänzten mehr und meine Nägel waren weniger brüchig. Noch dazu fühlte ich mich während meiner Tage sehr schlapp, fast schon krank.
Heute würde ich keine Sekunde mehr gegen die Pille tauschen, sondern versuche meine Periode jetzt viel mehr anzunehmen, für sie dankbar zu sein und mich in dieser Zeit so wenig wie möglich zu stressen. Letzteres fällt mir immer noch schwer und ich erwische mich oft dabei, dass ich mir meinen ganzen Tag mit Terminen vollknalle, obwohl ich genau weiß, dass mir an diesem Tag etwas mehr Ruhe viel besser tun würde. Dann erschrecke ich mich jedes Mal und frage mich, warum man eigentlich immer das Gefühl hat zu 100 Prozent funktionieren zu müssen. Als wäre man eine programmierte Maschine, die immer und jeden Tag gleich ablaufen und niemals ausfallen darf. Das ist doch einfach absurd.
Vor allem die Menstruationsschmerzen, meine Hautprobleme und das Gefühl krank zu sein, waren für mich zu Anfang so verheerend, dass ich auch darüber nachgedacht habe, doch wieder auf die Pille umzusteigen. Mehr als einmal musste ich mich sogar krankschreiben lassen und konnte nicht zur Arbeit gehen. Aber – und das klingt jetzt vielleicht etwa absurd – war ich keinen Moment wütend oder genervt, sondern eher total froh, dass ich irgendwie spüren konnte, dass sich in meinem Körper etwas verändert. Das hier ist kein wissenschaftlich basierter, sondern ein emotionaler Text, aber trotzdem kann ich sagen, dass sich die angenehmen und die unangenehmen Veränderungen irgendwie heilend und natürlich angefühlt haben. Ich bin dankbar, dass mein Körper mir jetzt wirklich mitteilen kann, wie es ihm geht und was er gerade von mir braucht, ohne dass alles wie durch mit Hormonen getränkte Watte zu mir durchsickert.