Eigentlich sollte der Titel dieses Textes lauten: Tausche Designerhandtasche gegen Fahrrad. Superstolz wollte ich verkünden, mich weiter und weiter und weiter von materiellem Ballast befreien zu wollen. Vor zwei Wochen nämlich, einige wissen es vielleicht schon, musste ich eine Entscheidung treffen, die ich meinem ärgsten Feind nicht an den Hals wünschen würde. Und natürlich, wie das eben so ist, beschloss ich schon in der schleppenden Zeit davor, mal wieder irgendetwas grundlegend zu verändern, meine Seele zur Entspannung und zum Verzicht zu zwingen, und, ganz vorweihnachtlich (pardon) und vernünftigwerdend zu kapieren, was wirklich wichtig ist im Leben. Spinnt die, denkt ihr jetzt vielleicht, dass muss doch längst klarer als Kloßbrühe sein. Dachte ich ja auch, aber Pustekuchen. Beim Blick auf meine Ausgaben blieb mir ein Kloß im Halse stecken, der größer war als die dämlichste Designerhandtasche, die ich mir je zugelegt hatte.
Statt also neu sortiert und beflügelt und frei von Ballast ins neue Lebensgefühl zu starten, leuchtete mir da erst so richtig ein, wie konsumabhängig ich in Wahrheit war und bin, aber hoffentlich nicht bleibe. Besagte traurige Erkenntnis wurzelte jedenfalls im spontanen Vorhaben, mich künftig vermehrt der Natur und dem Berliner Umland zu widmen, und zwar mit einem Reisefahrrad als Seismograph meiner aufkeimenden Motivation im Gepäck. Nur besitze ich ja aber gar keins, also muss, logisch, ein neues her. Weil ich aber ja aufhören wollte, meine kurze Trauer mit Ausgaben zu kompensieren, nahm ich mir schnell vor, Saint Laurent gegen VSF einzulösen. Familienzeit plus Sport vs. unbrauchbares Luxusprodukt. Gewissen beruhigt. Aber vor allem: Verarscht. Am ersten Tag meiner neuen konsumfreien Episode kaufte ich ausschließlich frische Lebensmittel, die sofort vertilgt werden konnten, nix da von wegen drei verschiedene Frischkäsegeschmacksrichtungen, ein einziges Töpfchen sollte reichen. Ich sagte ein Kino-Date ab und auch den Amaretto Sour am Abend, alles rausgeschmissenes Geld, dachte ich, das braucht doch alles kein Mensch. Stattdessen schwang ich mich samt Kind und Kegel auf die noch alten Räder, um einen Tag im Britzer Garten zu verbringen. Dort duftete es nach Pommes, weshalb wir schon drei Meter hinter dem Eingang drei Pappteller voll mit Fritten vertilgten. Danach folgte das Trampolin, 3 Euro à 7 Minuten und als wir nach einem einstündigen Spaziergang schließlich das Verlangen nach einer Verschnaufpause verspürten, gab es Eis am Stiel für alle. So ging das den gesamten Sonntag. Am Abend fiel ich zufrieden ins Bett, lobte unseren Neustart und wurde bitter enttäuscht. Konsumverschiebung nennt man das wohl, nicht -Verbesserung. Alles, was ich mache, bitte erlaubt mir kurz diese Überspitzung, kostet immerzu Geld. Und ich glaube, damit bin ich in dieser Stadt nicht allein.
Als Großstädter*in hangelt man sich oft ohne es zu bemerken von einer (gesellschaftlich anerkannten) Ablenkung zur nächsten, vom Brunch zum Kuchen zum Eintrittsgeld zum dritten Coffee to go und schließlich noch zum Abendbrot irgendwo in einem niedlichen Restaurant, das einem suggeriert, super heimelig zu sein. Tag Zwei. Heute konsumieren wir gar nichts, heute machen wir es uns schön! Wir könnten zum Beispiel zum Baumarkt fahren und Pflanzen kaufen für die Wohnung, schlug ich vor. Achso, kein Kaufen, ja stimmt. Okay! Basteln! Ab zu Modulor und in bunter Pappe und Papier baden! Mööp. Kastanientiere? Kein Bohrer im Haus. Und Lio braucht ja auch noch wetterfeste Kleidung und der Mann so dies und das. Fakt ist also: Wenn ich mir nichts kaufe, kaufe ich anderen etwas. Oder Futter. Oder Wandfarbe. Oder Erlebnisse. Ich lenke mich von der reinen Existenz ab, statt einfach mal so was zu erleben. Mich treiben zu lassen. Oder bloß zu sein. Und noch schlimmer: Ich werde Kleidung überhaupt nicht los, so wie ich das immer behaupte, ich tausche sie ein. Tictail? Check. Dann darf ja endlich der lang beäugte Kordblazer einziehen, was solls. Monatsende und noch immer was übrig, vor lauter Knauserei? Kein Problem, sparen kann ich, wenn ich alt bin, ab in die Therme. Oder zu Karstadt, dort gibt es immer irgendeinen Topf im Angebot und Töpfe, die kann man wirklich gut gebrauchen.
So, jetzt stehe ich ziemlich nackig da, die Kaufhosen sind runter und was bleibt, ist ein Versprechen: Ich werde niemals aufhören, zu konsumieren, weil Konsum offenbar weitaus mehr ist als das Verballern von Kröten für ein neues Paar Loafer mit Trensendetail. Konzertbesuche zum Beispiel. Oder ein Abend im Theater. All die Café-Besuche! Neue Bücher! Klingt alles erstrebenswert, aber eben nur, wenn man auch mal ohne kann. Bei mir ist die Aneinanderreihung all dessen beinahe zu einem Automatismus verkommen. Roboter-like.
Ich höre jetzt also auf, zu flunkern und übe mich stattdessen in Aufrichtigkeit: Ich bin konsumsüchtig, zweifelsohne. Ich spinne, so wie viele andere. Und habe es nicht einmal bemerkt! Jede andere These wäre ohnehin kriminell heuchlerisch, ich schmelze ja förmlich dahin beim Gedanken an herbstliche Kinkerlitzchen. Also, was tun? Ehrlichsein ist ja schonmal ein Anfang. Und abhängen, gleich heute. Aber ohne Deliveroo. Und schon keimen in meinem Hirn Gedanken des Selbstversorgertums auf. Dafür bräuchte ich allerdings allerlei Kisten und Erde, ein neues Projekt! Das ist es. Das ist vielleicht die Wurzel allen Übels: Meine Rastlosigkeit, die Sorge vor Stillstand. Schluss damit. Das Fahrrad lege ich mir übrigens trotzdem zu. Vielleicht hilft es ja dabei, die Konsumgeilheit zumindest ein Stück weit wegzustrampeln.